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Anschlag in Vorra
"Angst vor zu vielen Muslimen in Deutschland"

Die öffentlich wahrnehmbare Stimmung nach dem Anschlag auf ein Flüchtlingsheim in Vorra sei geprägt von großer Hilfsbereitschaft, sagte Christian Ude (SPD), der ehemalige Bürgermeister Münchens, im DLF. Doch seit einiger Zeit gebe es eine große Angst vor Muslimen in Deutschland. Diese habe sich bislang bei wenigen politischen Demonstrationen gezeigt.

13.12.2014
    Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) an seinem letzten Arbeitstag im Rathaus.
    Münchens ehemaliger Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sieht eine "große Angst vor zu vielen Muslimen" in Bayern. (picture alliance / dpa - Felix Hörhager)
    Eine "große Angst" vor Muslimen gäbe es seit einiger Zeit in Deutschland und habe sich erst bei weinigen großen Demonstrationen gezeigt. In Bayern, so Ude, sei diese Angst bis zu den Vorfällen in der bayrischen Gemeinde Vorra noch nicht so stark hervorgetreten. Er zweifelte im DLF an, dass die ortsansässige Bevölkerung hinter dem Brandanschlag und den Hakenkreuz-Schmierereien stecken würde. "Es gab ja auch Stimmen aus der betroffenen Ortschaft, die sofort gesagt haben, wir waren auf die Flüchtlinge eingestellt und wir begrüßen sie." Es könnten auch angereiste Rechtsextremisten gewesen sein.
    Die Ausmaße der Flüchtlingsbewegungen dieses Sommers und Herbstes seien nicht vorhersehbar gewesen. Aber man habe länger gewusst, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen und die Unterkünfte nicht ausreichen. Doch es sei politisch nicht ausreichend gehandelt worden. Nun seien große Anstrengungen erforderlich, um Flüchtlingen Unterkünfte bieten zu können.
    Dass Migranten in ihren Familien Deutsch sprechen sollen, wie es die CSU zur Diskussion stellte, sei eine absurde Forderung, so Ude. "Das sei kein ernsthafter Vorgang." Die CSU glaube, sich mit solchen politischen Aussprüchen profilieren zu müssen, wie vor zwei Jahren vor Weihnachten mit dem Vorschlag zur PKW-Maut für Ausländer.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Alle schauen hin, alle sind empört über das, was in Bayern passiert ist. Natürlich, was denn auch sonst, so etwas kann in einem Rechtstaat nicht geduldet werden! Die Frage ist, was jetzt allerdings passieren wird, und vor allen Dingen: Was muss man tun? Darüber wollen wir reden mit dem früheren Oberbürgermeister von München, Christian Ude, den ich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Ude!
    Christian Ude: Ja, guten Morgen!
    Zurheide: Herr Ude, zunächst einmal: Wie ist die Stimmung eigentlich in der Bevölkerung in Bayern, wie nehmen Sie das wahr, bezogen auf die Flüchtlinge, die kommen?
    Ude: Also, das ist eine ganz andere Situation als etwa zu Beginn der 90er-Jahre. Da gab es ja ebenfalls so große Zahlen wie jetzt, aber die Stimmung war wahrnehmbar vollkommen anders. Damals wurde alles im Zusammenhang mit dem Asylrecht gesehen und viele haben das Asylrecht kritisiert bis ins Parlament hinein und Verständnis signalisiert für Menschen, die den Asylzustand nicht mehr akzeptieren wollten. Bei Hoyerswerda, als dort eine Unterkunft brannte, gab es ja noch Stimmen, man müsse die verärgerten Menschen verstehen und das Asylrecht ändern. Diesmal ist die öffentlich wahrnehmbare Stimmung ganz anders, es gibt große Hilfsbereitschaft, es gibt Spendensammlungen, es gibt parteipolitisch über alle Grenzen hinweg Einmütigkeit, dass man die Flüchtlinge aufnehmen muss. Das ist die positive Veränderung. Allerdings haben wir seit einiger Zeit in Bayern noch nicht so wahrnehmbar, aber zweifellos auch eine große Angst vor zu vielen Muslimen in Deutschland, die sich politisch erst bei wenigen großen Demonstrationen gezeigt hat, eben in Leipzig, in Dresden, auch in westdeutschen Städten. Aber die ist in Bayern noch gar nicht so stark hervorgetreten, wie das die Nachrichten vermuten lassen.
    Zurheide: Gibt es eventuell ein Gefälle zwischen Stadt und Land? Denn das, was jetzt dort passiert ist, wir wissen noch nicht, wer es gemacht hat, aber das ist ja möglicherweise auf dem Humus eines bestimmten politischen Bodens dann gewachsen?
    Ude: Also, man muss sehr, sehr vorsichtig sein, ob es überhaupt auf dem örtlichen Humus gewachsen ist. Es gab ja auch Stimmen aus der betroffenen Ortschaft, die sofort gesagt haben, wir waren auf die Flüchtlinge eingestellt und wir begrüßen sie! Es ist nicht so, dass die ortsansässige Bevölkerung hinter Anschlägen stünde, es können durchaus auch angereiste Rechtsextremisten sein, die einfach generalstabsmäßig prüfen, wo in Deutschland werden Asylbewerber und Antragsteller und Bürgerkriegsflüchtlinge erwartet, dort müssen wir Konflikte machen. Es ist auch so, dass in München bei der Bayern-Kaserne, dieser völlig überlaufenen Erstaufnahmeeinrichtung, die Menschen, die Stimmung vor Ort gemacht haben, angereist waren. Das sind nicht die Nachbarn der Umgebung gewesen, die sich natürlich Sorgen machen, was entstehen kann, die aber nicht mit dieser Aggressivität vorgehen, die rechtsextreme Täter kennzeichnet.
    "Ausmaße der Flüchtlingsbewegungen waren nicht vorhersehbar"
    Zurheide: Jetzt haben Sie gerade angesprochen, natürlich ist die Politik in Deutschland insgesamt ein Stück weit überfordert mit den mehr Menschen, die kommen - aus guten Gründen, wie Sie es gesagt haben -, und genau das führt natürlich zu Problemen. Wirtschaftlich erklären Sie eigentlich, dass man so wenig vorbereitet war? Denn jeder wusste, dass da Konflikte sind und dass auch Menschen kommen müssen. Auch Sie als Oberbürgermeister sind natürlich ein Stück weit in der Zeit, in der Sie ja noch im Amt waren, ein Stück weit damit befasst gewesen!
    Ude: Also, natürlich sind die Ausmaße der Flüchtlingsbewegungen dieses Sommers und Herbstes nicht vorhersehbar gewesen, das muss man ehrlich sagen. Aber wir haben schon längere Zeit gewusst, dass gerade die Erstaufnahmeeinrichtungen und die Unterkünfte nicht ausreichen, ich habe das schon 2012 ans bayrische Sozialministerium geschrieben und von Frau Haderthauer noch die Antwort bekommen, ich müsste endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Flüchtlingszahlen abnehmen und keineswegs zunehmen. Also, hier haben schon einzelne politische Akteure klar versagt. Aber die Zahlen in dem Ausmaß, das tatsächlich erreicht wurde, hat niemand präzise vorhergesehen. Und deswegen sind große Anstrengungen erforderlich, sofort leerstehende Fabrikhallen oder Kasernen zur Verfügung zu stellen, statt hier einfach zu langsam vorzugehen. Die humanitäre Situation wird sehr viel schlechter, wenn es jetzt kalt wird und weitere Flüchtlinge nicht sofort in geschlossenen und beheizten Räumen untergebracht werden können. Da befürchte ich eine weitere Zuspitzung in den kommenden Wochen.
    "Absurde Forderung, dass Menschen zu Hause nicht ihre Muttersprache sprechen dürfen"
    Zurheide: Wie bewerten Sie dann den CSU-Vorstoß, die Debatte, die wir diese Woche geführt haben, auch in dieser Sendung und noch einmal, über das Deutschsprechen, was man da sagt, auch wenn man die Formulierung jetzt verändert hat. Ich sage es mal zugespitzt: Möglichst alle sollen Deutsch sprechen, die maximale Abweichung ist der bayrische Akzent, das ist, glaube ich, die CSU-Linie.
    Ude: Also, ich glaube, dass man hier eine sorgfältige Trennung vornehmen muss. Zu Beginn der 90er-Jahre hat die CSU wirklich in schlimmer Weise Stimmung gegen das Asylrecht gemacht und damit auch gegen Asylanten und ihre Unterkünfte. Jetzt sind es hier zwei Themen, die nicht miteinander vermengt werden sollen, auch die CSU steht zur Aufgabe, die Flüchtlinge unterzubringen und unsere Pflicht zu tun und unsere Aufgaben zu erfüllen. Aber sie kann jedes Jahr gegen Ende nicht der Versuchung widerstehen, ein paar ausländerfeindliche Töne zu verbreiten. Das war vor zwei Jahren der Ruf "Maut für Ausländer", bei der vor allem wichtig war, dass sie die Ausländer bezahlen, nicht so sehr, dass sie Geld in die Kasse bringt; dann war es letztes Jahr diese pauschale Verdächtigung, dass Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die zu uns kommen, in erster Linie Sozialbetrüger seien und unter diesen Generalverdacht gestellt werden müssen. Und jetzt ist es die etwas absurde Forderung, dass Menschen zu Hause nicht ihre Muttersprache sprechen dürfen. Das ist nicht jetzt ein ernsthafter Vorgang, der die ausländerrechtliche Situation verschlechtert, sondern es ist ein Beweis dafür, dass die CSU offensichtlich glaubt, sich immer wieder mit solchen Geschichten profilieren zu müssen, damit nicht rechts von ihr eine andere politische Kraft entsteht.
    Zurheide: Christian Ude war das, der frühere Oberbürgermeister von München zur aktuellen Lage, Stichwort Flüchtlinge, und der Aufnahmebereitschaft in Deutschland. Ich bedanke mich bei ihm für das Gespräch, danke schön, Herr Ude, auf Wiederhören!
    Ude: Ja, vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.