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„Die Mutter hat ihren Sohn immer geliebt“

Kultur / Lesedauer: 6 min

Ghafoor Zamani über die gefährlichen Dreharbeiten zu „Sebastian wird Salafist“
Veröffentlicht:19.11.2017, 20:57

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Wenn auf einen die Bezeichnung „investigativer Journalist“ zutrifft, dann auf Ghafoor Zamani. Der gebürtige Afghane geht seit Jahrzehnten mit seiner Kamera dahin, wo’s brodelt, zeigt Entwicklungen auf, vor denen man lieber die Augen verschließen würde. Für seine Dokumentation, die am Mittwochabend in der ARD im Anschluss an den Spielfilm „Brüder“ läuft, hat er drei Jahre lang den Abiturienten Sebastian aus Wuppertal begleitet. An sich kein spektakuläres Unterfangen, doch Sebastian ist mit 16 Jahren zum Islam konvertiert und rutscht immer tiefer in die radikale salafistische Szene ab, hat Kontakt zu Hasspredigern wie Sven Lau. Katja Waizenegger hat sich mit Zamani darüber unterhalten, warum ihn kein Kameramann in ein Salafisten-Lager bei Wuppertal begleiten wollte – und was Sebastian letztlich gerettet hat.

Wie haben Sie Sebastian kennengelernt?

Ich recherchiere seit Jahren in islamistischen Kreisen, gehe der Frage nach, warum das mit der Integration in Deutschland so schwierig ist. Dabei treffe ich immer wieder auch auf Konvertierte, so wie Sebastian. Er ist mir aufgefallen, weil er sehr nett war. Er hatte kein Problem damit, vor der Kamera zu sprechen. Man findet in diesen Kreisen nicht leicht Leute, die offen vor der Kamera sprechen.

Warum hat er Vertrauen zu Ihnen gefasst?

Ich bin gebürtiger Afghane, Moslem. Und Moslems betrachten sich gegenseitig als Brüder, man vertraut sich. Aber ich habe Sebastian auch von vornherein offen und ehrlich gesagt, dass ich fürs Fernsehen drehe, aber nicht mit versteckter Kamera arbeite. Er hat mich aber auch akzeptiert, weil ich mehr über den Islam weiß, als er.

Was sind Salafisten ?

Als „Salaf“ bezeichnet man die „Vorfahren“, diejenigen, die zur Zeit Mohammeds mit ihm gelebt haben. Der Salafismus heute ist eine radikale Strömung innerhalb des Islams. Ein Teil der Bewegung ist auch bereit, die Regeln des Islam mit Gewalt durchzusetzen. Sebastian gerät im Zuge seiner Radikalisierung auch in den Dunstkreis von Sven Lau, einem der führenden Salafisten in Deutschland. Er wurde im Sommer zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Wie hat sich Sebastian im Laufe der drei Jahre, die Sie ihn mit der Kamera begleitet haben, verändert?

Sebastian war schon ein bisschen naiv. Ein absolut netter, freundlicher Mensch, aber eben auch gutgläubig. Er ist einfach mit seinen muslimischen Freunden mitgegangen, weil er nicht allein sein wollte. Sie sind zusammen essen gegangen, in die Moschee, haben eine Shisha geraucht, Computerspiele gemacht.

Wie ging es dann weiter?

So ab 2015 haben die Terroranschläge zugenommen. Als dann einige aus Sebastians Freundeskreis, auch aus der „Lies“-Gruppe, verhaftet wurden, kam er ins Grübeln. Eigentlich wollte er 2015 noch einen „Sharia“-Kurs besuchen, wir wollten das zusammen machen. Aber dann hat er Angst bekommen, dass der Verfassungsschutz diese Veranstaltung beobachtet.

Und wie kam es zur Abkehr von den radikalen Salafisten?

Die Flüchtlingskrise war die große Erleuchtung, wie er selber sagt: Als er mitbekommen hat, dass immer mehr Flüchtlinge aus muslimischen Ländern ausgerechnet zu den „Kuffar“, den „Ungläubigen“ flüchteten, hat er gespürt, dass etwas nicht stimmt. Er hat nicht verstanden, warum das reiche Saudi-Arabien die sunnitischen Flüchtlinge nicht aufgenommen hat. Oder der Iran die Schiiten. Denn Hilfe für den Bruder ist Pflicht für jeden Moslem. Er hatte bis dahin das Gefühl, dass der Islam die gerechtere Religion sei. Dieser Glaube hat in der Flüchtlingskrise Risse bekommen.

Was hat Sebastian davor bewahrt, wie Jan, die Hauptfigur in dem Spielfilm „Brüder“, mit dem „Islamischen Staat“ (IS) in den Kampf zu ziehen?

Ich glaube, dass seine Eltern eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Mutter hat nie aufgehört, ihren Sohn zu lieben. Sie war immer auf seiner Seite, auch wenn sie kritisiert hat, was er tut. Zum Beispiel, als er sich in seinem Kaftan (weißes Gewand) in der Stadt gezeigt hat. Auch der Vater, ein katholischer Theologe, hatte immer Verständnis für ihn, vielleicht sogar etwas zu viel. Er hat die Gefahr etwas unterschätzt. Das Wichtigste aber war: Die Eltern haben nie den Kontakt zu ihrem Sohn abgebrochen.

Was würden Sie Eltern raten, deren Kind sich dem Islam zuwendet?

Sie sollten sich darüber informieren, was es für eine Moschee ist, in die ihr Kind geht. Gemäßigte Muslime würden nie raten, die Beziehung zu den Eltern abzubrechen. Salafisten schon.

Gab es gefährliche Situationen während der Dreharbeiten?

Ja, zum Beispiel als ich in diesem Zeltlager der Salafisten zwischen Wuppertal und Düsseldorf war, in dem ich auch mit Sven Lau gesprochen habe. Da gab es schon Situationen, in denen ich mich nicht mehr sicher gefühlt habe. Ich war dort ganz allein, da ich keinen Kameramann gefunden habe, der mit mir dorthin gehen wollte. Wie sehr sich Deutschland doch verändert hat! Früher hatte ich Probleme, einen Kameramann zu finden, der mich nach Afghanistan begleitet. Bei dem Dreh hatte ich ein Problem, einen Kameramann zu finden, der mit mir in einen Wald bei Wuppertal geht.

Erwarten Sie Ärger mit muslimischen Brüdern nach Ausstrahlung Ihres Films?

Es kann schon sein, dass gewaltbereite Salafisten aus dem Umfeld von Sebastian etwas unternehmen. Aber an sich sind sie noch nie einen Journalisten angegangen – sofern er den Propheten Mohammed nicht beleidigt hat. Aber vielleicht wird mir ja noch zum Verhängnis, dass ich mit Ungläubigen zusammenarbeite …

Hätte Sebastian auch so enden können wie Jan in dem Spielfilm, als Märtyrer für den IS?

Ja, das hat er ja auch selbst so geäußert. Wenn man erst einmal in so einem Ausbildungslager des IS ist, ist es für Zweifel zu spät. Es wird einem alles abgenommen, Pass, Handy, alle Dokumente. Man hat keine Chance mehr herauszukommen.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sebastian in den Dschihad gezogen wäre? Hätten Sie versucht, ihn davon abzuhalten? Ihn begleitet?

Ich könnte nicht zuschauen, wie seine „Brüder“ ihn in den Tod führen. Ich hätte irgendeinen Weg gefunden, das zu verhindern.