Dringend gesucht – der Gott des Lachens

Auf dem Tahrir-Platz triumphierte auch der ägyptische Humor. Was ist von ihm geblieben? Der Schriftsteller Chalid al-Chamissi hat nachgeforscht.

Chalid al-Chamissi
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Wann geht die lange Dürrezeit nach dem Arabischen Frühling endlich zu Ende? (Emilio Morenatti / AP)

Wann geht die lange Dürrezeit nach dem Arabischen Frühling endlich zu Ende? (Emilio Morenatti / AP)

Im Süden Ägyptens, nahe Assuan, erhebt sich ein mächtiger, gespaltener Felsblock, den man die Hungersnotstele nennt. Über seine Frontseite zieht sich eine über zweitausend Jahre alte Hieroglyphenschrift; sie berichtet von einer Hungersnot, die der Pharao Djoser erst durch eine grosse Opfergabe beenden konnte. Sieben Jahre soll die Dürre gedauert haben, weil der Nil nicht wie gewohnt über die Ufer trat und die Böden fruchtbar machte. Diese ominöse Sieben begegnet uns öfters in historischen und religiösen Schriften – und auch heute wieder beschäftigt sie die Ägypter.

Manch einer fragt sich, ob sieben Jahre nach dem Arabischen Frühling die lange Zeit der Dürre endlich zu Ende geht; eine Zeit, in der Machthaber unterschiedlicher Couleur jeden Keim politischen und gesellschaftlichen Wandels erstickten. Und viele denken sehnsüchtig zurück an die Springflut von Liedern, Gedichten und Kunstwerken, welche die Revolution Anfang 2011 freigesetzt hatten. Auf den Hausmauern erschienen Verse, wir ergötzten uns an geistreichen Graffiti, der Mutterwitz, für den die Ägypter berühmt sind, stand in prächtigster Blüte. Mit der repressiven Politik ist das alte Grau in unsere Strassen zurückgekehrt. Ist auch das Lachen auf den Gesichtern erloschen?

Heiterkeit – unser Erbe

Kosmetikgefäss in Gestalt der Gottheit Bes. (Bild: Daderot)

Kosmetikgefäss in Gestalt der Gottheit Bes. (Bild: Daderot)

Vor langer Zeit erdachten die Söhne des Nils eine Gottheit namens Bes. Der stämmige Zwerg schützte die Menschen vor allerhand Übeln, aber seine edelste Pflicht war es, Spass und Heiterkeit zu verbreiten. Er war der Patron des Tanzes, des Gesangs und der Freude. Dafür liebten ihn die Ägypter; sie stellten sein Abbild in ihren Häusern auf, und wer es betrachtete, dem ging ein Lächeln übers Gesicht.

Das Lachen ist unser eigentliches Wahrzeichen, die Gabe des Nils, der Sonne und eines Bodens, dessen Früchte nach Paradies schmecken. Was könnte schöner sein? Wenn einmal einer finster dreinschaut, dann sagen wir: «Lach doch, dann lacht dir die Welt.» Sogar unser Meer lacht. In einem Gedicht, das Badie Khairy 1919 – im Jahr der grossen Revolution gegen die britische Kolonialherrschaft – verfasste und aus dem ein bekanntes Lied wurde, heisst es:

Das Meer lacht – warum?

Wegen der Schönen

Die kokett sich wiegend niedersteigt

Um ihre Krüge zu füllen.

Sind das Lächeln, das Lachen und die Lust am Scherz die rechtmässigen Kinder der strahlenden Sonne über dem Nil? Oder lachen wir vielmehr, damit wir nicht sklerotisch werden ob den Zumutungen jahrtausendelanger politischer Misswirtschaft? Schliesslich ist schon in den rund viertausend Jahre alten «Klagen des beredten Bauern» vom Unrecht die Rede, das ein Landmann im Niltal erleidet und gegen das er sich klug, doch lange Zeit vergeblich wehrt. Vielleicht wurde der Gott Bes ja ins Leben gerufen, damit er dem Leid Paroli bietet, das die Politik über uns bringt; vielleicht lächeln wir, um das Unrecht, das wir dauernd schlucken müssen, wenigstens mit Ironie zu würzen.

Das Meer zürnt

Im Jahr 1974 antwortete der Dichter Naguib Surur mit folgenden Zeilen auf die zuvor zitierten Verse von Badie Khairy:

Das Meer lacht – warum?

Und ich steige nieder, kokett mich wiegend,

um die Krüge zu füllen.

Das Meer ist zornig, es lacht nicht

Denn die Geschichte ist nicht zum Lachen

1974 schlug Anwar al-Sadat einen politischen Kurs ein, der sich als katastrophal für die ägyptische Gesellschaft erweisen sollte, und unser Meer begann zu zürnen. Gibt es einen Punkt, wo das Unrecht so gross wird, dass die Geschichte nicht mehr zum Lachen ist? Und sind wir heute in Ägypten so weit über diesen Punkt hinaus, dass das Meer zorniger ist denn je? Oder hat sich sein Zorn seit 1974 gar nie gelegt?

In vielen Disziplinen unterwegs

Chalid al-Chamissi, 1962 in Kairo geboren, studierte Politikwissenschaften und ist neben seiner literarischen Arbeit auch als Journalist für ägyptische Zeitungen tätig. Zudem realisierte er als Regisseur und Drehbuchautor Spiel- und Dokumentarfilme. In deutscher Übersetzung erschienen beim Lenos-Verlag seine Erzählsammlung «Taxi», die in Ägypten zum Grosserfolg wurde, und der Roman «Arche Noah».

Die Menschen, die Anfang 2011 auf die Strasse gingen, haben nichts von dem bekommen, was sie von der Politik forderten. Keine soziale Gerechtigkeit, nicht einmal ein Mindestmass an Menschenwürde. Was bleibt den Ägyptern jetzt noch? Die Wut – oder der Mutterwitz?

Im vergangenen April ging über Kairo ein sintflutartiger Regen nieder, wie man ihn hier kaum je erlebt. Die Strassen verwandelten sich in stehende Gewässer, überflutete Tunnels mussten gesperrt werden, Autos blieben zuhauf auf der Strecke, und ihre Insassen waren stundenlang in ihnen gefangen. Wer auf der Ringstrasse unterwegs war, die Kairo umgürtet, der musste die ganze Nacht im Auto verbringen.

Blitzschnell verbreiteten sich Witze über unsere Stadt, deren Strassen sich so unversehens in Wasserwege verwandelt hatten: Da soll etwa ein Mütterchen den Sohn übers Telefon gebeten haben, ihr doch gleich eine Taucherausrüstung zu besorgen und auf dem Heimweg aufzupassen, dass ihn kein Hai erwische. Und gleichzeitig machte sich die Wut der Bürger Luft – in einem Video etwa, das eine junge Frau zeigt, die vor ihrem in einer endlosen Schlange blockierten Wagen steht. Der Morgen dämmert, seit mehr als acht Stunden haben sich die Autos keinen Zentimeter bewegt, die Frau hat ihr Töchterchen auf dem Arm, und im Auto sitzt ihre Mutter. Sie habe bei allen möglichen Behörden angerufen, damit man sie aus diesem Desaster befreie, brüllt die Frau, aber niemand nehme das Telefon ab. Das tönt vielleicht auch wie ein Witz, aber die Frau war ausser sich vor Angst um ihr Kind.

Lachhafte Verlautbarungen

Ständig schwanken wir zwischen Mutterwitz und heller Wut. Wir drehen die Verlautbarungen der Regierung ins Lächerliche – wobei sie manchmal schon so lachhaft sind, dass sie nur noch Wut erzeugen. Hören Sie sich ein paar Beispiele an: «Es gibt eine böse Macht. Und diese Macht heckt Pläne aus, um den ägyptischen Staat zu zerstören.» Das tönt doch ein wenig wie die weiland von Bush Junior beschworene «Achse des Bösen», nicht? – «Die Wirtschaftsleistung des Landes ist schwach. Es ist unabdingbar, dass die Armee einschreitet und das Wachstum ankurbelt, um zu retten, was noch zu retten ist.» – «Es gibt Kräfte, die auf eine Zerstörung des Staates hin arbeiten, aber die Regierung wird das unter allen Umständen verbieten.» – «Ägypten ist ein armes Land, und das Volk sollte sich dessen bewusst sein, wenn es wirtschaftliche Rechte fordert.» – «Die Ägypter müssen sich mit den Preiserhöhungen abfinden, denn sie sind eine Art Schockbehandlung, die aber langfristig Früchte tragen wird.» – «Die Regierung wird keine weiteren Demonstrationen mehr erlauben.»

Seit eh und je gibt es in Ägypten Radiosender, welche die neuesten Witze aufgreifen; in Windeseile kennt man sie landauf, landab an beiden Ufern des Nils, die Leute brauchen sich nur ins Café zu setzen und hinzuhören, um auf dem Laufenden zu sein. Einen Sender, auf dem man seiner Wut Ausdruck geben könnte – den allerdings gibt es nicht. Und das ist gefährlich.

Auffallend ist auch, dass in den letzten paar Jahren keine Komödie mehr auf ägyptischen Bühnen Furore machte, obwohl solche Produktionen früher die kommerzielle Theaterszene dominierten. Dasselbe im Kino: Filmkomödien, einst ein sicheres Erfolgsrezept, ziehen nicht mehr; es sind andere Genres, die derzeit grosse Besucherzahlen verzeichnen. Auch die Karikatur, die in einigen ägyptischen Zeitschriften eine tragende Rolle spielte, hat spürbar an Bedeutung verloren. In früheren Jahrzehnten habe ich noch erlebt, wie sich die Leute täglich auf die Karikaturen in den Tageszeitungen stürzten; diese Zeiten sind vorbei.

Ein Zeitalter des Mittelmasses

Logischerweise fragt man sich, warum das so ist. Wir lebten halt in einer Ära der Halbgebildeten und mässig Talentierten, entgegnen einige. Derjenigen, die nur die Oberfläche sähen. Was diese an Gedanken, Politik oder Kunst hervorbrächten, gehöre in den Papierkorb der Geschichte.

Aber ist das die ganze Antwort? Ich glaube nicht. Vielmehr denke ich, dass die Ägypter in den letzten paar Jahren ihrer Wut nicht mehr genügend Ausdruck geben konnten, weil die Kanäle verstopft sind, und dass sie auch nicht mehr genug Witze machen. Plötzlich ist der Gott Bes verschwunden, und keiner ist da, der ihn ersetzt.

Wer ihn findet, wird hiermit dringend gebeten, sich umgehend bei der Redaktion zu melden und seinen derzeitigen Aufenthaltsort bekanntzugeben.

Aus dem Arabischen von as.