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Medien Sony-Leaks

Hacker tun es für die Sache, die Medien für Geld

Sony-Leaks ist kein stolzer Moment für Hollywood. Auch ich bin Opfer der Cyber-Kriminellen. Noch skandalöser als ihre Tat ist aber das Verhalten der Medien. Eine Philippika von Aaron Sorkin.

„Jolie ist eine ‚verwöhnte Göre‘ aus ‚Crazyland‘, schreibt die New York Post.

„Schockierende Enthüllungen aus dem Sony-Hack“, schreibt „The Daily Beast“.

„Sonys gehackte E-Mails werfen ein Schlaglicht auf Hollywoods Probleme mit der Diversität“, schreibt die „Huffington Post“.

„Ihr spielt Kriminellen in die Hand“, sagen wir anderen.

Vor drei Wochen wurde Sony Pictures Entertainment Opfer eines massiven Cyberangriffs einer Gangsterbande, die sich selbst Guardians of Peace, Friedenswächter, nennt. Sie überlisteten Sonys Sicherheitssysteme und stahlen Zehntausende vertrauliche Dokumente und E-Mails.

Dann sprachen sie eine Drohung aus. Die Guardians kündigten an, diese privaten Dokumente zu veröffentlichen, wenn das Studio den geplanten Start von „The Interview“ – eine Komödie mit Seth Rogen und James Franco, in der die beiden von der CIA angeheuert werden, den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un umzulegen – nicht platzen ließe.

Dann hinterließen sie eine weitere Drohung, diese mit einer brutalen und verstörenden Symbolik. „Nicht nur Ihr selbst, sondern auch Eure Familien sind in Gefahr“, hieß es in der Mitteilung an alle Sony-Angestellten. Das FBI hält sich bedeckt, gibt aber zu, dass der Hack ausgeklügelt ist und von einer Menge Geld getragen.

Die Guardians mussten den Ball nur hoch spielen; sie wussten, dass unsere Medien zuverlässig herbeispringen und ihn in den Korb slammen würden. Zuerst wurden Gehaltslisten veröffentlicht. Nicht von den Hackern, sondern von der amerikanischen Presse.

Dann waren die E-Mails an der Reihe. Eine Kabbelei zwischen der Sony-Managerin Amy Pascal und dem Produzenten Scott Rudin, ein unangebrachter und rassistischer Austausch, eine ehrenrührige Kritik jüngster Adam-Sandler-Filme, eine neue Idee für das „Spider-Man“-Franchise. Veröffentlicht. Überall.

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Jetzt machten die Medien Ernst. Nicht etwa, weil sich niemand mit größerem Recht auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen kann als sie und nun eine Gruppe aufgetaucht war, die damit drohte, Leute umzubringen, weil sie eben dieses Recht auf freie Meinungsäußerung ausübten. Nicht weil die Hacker Sozialversicherungsnummern veröffentlicht hatten, Privatadressen, Passwörter, Bankdaten, Leistungsbeurteilungen, Telefonnummern, die Tarnnamen, unter denen berühmte Schauspieler in Hotels einchecken (eine Sicherheitsmaßnahme, um Stalker fernzuhalten) sowie gar die Krankengeschichten von Angestellten und deren Kindern. Sondern weil aus einer gestohlenen E-Mail hervorging, dass Jennifer Lawrence unterbewertet wurde.

Ich bin keine unbeteiligte Partei. Ein großer Teil der Kabbelei zwischen Ms. Pascal und Mr. Rudin bezog sich auf einen Film, dessen Dreharbeiten unmittelbar bevorstehen, „Steve Jobs“, zu dem ich das Drehbuch geschrieben habe, weshalb mein Name von Zeit zu Zeit auftaucht.

Die gestohlenen, aber überall kursierenden Dokumente enthalten eine E-Mail an Ms. Pascal, in der ich mich für Tom Cruise als Hauptdarsteller ausspreche (das tat ich), eine zweite E-Mail eines Managers an einen anderen, in der spekuliert wurde, dass ich pleite sei (mir geht es gut), und eine dritte, in der angedeutet wurde, dass ich eine Affäre mit einer Frau hätte, deren Buch mir als Quelle für ein neues Skript dient (ich wünschte, es wäre so). Und weil ich und zwei meiner Filme etwas gebeutelt werden, scheint mir, dass ich mit Glaubwürdigkeit Folgendes sagen kann: Es ist mir egal. Weil es sich bei den enthüllten Verunglimpfungen um solche Kinkerlitzchen handelt, verglichen mit der Tatsache, dass sie enthüllt wurden. Nicht von den Hackern, sondern von amerikanischen Journalisten, die ihnen helfen.

Auch für Hollywood ist es kein stolzer Moment. Das ist ein Ort voller mächtiger Menschen – Führungskräften und Menschen, die kein Risiko scheuen, Dinge zu erschaffen, die das Zeug haben, Debatten zu eröffnen und zu verändern. Warum also ist es hier draußen so furchtbar still?

Als Drehbuchautor, der nur zwei Generationen davon entfernt ist, auf einer schwarzen Liste zu landen, bin ich nicht besonders scharf auf Amerikaner, die andere Amerikaner unamerikanisch nennen

Wir schaffen filmische Momente. Wäre es kein filmischer Moment, wenn die anderen Studios sich auf die Nato-Regel beriefen und den Angriff auf Sony als Angriff auf uns alle, auf unseren felsenfesten Glauben an die freie Rede abqualifizierten? Wenn sich die Writers Guild, die Vereinigung der Drehbuchautoren, und die der Regisseure an die Seite ihrer Mitglieder stellten? Wenn die Motion Picture Association of America, die die Filmindustrie in Washington vertritt, beim Kongress anklopfte und sagte, wir befinden uns mitten in einem andauernden Angriff auf eine von Amerikas größten Exportbranchen? Langsam kommen wir ans Ende der ersten Filmrolle; es wird Zeit, unsere Helden vorzustellen.

Ich verstehe, dass es für die Medien Routine ist, gestohlene Information zu verwenden. So sind wir an die Pentagon-Papiere gelangt, um ein oft gehörtes Argument zu bemühen. Doch in diesen neuen Dokumenten findet sich nichts, was ein derartiges öffentliches Interesse verdient hätte wie die Informationen, die aus den Pentagon-Papieren hervorgingen.

Enthalten die E-Mails irgendwelche Informationen, die nahelegen würden, dass Sony etwas Ungesetzliches tut? Nein. Die Öffentlichkeit hintergeht? Nein. Seinen Kunden unmittelbar schadet, vergleichbar mit den Tabakfirmen oder Enron? Nein. Gibt es auch nur einen Satz in einer einzigen privaten E-Mail, die ein entsprechendes Fehlverhalten auch nur nahelegt? Irgendetwas, das irgendjemandem helfen, ihn informieren oder beschützen könnte?

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Der stellvertretende Chefredakteur des Branchenblatts „Variety“ erzählt uns von seiner Entscheidung, die News seien – in seinen eigenen Worten – „berichtenswert“. Ich kann es gar nicht erwarten, ihn zu fragen, welche Stelle der Postproduktionsnotizen über Cameron Crowes neues Projekt berichtenswert ist. So berichtenswert, dass es sich lohnt, den Wünschen von Leuten nachzukommen, die gesagt haben, sie würden Familien umbringen, und bisher alle Drohungen auch in die Tat umgesetzt haben. Berichtenswert. Wie die Figur Inigo Montoya in „Die Braut des Prinzen“ sagt: „Ich glaube nicht, dass es heißt, was du glaubst, dass es heißt.“

Wie Sony ins Visier der Hacker geriet

Lautloser Angriff: Der japanische Technik-Riese Sony ist von Hackern attackiert worden. Offenbar sollte damit die Ausstrahlung eines Films verhindert werden. Jetzt ermittelt das FBI.

Quelle: Reuters

So viel dazu, jemals wieder eine gute Kritik von „Variety“ zu bekommen. Und so viel zu unserer nationalen Aufregung darüber, dass die NSA unser Zeug mitliest. Offenbar haben wir damit doch kein Problem. Wir haben das Argument einfach links liegen gelassen.

Als Drehbuchautor in Hollywood, der noch vor zwei Generationen wahrscheinlich auf einer schwarzen Liste gelandet wäre, halte ich nicht viel von Amerikanern, die andere Amerikaner unamerikanisch nennen. Lasst uns also bloß festhalten, dass jedes Medienunternehmen, das sich den Guardians of Peace willfährig unterworfen hat, moralisch verwerflich und immens unredlich ist.

Ich weiß, dass die E-Mails voll deftiger Inhalte sind, und ich weiß, dass einige von uns beleidigt worden sind, und ich weiß, dass da noch mehr kommt. Niemandes Privatleben könnte einer öffentlichen Überprüfung voll und ganz standhalten. Aber hier geht es um etwas viel Größeres als verletzte Gefühle und angekratzte Egos.

Schließt eure Augen und stellt euch vor, wie die Hacker irgendwo sitzen und die Dokumente nach denen durchkämmen, die den größten Schaden anrichten könnten. Und nebenan sitzen amerikanische Journalisten und machen dasselbe. So wahnsinnig und verbrecherisch das auch ist – zumindest tun die Hacker es für die Sache. Die Presse tut es fürs Geld.

Übersetzt von Jan Küveler.

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