Die Universität Bern hat ein Instrument entwickelt, um religiöse Extremisten frühzeitig zu erkennen

Weil religiöse Eiferer ihre Ansichten oft verbergen, sind extremistische Tendenzen nicht leicht erkennbar. Ein neues Assessment soll verhindern, dass Islamisten zu Seelsorgern ausgebildet werden. Die Behörden zeigen Interesse.

Daniel Gerny
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Auch im Asylbereich soll genauer hingeschaut werden, was für eine Gesinnung Betreuer haben. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Auch im Asylbereich soll genauer hingeschaut werden, was für eine Gesinnung Betreuer haben. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Härtere Gerichtsurteile, schärfere Strafnormen, mehr Überwachung durch den Nachrichtendienst: Solche Massnahmen standen auch in der Schweiz rasch im Vordergrund, als die Abwehr gegen den islamistischen Terror vor ein paar Jahren zum Thema wurde. Doch inzwischen zeigt sich, dass der Kampf gegen islamistische Strömungen viel früher beginnen muss: Wenn Fanatiker in der Statistik des Nachrichtendienstes auftauchen, weil sie in den Irak oder nach Syrien in den Jihad gereist sind, ist es in den meisten Fällen zu spät. Mehr und mehr fokussieren die Behörden nun darauf, Radikalisierungstendenzen möglichst frühzeitig zu erkennen.

Anfang Dezember wollen Bund und Kantone unter dem Titel «Nationaler Aktionsplan» ein ganzes Paket von präventiven Massnahmen präsentieren. Dabei spielen Betreuungspersonen und Seelsorger eine wichtige Rolle. Es ist bekannt, dass Imame einen grossen Einfluss auf Gläubige haben. Konservative Vorbeter, oft mit ausländischem Geld finanziert, tragen dazu bei, dass radikale und islamistische Strömungen vermehrt auch im Mehrheitsislam salonfähig werden. Auch in Asylzentren oder im Strafvollzug besteht ein Risiko der Indoktrination. Es muss deshalb möglichst verhindert werden, dass Personen mit extremistischem Gedankengut in Positionen mit solchen Fürsorgefunktionen gelangen. Diskutiert wird vor diesem Hintergrund unter anderem über eine Meldepflicht für private Betreuungspersonen.

Extremisten weichen aus

Gleichzeitig gewinnt die Ausbildung von Seelsorgern vor diesem Hintergrund an Gewicht. Interesse zeigt der Sicherheitsverbund Schweiz (SVS), unter dessen Federführung die Entwicklung des Nationalen Aktionsplans steht, an einem berufsbegleitenden Lehrgang, der vom Institut für Praktische Theologie an der Universität Bern derzeit unter dem Titel «Religious Care in Migration Contexts» zum ersten Mal durchgeführt wird: Während es für christliche Seelsorger eigene universitäre Studiengänge gibt, fehlte bisher eine solche systematische Begleitung in anderen Religionen. Nun lernen zwölf Studierende, rund die Hälfte von ihnen Muslime, den «reflektierten Umgang mit religiösen und kulturellen Fragen im Migrationskontext», wie es die Universität umschreibt.

Für die Behörden interessant ist aber nicht nur der Kurs, sondern auch das Testverfahren, mit dem die Uni sicherstellt, dass keine Fundamentalisten am Lehrgang teilnehmen. Die Bewerber lässt man ein mehrstufiges Assessment durchlaufen, um Personen mit einer radikalen Grundhaltung auszusortieren, wie Isabelle Noth, Programmleitungspräsidentin und Professorin für Seelsorge und Religionspsychologie, gegenüber der NZZ erklärt. Weil Personen mit extremen Ansichten dazu neigen, in herkömmlichen Interviews kritischen Fragen auszuweichen oder erwünschte Antworten zu liefern, sind Radikalisierungstendenzen nicht ohne weiteres erkennbar.

Vortäuschen fast unmöglich

Zur Anwendung kommt unter anderem ein sogenannter impliziter Assoziationstest, ein auf der Reaktionszeit basierendes Computerverfahren. Der Schwerpunkt der Eignungsabklärung liegt aber auf Interaktion: In einem Rollenspiel oder einer Gruppenarbeit werden die Personen mit einer spezifischen Situation aus dem Bereich Familie oder Sexualität konfrontiert. In einer solchen Übungsanlage ist es viel schwieriger, eigene Haltungen zu unterdrücken oder ein erwünschtes Verhalten vorzutäuschen. Verschiedene Elemente der nonverbalen Kommunikation gäben ebenfalls Hinweise, wenn jemand für die Seelsorge nicht geeignet sei, erklärt Noth: «Wertvorstellungen kommen unweigerlich zum Ausdruck.»

Die Universität Bern gibt nicht bekannt, wie viele Personen das Assessment nicht bestanden haben. Es sei für Fundamentalisten aber sehr unwahrscheinlich, unentdeckt zu bleiben. Laut Noth eignet sich das Verfahren, das in Zusammenarbeit mit dem klinischen Psychologen Hansjörg Znoj von der Universität Bern entwickelt worden ist, aber nicht nur zur Selektion der Teilnehmer des neuen Uni-Lehrgangs, sondern grundsätzlich überall dort, wo seelsorgerische Fähigkeiten gefragt sind – also beispielsweise auch bei der Auswahl von Betreuungspersonen im Asylbereich oder im Strafvollzug. Solche Instrumente seien von wachsendem Interesse, erklärt André Duvillard, der als SVS-Delegierter bei den Arbeiten am Nationalen Aktionsplan federführend ist.

Instrumente zur Früherkennung haben in den letzten Jahren generell an Bedeutung gewonnen. Vor allem die Sicherheitsbehörden versuchen anhand von charakteristischen Merkmalen gefährliche Personen möglichst frühzeitig zu erkennen und wenn möglich unter Kontrolle zu bringen. Als Vorreiter in der Schweiz gelten die Kantone Zürich und Solothurn.

Auch Amokläufer im Visier

Die Solothurner Kantonspolizei und die Stadtpolizei Zürich setzen seit Jahren auf das computerbasierte Dynamische Risiko-Analyse-System (Dyrias), andere Kantone sind inzwischen gefolgt. Im Vordergrund stehen aber nicht religiöse Extremisten, sondern potenzielle Amokläufer. Auch die Vorgehensweise unterscheidet sich vom Assessment, das die Universität Bern entwickelt hat. Dyrias setzt nicht auf Interaktion, sondern vergleicht Informationen über eine Person mit Daten von realen Amokläufen.