Verschmelzung von globalem und regionalem Terrorismus

In Zukunft ist weltweit vermehrt mit Anschlägen lokaler Terrororganisationen auf westliche Einrichtungen zu rechnen. Die Sicherheitskräfte vor Ort sind auf diese Bedrohungen schlecht vorbereitet.

Prem Mahadevan
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Das von Jihadisten an ausländischen Mitarbeitern einer Erdgasanlage in Algerien begangene Massaker im Frühjahr dieses Jahres fand weltweite Beachtung. Dieser Anschlag machte schlaglichtartig einen Trend deutlich, der Terrorismusexperten schon seit längerem beunruhigt: die Verschmelzung von globalem und regionalem Terrorismus. Zwei Faktoren tragen dazu bei, dass die Gefahr lokaler Anschläge mit globalem terroristischem Hintergrund wächst. Einmal haben die Aufstände in verschiedenen arabischen Ländern seit 2011 oft die dortigen Sicherheitsorgane geschwächt. In vielen Ländern des Nahen Ostens entstanden operative Freiräume für jihadistische Gruppen. Zum anderen – das klingt vielleicht zunächst überraschend – hat der Tod von Usama bin Ladin lokalen Terror mit globalem Hintergrund gefährlicher gemacht. Der saudische Kaida-Führer hatte in der internationalen Jihadisten-Bewegung zwar die Ideologie der Kaida verbreitet, der Szene zugleich aber auch Grenzen auferlegt. Das von bin Ladin propagierte Verbot von Angriffen auf muslimische Glaubensgenossen zwang viele Jihadisten dazu, Zeit und Energie auf die Planung von Angriffen auf weit entfernte Ziele im Westen zu verwenden. Nach bin Ladins Tod gab die Kaida lokalen Prioritäten bei der Auswahl von Zielen und subversiven Strategien Vorrang. Dadurch gewann die Gruppe an Nähe zur arabischen «Strasse» und zu deren primären Anliegen.

Zurück in die Zukunft

Westliche Regierungen stehen beim lokalen Terrorismus mit globalem Hintergrund vor grossen Herausforderungen, auf die sie noch keine schlüssigen Antworten gefunden haben. Solche Antworten zu finden, erscheint jedoch umso dringlicher, als die Bereitschaft lokaler jihadistischer Gruppen steigt, Taktiken anzuwenden, mit denen bisher vornehmlich die Kaida selbst in Verbindung gebracht wurde. Dazu zählen etwa synchrone Selbstmordanschläge. Die Sicherheitsorgane in vielen Entwicklungsländern sind mit solchen Herausforderungen hoffnungslos überfordert.

Noch während der neunziger Jahre dominierte bei den Ideologen des Jihadismus die Vorstellung, nur eine von einem arabischen Oberhaupt geleitete, arabische Gruppe könne den Kampf für ein globales Kalifat anführen. Nun, da bin Ladin tot ist, findet unter den Jihadisten, ob arabisch oder nicht, ein Wettbewerb um Prestige und Ressourcen statt. Die verschiedenen Gruppen versuchen, mit Angriffen auf westliche Einrichtungen in ihrer unmittelbaren Umgebung ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Sie wissen, dass der Westen wenig Interesse an einem langanhaltenden Krieg auf ihrem Territorium hat.

Jihadistische Netzwerke

Die Kaida selbst wird versuchen – nachdem im kommenden Jahr die USA und ihre Verbündeten abgezogen sein werden – wieder in Afghanistan Fuss zu fassen. Aufgrund des Verlustes vieler ihrer Führungskader wird sie sich aber hinsichtlich ihres globalen Einflusses der Konkurrenz anderer Gruppen stellen müssen. Dazu zählen Lashkar-e Toiba in Pakistan, die Shabab-Miliz in Somalia, Boko Haram in Nigeria, die Nusra-Front in Syrien und zwei regionale Kaida-Ableger – auf der Arabischen Halbinsel und im Maghreb. Die meisten von ihnen sind nicht daran interessiert, in den westlichen Staaten selbst Angriffe durchzuführen. Sie haben aber in den letzten Jahren ihre Operationen, die sich gegen westliche Interessen richten, verstärkt. So sind sie bereit, vor Ort westliche Ausländer sowie Regierungen, die die USA und ihre Verbündeten unterstützen, anzugreifen.

In den neunziger Jahren wurden radikale Islamistengruppen im Nahen und Mittleren Osten durch kampferprobte Veteranen des sowjetisch-afghanischen Kriegs verstärkt. Einige dieser Veteranen blieben in Afghanistan und Pakistan und bildeten später die Kaida, während andere zurückkehrten und in ihrer jeweiligen Heimat Führungsfunktionen in lokalen Jihadisten-Gruppen übernahmen. Das gleiche Muster zeigte sich nach dem Irakkrieg von 2003.

Regional aktive Jihadisten-Gruppen haben an tödlicher Effizienz gewonnen, weil sie von Unterstützern der Kaida im Irak für den Einsatz neuer terroristischer Operationsmethoden instruiert worden sind. Verbessertes Wissen über den Bau und den Einsatz von Bomben hat die Zahl der Todesopfer bei terroristischen Anschlägen in Afrika und Südwestasien anschwellen lassen. Die Sicherheitskräfte vor Ort sind auf diese neuen Bedrohungen bei weitem noch nicht eingestellt. Ferner spielt den jihadistischen Gruppierungen oft die schlechte Regierungsführung in diesen Ländern in die Hände.

Westliche Wirtschaftsinteressen

Mit der Geiselnahme in Algerien von 2013 setzte sich ein Trend fort, der erstmals 2004 in der russischen Stadt Beslan in Erscheinung trat: Jihadisten greifen einen Ort an, machen ihre Geiseln zu menschlichen Schutzschilden, veröffentlichen politische Stellungnahmen, welche die jeweilige Regierung blossstellen sollen, und verüben anschliessend ein Massaker. Anders als in Beslan gaben die Täter in Algerien der Tötung westlicher Staatsbürger von vornherein Vorrang. Daher suchten sie ein Ziel mit vielen ausländischen Arbeitern aus.

Für die Zukunft sind weitere solche Zwischenfälle zu erwarten, in denen Jihadisten wirtschaftlich bedeutende Einrichtungen mit vielen westlichen Fremdarbeitern in Entwicklungsländern angreifen. Noch ist unklar, wie dieser Bedrohung begegnet werden soll. Die blosse Hoffnung, dass lokale Sicherheitsorgane solche Anschläge künftig verhindern können, stellt noch keine Strategie dar. Westliche Regierungen dürften in den allermeisten Fällen nicht bereit sein, mit eigenen Streitkräften direkt zu intervenieren. Sinnvoll wäre aber auf jeden Fall ein verbesserter nachrichtendienstlicher Austausch von Informationen über jihadistische Gruppen. Auch die Kooperation transnationaler Unterstützer-Netzwerke für jihadistische Gruppierungen sollte intensiver in den Blick genommen werden mit dem Ziel, diese zu unterbinden.

Prem Mahadevan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.