Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Debatte
  3. Kommentare
  4. Was Pegida und die 68er gemeinsam haben

Meinung Proteste in Dresden

Was Pegida und die 68er gemeinsam haben

Freier Autor
TO GO WITH AFP STORY BY YANNICK PASQUET (FILES) A picture taken on January 12, 2015 shows sympathizers of German right-wing populist movement PEGIDA (Patriotic Europeans Against the Islamisation of the Occident) holding a poster featuring German Chancellor Angela Merkel wearing a head scarf and a slogan reading 'Madame Merkel here are the people' during their twelfth march in Dresden, eastern Germany. Germany's Nazi past has so far prevented the far-right gaining a lasting political foothold but the country now faces an emergent populist movement akin to those in other European countries, analysts say. AFP PHOTO / ROBERT MICHAEL TO GO WITH AFP STORY BY YANNICK PASQUET (FILES) A picture taken on January 12, 2015 shows sympathizers of German right-wing populist movement PEGIDA (Patriotic Europeans Against the Islamisation of the Occident) holding a poster featuring German Chancellor Angela Merkel wearing a head scarf and a slogan reading 'Madame Merkel here are the people' during their twelfth march in Dresden, eastern Germany. Germany's Nazi past has so far prevented the far-right gaining a lasting political foothold but the country now faces an emergent populist movement akin to those in other European countries, analysts say. AFP PHOTO / ROBERT MICHAEL
TO GO WITH AFP STORY BY YANNICK PASQUET (FILES) A picture taken on January 12, 2015 shows sympathizers of German right-wing populist movement PEGIDA (Patriotic Europeans Against th...e Islamisation of the Occident) holding a poster featuring German Chancellor Angela Merkel wearing a head scarf and a slogan reading 'Madame Merkel here are the people' during their twelfth march in Dresden, eastern Germany. Germany's Nazi past has so far prevented the far-right gaining a lasting political foothold but the country now faces an emergent populist movement akin to those in other European countries, analysts say. AFP PHOTO / ROBERT MICHAEL
Quelle: AFP
„Wutbürger“ und „Lügenpresse“ gab es schon einmal, nämlich vor gut vierzig Jahren. Damals ging ein Teil der Studenten auf die Straße. Aus manchen wurden Terroristen, die meisten aber Studienräte.

Immer wieder gehen sie auf die Straße. Ziehen durch die Nacht, schreien an gegen die herrschende Meinung und die „Lügenpresse“, die diese Meinung manipuliert. Lange schon haben sie ihre Gegenöffentlichkeit geschaffen, ihre eigenen Diskussionsforen und Organe, wo sich die schrillen Parolen gegenseitig verstärken. Sie vertreten, davon sind sie überzeugt, die wahren Interessen Deutschlands. Sie sind das Volk. Gemeint sind – die 68er. Wer die „Pegida“-Demonstranten erlebt und – wie der Schreiber dieser Zeilen – damals dabei war, erlebt ein Déjà-vu.

Die Geschichte, sagt Karl Marx, wiederholt sich immer; aber einmal als Tragödie, einmal als Farce. 68 war schon eine Farce. Wir verkleideten uns, jedenfalls in der Spätphase der Bewegung, wie die Revolutionäre der 20er-Jahre; aber wir endeten nicht, wie sie, in den Kellern der Gestapo oder im Gulag, sondern als Studienräte, Anwälte, Ärzte, Journalisten und Politiker. Und nun die Wiederaufführung der Farce, diesmal als fratzenhafte Karikatur.

Was für die radikalen Studenten die „Springer-Presse“ war, das sind für die Wutbürger von Dresden und anderswo die „Mainstream-Medien“. Was damals Zeitungen wie „Agit 883“ oder die „Rote Presse Korrespondenz“ waren, das sind heute Internetforen und Facebook-Seiten. Wo damals die Studenten einen umfassenden „Verblendungszusammenhang“ vermuteten, der die Bürger daran hindere, die tödliche Gefahr des Imperialismus zu erkennen, vermuten die Pegida-Leute eine Verschwörung der Gutmenschen, der die Bürger daran hindern wolle, die tödliche Gefahr des Islam zu erkennen.

Nationalistische Träume

Wo die Studenten übers Protestieren hinausgingen und politische Konzepte entwickelten, waren ihre Träume oft unverblümt nationalistisch. Neutralität schwebte ihnen vor, eine heile Welt jenseits der Blockbildung des Kalten Krieges. Auch die Pegida will, scheint es, Deutschland aus der engen Verbindung mit dem Westen lösen.

Nun mag die Parallele bemüht erscheinen. Und zugegeben, nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Schließlich demonstrierten damals junge Leute, unter ihnen viele Mädchen; heute überwiegen auf den Pegida-Demonstrationen vergrätzte ältere Männer. Damals romantisierte man palästinensische Feddajin und kubanische Guerilleros; die Pegida-Leute romantisieren „das Abendland“. Damals liebte man chilenische Volksmusik und französische Filme; die „Pegida“-Leute lieben Roland Kaiser und RTL.

Doch ist die grundsätzliche und grundlose Entfremdung gegenüber dem „System“ vergleichbar. Grundlos war sie bei den Studenten, deren Anliegen bei allen Klagen gegen die „Macht der Manipulateure“ in allen Leitmedien breit ausgebreitet wurden (eines der meistgelesenen Magazine in studentischen WGs war das zeitweise bei Axel Springer erscheinende „twen“.).

Die Propheten von Pegida

Grundlos ist sie auch bei den Pegida-Demonstranten, deren Stichwortgeber, von Thilo Sarrazin über Udo Ulfkotte bis Akif Pirincci, eine Medienpräsenz haben, von der selbst ein Star wie Rudi Dutschke hätte träumen können.

Nichts wäre verkehrter als nach den „materiellen Ursachen“ solcher Bewegungen zu suchen, eine Suche, die man getrost den wenigen noch praktizierenden Marxisten überlassen kann. Ebenso wenig muss man den Selbstbekundungen der Agierenden glauben. Der Krieg in Vietnam war eine moralische Katastrophe für den Westen; aber es waren ja nicht nur die Studenten, die daran litten und daran arbeiteten, ihn zu beenden (ja, ihre Aktionen hatten vermutlich überhaupt keinen Einfluss auf den Verlauf).

Und die „Islamisierung des Abendlandes“ ist in Dresden noch weniger zu spüren als anderswo in Europa. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um Bewegungen „am Ende der Geschichte“, wie sie Francis Fukuyama antizipierte.

Man will die Komplexität reduzieren, einen Gegner haben, technologische Fragen auf moralische reduzieren
Anzeige

Das Ende der Geschichte, so Fukuyama, werde „eine sehr traurige Zeit“ sein. Idealismus und Tapferkeit, die Bereitschaft, sich für abstrakte Ziele zu opfern, würden ersetzt durch „die ökonomische Berechnung, das endlose Lösen technischer Probleme, Sorgen um die Umwelt und die Befriedigung raffinierter Konsumwünsche“. Kunst und Philosophie würden verdorren und ersetzt werden durch die „ewige Pflege des Museums der Geschichte“. Eine große Langeweile würde sich der Menschen bemächtigen. Und vielleicht wäre die entstehende Langeweile so groß, dass die Reaktion dagegen „die Geschichte wieder in Gang bringen“ würde.

Etwas von der Ungeduld des Herzens gegen die Komplexität der Welt und die technokratische Lösung von Problemen war 68 im Kampf der Studenten gegen das saturierte Wirtschaftswunderland zu spüren, ist jetzt wieder zu spüren in Dresden, wo wie in kaum einer anderen Stadt Geld geflossen ist, um die Stadt als „Museum der menschlichen Gesichte“ wieder aufzubauen.

Man will die Komplexität reduzieren, einen Gegner haben, technologische Fragen auf moralische reduzieren, wo auch derjenige mitreden kann, der keine Ahnung hat. Denn Ahnungslosigkeit ist ein weiteres gemeinsames Kennzeichen der Studenten von 68 und der Pegida-Leute.

Der Terrorist Dieter Kunzelmann besaß viele Gesichter. Einige davon zeigt das Fahndungsplakat von 1970
Der Terrorist Dieter Kunzelmann besaß viele Gesichter. Einige davon zeigt das Fahndungsplakat von 1970
Quelle: picture-alliance/ dpa

Freilich darf man weder die eine noch die andere Bewegung verharmlosen. 68 führte – auch – in die Rigidität der maoistischen K-Gruppen, den Straßenkampf der Anarchisten und den Terror der RAF. Wohin Pegida manche ihrer Anhänger führen wird, ist noch ungewiss. Aber es zeigen sich bereits gefährliche Entwicklungen. Eine der sechs Forderungen der Pegida-Führung ist die „Einstellung der Kriegshetze gegen Russland“.

In Leipzig rief man „Amis raus! Und nehmt die Merkel mit!“ Die „Legida“ fordert außerdem die „Beendigung des Kriegschuldkultes“. So schnell gelangt man vom Kampf gegen die Islamisierung zum Kampf gegen die Amerikanisierung und gegen die Juden. Und da schließt sich auch der Kreis.

Es war der Terrorist Dieter Kunzelmann, der schrieb, die deutsche Linke müsse ihren „Judenknax“ überwinden, bevor sie revolutionär werden könne. „Wir wissen, wer wir sind, aber nicht, was wir werden können“, sagt Ophelia in William Shakespeares „Hamlet“. Auch das galt für die 68er und gilt für die Pegida-Bewegung heute.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema