Kulturschätze:Die Verwüstungen im Irak treffen Christen und Muslime ins Herz

Terrormiliz Islamischer Staat

Ein Standbild aus einem ca. eineinhalb Jahre alten Propagandavideo zeigt Schergen des IS bei der Zerstörung eines Frieses in der antiken Stadt Nimrud, rund 30 Kilometer südöstlich von Mossul

(Foto: dpa)

Wo der IS nicht gewinnen kann, vermint er ganze Stadtteile. Archäologen befürchten, dass die Terrormiliz vor ihrer Niederlage wertvolle antike Denkmäler zerstört.

Von Sonja Zekri

Es ist ja nicht so, dass nur die Schurken eindrucksvolle Videos verbreiten. Am Vorabend des Angriff auf Mossul schenken die irakischen Volksmobilisierungseinheiten PMU den Christen des Landes einen aufbauenden Clip. Die PMU ist eine Dachorganisation für verschiedene, auch christliche Milizen, und ihr Internetfilm zeigt einen Kämpfer auf dem Weg durch eine zerstörte Stadt: Mossul.

Vor einer Kirche bleibt er stehen, zerschlägt mit einem zufällig mitgeführten Hammer das Schloss am Tor und betritt ehrfürchtig staunend den überraschend unversehrten Innenraum. Während er andächtig ein verstaubtes Kruzifix säubert, greift - nächste Szene - ein Frauenarm ein Seil, und in Mossul, wo einst so viele Christen lebten wie kaum irgendwo sonst im Irak, läuten endlich wieder die Glocken. Dies ist das Versprechen.

Nun spricht vieles dafür, dass es mit der Befreiung der Kulturgüter nicht so leicht werden wird - von der Befreiung der Menschen ganz zu schweigen. Denn zum infamen Erbe der Dschihadisten gehören Sprengfallen, die sie überall dort hinterlassen, wo sie sich nicht halten können und die ganze Städte unbewohnbar machen. Wenn sie nicht, dies wäre die schlimmere Variante, im möglicherweise wochen-, wenn nicht monatelangen Kampf jene Bauten und Kulturgegenstände zerstören, die in der einst zweitgrößten Stadt des Landes noch übrig sind: Kirchen, Schreine, die Reste der Objekte im Museum von Mossul - und vor allem Ninive.

Ninive war eine Metropole von gigantischen Ausmaßen

Die antike Stadt liegt am östlichen Ufer des Tigris, einst gegenüber der Stadt Mossul. Inzwischen ist sie längst umgeben von modernen Vierteln. Ninive, bereits vor 4000 Jahren eine bedeutende Stadt, erlebte seine Blüte um 700 vor Christus als Kapitale des neoassyrischen Reiches, nach damaligen Maßstäben war es eine Metropole von gigantischen Ausmaßen.

Zu den jüngsten Kulturfreveln in Mossul gehört die Zerstörung zweier Tore in der Stadtmauer und eines Teils der Befestigungsanlage von Ninive, von denen erste Bilder im Frühjahr um die Welt gingen. Zwar waren das Adad-Tor und das Maschki-Tor Repliken aus dem 20. Jahrhundert, und doch trifft der neue Angriff auf die assyrische Kultur die Menschen der Ninive-Ebene, die dem Erbe der Assyrer verbunden sind, gleich ob Muslime, oder Christ, ins Herz.

Skulpturen, die wie Glas zerbrachen

Mossul war das Fanal, hier begann der Feldzug der Dschihadisten gegen Kulturzeugnisse der Antike, der Christenheit, des Islam. Anfang vergangenen Jahres fielen sie in das Museum der Stadt ein, das nach zehnjähriger Schließung eigentlich gerade wieder hätte öffnen sollen, verwüsteten Vitrinen, stießen Statuen um, vor allem aus der antiken Stadt Hatra, 80 Kilometer von Mossul entfernt gelegen und Weltkulturerbe.

Videos zeigten Skulpturen, die wie Glas zerbrachen, anfangs hofften viele, es seien Kopien gewesen. Heute weiß man: Viele Objekte waren mit Gips restauriert worden, nur sieben der 59 zerstörten Statuen waren keine Originale. Ähnlich schockierend war die Zerstörung der geflügelten Wächterstatue, des Lamassu, am Nergal-Tor von Ninive, über die der IS mit Presslufthämmern herfiel. Wie viel und was von den geschändeten, geplünderten, beschädigten Kulturgütern aus Mossul über die Hehler des "Islamischen Staates" auf dem internationalen Schwarzmarkt für Kulturgüter auftauchte, ist deshalb derzeit noch nicht zu sagen.

Kurz darauf zerstörten sie die Moschee am vermuteten Grab des Propheten Jonas bei Ninive, den Schrein der Propheten Dschirdsches, also Georg, Seth, Daniel und anderer. Wichtige Bibliotheken mit jahrhundertealten Manuskripten fielen ihnen zum Opfer. Das älteste christliche Kloster, Sankt Elias, wurde im Januar dieses Jahres mit Bulldozern und Sprengstoff niedergemacht. Eine der bekanntesten Kirchen, die "Uhren-Kirche", deren Uhrenturm im späten 19. Jahrhundert Eugénie, die Frau Napoléons III., den Dominikaner-Mönchen geschenkt hatte, wurde im April gesprengt.

Iraks Kulturgüter leiden in jedem Krieg, selbst wenn unter den Kriegsparteien keine erklärten Kulturnihilisten sind. Diesmal aber könnte es Mossul besonders hart treffen. Archäologen vermuten, dass der bedrängte Islamische Staat weitere antike und heilige Stätten oder die verbliebenen der einst fast 40 Kirchen mit Sprengstoff versehen hat, dass er mit dem Vormarsch der Gegner eine weitere Zerstörungsorgie entfesselt - und so den Preis für Mossul in die Höhe treibt.

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