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Finanzen der Dschihadisten "Der 'Islamische Staat' ist die größte Mafia"

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" verfügt über moderne Waffen und bezahlt Tausende Kämpfer. Woher stammt das Geld dafür? Politologe David Romano erklärt im "Zenith"-Interview, wie sich der IS finanziert.
IS-Kämpfer in Mossul: "Das Netzwerk nähert sich der Überdehnung"

IS-Kämpfer in Mossul: "Das Netzwerk nähert sich der Überdehnung"

Foto: AP/dpa

Frage: Das vom "Islamischen Staat" (IS) ausgerufene Kalifat umfasst mittlerweile große Teile Syriens und des Irak. Ist der IS mit den eroberten Gebieten, Erdölvorkommen und Bankgeldern überhaupt noch auf ausländische Finanzmittel angewiesen?

Romano: Es ist schwierig abzuschätzen, wie viel ausländisches Geld den "Islamischen Staat" noch erreicht. Der IS und seine Geldgeber verwenden oft das "Hawala-System": Eine Person A, die Geld an eine Person B transferieren will, übergibt dieses an eine Drittperson, der sie vertraut und die mit B oder einer Vertrauensperson von B in Kontakt ist. Dieses informelle Überweisungssystem bewährt sich seit Jahrzehnten. Da es jenseits offizieller Kanäle erfolgt, ist es unmöglich, herauszufinden, wie viel Geld der IS aus privaten Spenden erhält.

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Foto: Kevin White/ Missouri State University

David Romano lehrt Nahost-Politik an der Missouri State University. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen politische Gewalt und Terrorismus, vor allem in Kurdistan, der Türkei und im Irak.

Frage: Besonders die Golfstaaten Katar und Kuwait sind wegen der Finanzierung dschihadistischer Gruppen in Verruf geraten. Haben diese Länder dem IS dazu verholfen, zu dieser Größe heranzuwachsen?

Romano: Die aus den Golfstaaten stammende Unterstützung ist einerseits finanziell, andererseits ideologisch. Dort leben viele reiche Leute mit einer ultrakonservativen salafistischen Ideologie. Sie sitzen in ihren leeren Häusern im Golf, tun selbst nichts, finanzieren aber diejenigen, die aktiv sind, finanziell. Sie freuen sich, wenn Schiiten oder Angehörige religiöser Minderheiten getötet werden.

Frage: Mittlerweile kommen die Dschihadisten aber vor allem auf dem Schlachtfeld zu Geld. Wie stark wird die Strategie von IS durch die Gewinnung von Rohstoffen bestimmt?

Romano: Eine zentrale Einnahmequelle des IS ist die Bevölkerung in den eroberten Gebieten. Kriegsbeute zu machen, ist einer der Gründe, warum der IS gleichzeitig verschiedene Fronten öffnet und ständig neue Feldzüge beginnt. Die Christen in Mossul durften erst fliehen, nachdem sie ihr Hab und Gut übergeben hatten - es handelte sich im wahrsten Sinne des Wortes um eine Plünderung am Fließband: Die Leute mussten in einer Schlange stehen, an der ersten Kontrollstelle wurden ihre Taschen nach Wertsachen durchsucht, an der zweiten Stelle wurden die Männer, an der dritten die Frauen durchsucht, an der vierten Stelle wurden sie alle befragt. IS erhebt auch Schutzzölle und hat Hunderte Millionen US-Dollar - der Betrag ist umstritten - aus Banken in Mossul erbeutet. Ansonsten finanziert IS sich durch das lukrative Erdölgeschäft.

Frage: Wohin verkauft IS denn das Erdöl aus den eroberten Förderanlagen?

Romano: Das Erdölgeschäft läuft hauptsächlich über die Türkei. Anfangs verkaufte der IS auch Erdöl in die Autonome Region Kurdistan, doch Ende Juli sagte die kurdische Regionalregierung diesem Geschäft den Kampf an, was mit dazu geführt hat, dass der IS im August eine Offensive gegen Irakisch-Kurdistan einleitete.

Frage: Und welche Rolle spielt die Türkei?

Romano: Die Türkei gibt vor, sie könne die Grenze mit Syrien nicht umfassend kontrollieren. Das ist jedoch nicht plausibel: Der ganze Grenzverlauf ist mit doppeltem Stacheldraht, Minenfeldern und Wachtürmen gesichert. Die PKK hat Mühe, Leute auf die andere Seite zu bringen. Die türkisch-syrische Grenze ist ganz und gar kein Schmugglerparadies.

Frage: Wie muss man sich die interne Finanzverwaltung des IS vorstellen?

Romano: Es handelt sich um eine organisierte Feudalhierarchie. So wie damals ein Baron dem Herzog und dieser wiederum dem Großherzog Geld schuldete, muss ein lokaler Führer Einnahmen seinem Vorgesetzten weiterleiten. Er hat relativ viel Entscheidungsfreiheit, was Kampfeinsätze und die Verwaltung finanzieller Mittel betrifft. Das Feudalsystem ist ziemlich effizient. Potenzielle Oppositionelle werden so oft wie möglich bestochen statt unterdrückt - was allerdings einen Haufen Geld kostet.

Frage: Also beispielsweise die sunnitischen Stämme, von denen einige vor wenigen Jahren noch gegen al-Qaida gekämpft haben?

Romano: Tatsächlich verwendet IS die gleiche Strategie wie 2005 und 2006 der US-General David Petraeus, als dieser den sunnitischen Stämmen im Irak Geld und Waffen anbot, um für Sicherheit zu sorgen und gegen al-Qaida vorzugehen. Nach dem Abzug der Amerikaner Ende 2011 sollten die sunnitischen Milizionäre in die irakischen Sicherheitskräfte integriert werden, was sich allerdings als ein leeres Versprechen erwies. So hat IS das politische und finanzielle Vakuum gefüllt.

Frage: Wie konnte der IS diesen Staatshaushalt in derart kurzer Zeit aufbauen?

Romano: Schon bevor der IS die betreffenden Gebiete in seine Gewalt brachte, war es dort üblich, dass Geschäftsleute von ansässigen Stämmen, lokalen Politikern und Milizen erpresst wurden. Es gab zum Beispiel den Fall eines türkischen Geschäftsmanns, der Stammesleuten 500.000 US-Dollar pro Monat bezahlen musste, um in Mossul sein Gewerbe ausüben zu können. Als der IS die Stadt eroberte, erhöhte er die Steuer auf eine Million Dollar pro Monat. Da zog sich der Geschäftsmann zurück, woraufhin der IS seine Forderung wieder auf eine halbe Million herabsetzte und ihn bat, zurückzukommen. Der IS hat die bestehenden mafiösen Strukturen übernommen und ist selbst zur größten Mafia geworden.

Frage: Wird diese Entwicklung anhalten?

Romano: Jein. Das IS-Netzwerk nähert sich der Überdehnung. Es gibt kaum noch weitere Gebiete, in die der IS vorstoßen kann: In schiitische oder kurdische Gebiete einzudringen, ist schwierig; die Türkei und Iran sind ein No-Go; Saudi-Arabien steht unter strengster Kontrolle; Jordanien hat einen hochentwickelten Geheimdienst. Der Libanon ist eher gefährdet, doch dort bemüht sich das christlich-sunnitische Establishment mithilfe Saudi-Arabiens, den IS einzudämmen.

Frage: Was wird also geschehen?

Romano: Wenn der Siegeszug des IS gestoppt wird, schwindet der Einfluss, den die Gruppe auf lokale Führer ausüben kann. Diese werden sich abspalten und kriminelle Gruppen bilden - wobei sie sich so lange wie möglich noch als Teil des IS bezeichnen werden, um sich zu legitimieren.

Frage: Das heißt, die internationale Koalition greift zu dem Zeitpunkt ein, wo IS sich dem Zerfall auf natürliche Weise nähert?

Romano: Die internationale Koalition sollte die Expansion des IS bremsen und ihn möglicherweise zurückdrängen. Wenn dies nicht gelingt, könnte es passieren, dass der IS - ähnlich wie die Taliban in Afghanistan - seine Macht festigt und sich zu einem Staat entwickelt.

Dieses Interview führte "Zenith"- Autorin Julia Joerin. Es stammt aus der aktuellen Ausgabe des Magazins.