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Buch von Maryam A. : Deutsche IS-Aussteigerin erklärt, warum sie sich dem Islamischen Staat anschloss
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Kämpfe in Al-Rakka
dpa Die deutsche Maryam A. entschied sich 2014 dem Islamischen Staat beizutreten.

Die Deutsche Maryam A. verließ mit Mitte 20 ihre Heimat und schloss sich mit ihrem Mann dem sogenannten „Islamischen Staat“ an. Im Sommer 2014 kommen Maryam und ihr Mann in Syrien an, wenige Tage später ruft IS-Führer al-Baghdadi das „Kalifat“ aus.

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Doch sie wendet sich von der menschenverachtenden Terrormiliz ab. Nach monatelangen Vorbereitungen gelingt es ihr dann 2016, zu fliehen. Nun hat Christoph Reuter die Erfahrungen der IS-Aussteigerin protokolliert. "Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt" ist im DVA-Verlag erschienen. (256 Seiten, 18 Euro) FOCUS Online veröffentlicht den Prolog „Wo anfangen?“.

"Seit geschlagenen zwei Stunden laufe ich über steinige Äcker. Vor mir der Schmuggler und zwei weitere Männer. Neben mir zwei Frauen. Ich male mir aus, was passiert, wenn plötzlich eine Gruppe IS-Kämpfer auf uns aufmerksam wird. Das wäre das Todesurteil für unseren Schmuggler, bei dessen Familie ich die letzten fünf Tage versteckt leben musste. In Gedanken versunken sehe ich, wie Abdullah, unser Schmuggler, die Hand hebt, um uns zu sagen, dass wir stehen bleiben sollen. Sofort gehen alle in die Hocke.

Nachdem sich mein Atem beruhigt hat, höre ich, wieso wir nun auf dem Feld hocken. Das Knacken und Rauschen eines Funkgerätes. Dazu mehrere Männerstimmen. Ein Wachposten des IS. Ganz in unserer Nähe. Kurz darauf nähert sich auf der Landstraße hinter uns ein Auto. Neben mir legt sich eine der Frauen ganz flach auf den Boden.

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Es ist eine warme Augustnacht. Man hört immer mal wieder das Bellen der vielen Straßenhunde. Vor uns sieht man die türkische Grenze. Hell beleuchtet. Ich denke an die Tage in der Türkei, bevor ich nach Syrien kam. Auf der türkischen Autobahn, 100 Kilometer vor Gaziantep, stand „Aleppo“ auf den Schildern. Das war endgültig der Moment, in dem ich mir das erste Mal in meinem Leben gewünscht habe, dass mich die Polizei anhält, einbuchtet, und zurück nach Deutschland abschiebt.

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Doch das ist nicht passiert. Und nun ist dieser Wunsch mehr als zwei Jahre her. Das leise Flüstern der Männer macht mich müde. Wir laufen etwa hundert Meter neben einer Landstraße. Plötzlich ein lauter Knall. Blitzschnell wieder auf den Boden. Ein zischendes Geräusch. Wir wissen, dass in weniger als zwei Sekunden etwas einschlagen wird. Wo es genau landet, ob es uns direkt trifft oder wir nur Splitter abbekommen, ist ungewiss. Fakt ist allerdings: Wir wurden entdeckt. Sie haben etwas Großkalibriges auf uns abgefeuert."

Meine Flucht aus dem Kalifat

Diese Zeilen aus meiner Zeit beim „Islamischen Staat“ waren die allerersten, die ich vor einigen Monaten geschrieben habe. Der Anfang von dem, was nun ein Buch geworden ist. Dabei handeln sie von meinen letzten Momenten beim IS, genauer: von meiner Flucht aus dem Kalifat. Sie erzählen davon, wie ich es nach monatelangen Vorbereitungen endlich schaffte zu entkommen. Warum ich beim Schreiben mit meiner Flucht anfing? Vielleicht, weil es mir am leichtesten fiel.

Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt
DVA "Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt"

Warum geht jemand überhaupt zum IS?

Denn die Frage, warum jemand vor dem IS flieht, beantwortet sich jedem wie von selbst. Klar, nichts wie weg! Die viel größere Frage aber lautet natürlich: Warum geht jemand überhaupt dahin? Wieso bin ich zum IS gegangen? Als Frau, als Deutsche, nicht verschleppt mit vorgehaltener Waffe, sondern letzten Endes: freiwillig. Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Vor allem ist sie: unangenehmer.

Wo anfangen? Dass es ein Fehler war? Ja, war es, klar. Aber das sagt sich ebenso rasch, wie sich die Flucht erzählen lässt. Und erklärt doch nichts. Wo also anfangen? Dass ich als Kind sauer war auf meine zerbrochene Familie, keinen Bock hatte auf die Schule, irgendwann einfach nicht mehr hingegangen bin? Dass ich auf niemanden gehört habe und fand, dass mir niemand zuhört? Dass ich gekifft und in den Tag hineingelebt habe, aber dann einen Menschen traf, der mich verstand, einfach im richtigen Moment da war und Großzügigkeit zeigte? Dass dieser Mensch Muslim war und mich neugierig machte auf den Glauben?

Mit 19 Jahren konvertierte sie zum Islam

So ist mein Leben verlaufen, bis ich 19 war und zum Islam konvertierte. Eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe, als Lebensinhalt, nicht um irgendwo hinzugehen und Bomben zu werfen. Wo soll ich weitermachen? Dass ich aus Dummheit einen Mann geheiratet habe, vor dessen Verwandtschaft ich am Ende ins Frauenhaus floh? Dass ich mich dann verliebte in einen anderen Mann, dessen türkische Mutter mich hasste, weil ich eine Deutsche und keine Türkin war? Dass wir als Paar keine Jobs hatten, kein Geld, keine Wohnung? Dass wir beide, er und ich, empört waren über die Gleichgültigkeit in Deutschland gegenüber dem Grauen in Syrien? Und dass er dann an die falschen Leute geriet, die ihm versprachen, uns den richtigen Weg zu weisen? Dass ich schließlich mitging aus Angst, ihn sonst zu verlieren?

Ich kann die Frage „Warum bist du zum IS gegangen?“ nicht einfach beantworten. Denn es gibt die eine, klare Antwort nicht. Es gab eine ganze Reihe von Schritten, Entscheidungen in meinem Leben, durch die ich erst in die Lage gekommen bin, diesen letzten Schritt zu tun. So, wie es viele kleine Dinge in jedem Leben gibt, die einen dazu bringen können, saudumme Entscheidungen zu treffen.

Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung

Die meisten dieser Entscheidungen kann man rückgängig machen, oder zumindest kann man ihre Folgen wieder in Ordnung bringen. Andere ruinieren dein Leben. Das entschuldigt nichts. Aber vielleicht erklärt es ein wenig, warum diese letzte Entscheidung für die Reise nach Syrien damals nicht Ergebnis eines kometenhaften Sinneswandels war, keine plötzliche Eingebung, ab heute alle Ungläubigen abknallen zu wollen, nein. Sondern, warum es sich damals anfühlte wie bloß ein weiterer Schritt in die falsche Richtung, als alles sowieso beschissen war.

Als es keine richtigen Schritte gab, weil wir beide, mein Mann und ich, das Gefühl hatten, überall vor Mauern zu rennen. Wären nur ein paar Dinge in unserem Leben anders gelaufen, wäre unser Weg ein anderer geworden. Wenn man zurückschaut, erscheint alles so klar: Hier bist du falsch abgebogen, dort hast du einen Fehler gemacht. Aber wenn man mittendrin ist, sieht man es nicht so klar.

Wieder: keine Entschuldigung. Aber im Nachhinein wünsche ich mir, dass jeder Mensch im Leben eine Person hat, die einem sagt: „Hör mal, das, was du tust oder tun willst, ist falsch! Du schadest dir oder anderen damit!“ Ein Mensch, der einfach da ist für einen in schweren Zeiten und, ja, der weiter denkt, als man es selbst tut in solchen Momenten.

"Es ist meine ganz persönliche Hölle der Schuld"

Dass ich 2014 letztlich mit meinem Mann nach Syrien gegangen bin, um ihn nicht zu verlieren, aber dann 2016 ohne ihn geflohen bin, ist das Furchtbarste. Es ist meine ganz persönliche Hölle der Schuld: dass ich mir seit meiner Entscheidung zur Flucht immer wieder denke, ohne mich wäre er gar nicht erst zum IS gegangen.

Obwohl er angekündigt hatte, auch alleine zu gehen, wenn ich nicht mitkäme. Damals war ich zu schwach, habe anstatt nein zu sagen, bei jeder Passkontrolle, auf jeder Autobahn zwischen Frankfurt und Gaziantep gehofft, dass sie uns rauswinken, anhalten, durchsuchen, festnehmen und zurückschicken.

"Mich habe ich gerettet. Ihn nicht."

Aber niemand hat uns aufgehalten auf unserem Weg zum IS. Als ich endlich stark genug war zu gehen, konnte ich meinen Mann nicht retten. Ich konnte es ihm nicht einmal ins Gesicht sagen, dass ich ihn im Stich lassen werde, obwohl ich ihn liebe. Er wollte nicht fort, das wusste ich. Und ich hatte zu viel Angst, dass er auch mich nicht fortlassen würde. Mich habe ich gerettet. Ihn nicht.

Ich hoffe, dass dieses Buch hilft zu verstehen: mich, aber auch andere, die einen ähnlichen Weg gegangen sind, die ihre Fehler eingesehen und oft teuer für sie bezahlt haben. Vielleicht hilft es, uns nicht alle als wahnsinnige Terroristen abzustempeln. Und hoffentlich hilft es anderen, nie, nie einen solchen Weg einzuschlagen.

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