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Salafismus

Wie radikale Prediger Mesut Özils Rücktritt instrumentalisieren

Während Medien Özil überzogen kritisieren, versuchen Salafisten wie Pierre Vogel, jene für sich zu gewinnen, die sich in Özils Erklärung wiedererkennen: junge Muslime und Deutsch-Türken.
Foto Mesut Özil: imago | SKATA || Pierre Vogel: EPD || Collage: VICE

Ein Fan im Stadion nannte ihn "scheiss Türkensau", die AfD-Fraktionsvorsitzende schrieb von "gescheiterter Integration" und der DFB-Präsident soll die Anfeindungen nicht ernstgenommen haben: Mesut Özil hat genug und ist aus Nationalmannschaft zurückgetreten. Die Bild und Bayerns Uli Hoeneß kritisieren Özils am Sonntag veröffentlichte Erklärung, Menschen aus der Politik und den Medien und Fans solidarisieren sich mit dem Spieler. Doch Applaus kommt auch von zweifelhaften Akteuren: Deutschlands Salafisten scheinen nur auf einen Fall wie den des Muslims Özil gewartet zu haben. Die Posts der Prediger bringen dabei mehr als nur Klicks und zeigen, wie gefährlich es ist, wenn die Gesellschaft Rassismus nicht anerkennt.

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Auch bei VICE: Der "Islamische Staat"


Als Erstes meldete sich Pierre Vogel auf seiner Facebook-Seite zu Wort. Mit seinem Statement lasse sich der Fußballer "nicht zum Sklaven der gleichgeschalteten deutschen Lügen-Presse machen", schrieb Vogel. Özils Mut und seine Zivilcourage seien ein Paradebeispiel für gelungene Integration.

Vogel aka Abu Hamza ist der bekannteste deutsche Konvertit und einer der führenden Ideologen der Salafisten-Szene. Jugendliche nötigen ihn zu gemeinsamen Selfies, wenn er durch deutsche Innenstädte geht. Zwar distanziert sich Vogel von der Terrororganisation Islamischer Staat, wollte 2011 aber noch ein Totengebet für Osama Bin Laden in der Frankfurter Innenstadt durchführen. Zu seinen engsten Vertrauten zählen Bilal Gümüs und Sven Lau. Gümüs steht aktuell vor Gericht, weil er einem 16-Jährigen bei der Ausreise nach Syrien geholfen haben soll. Lau wurde im Juli 2017 wegen "Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung" zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Trotz oder gerade wegen solcher Verbindungen und Ansichten erreicht Vogel fast 300.000 Menschen auf Facebook. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels wurde der Beitrag fast 1.500 Mal gelikt. "Respekt, Mesut Özil", schreibt einer von Vogels Followern, "er wird noch zum Volkshelden und zum Symbol für den Kampf gegen den deutschen Rassismus und die gleichgeschaltete BRD 'Presse'".

Der Satz aus Özils Erklärung, der derzeit am meisten Beachtung findet, lautet: "In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen – und ein Immigrant, wenn wir verlieren." Auch Eyad Hadrous teilte ihn. Hadrous ist der Imam der vom Verfassungsschutz beobachteten Berliner Al-Nur-Moschee und erreicht bis zu 13.000 Menschen auf Facebook. Dort scheinen viele Özils Satz nachvollziehen zu können. "Zukünftig werden viele {[(deutsche)]} Spieler mit ausländischen Wurzeln nicht für die Nazi-onal Mannschaft spielen wollen" (sic), schreibt einer von Hadrous’ Fans.

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Ähnliche Diskussionen finden sich auch unter dem Post zu "unserem lieben Bruder" der Seite "Generation Islam" oder des radikalen Schweizer Imam, Abdel Azziz Quassim Illi. "Generation Islam"-Videoprediger Ahmad Tamin arbeitet etwa auch mit Hadrous zusammen und erreicht 20.000 YouTube-Abonnenten und -Abonnentinnen und 65.000 Facebook-Fans, Abdel Azziz Quassim Illis Frau, Nora Illi, verteidigte im deutschen Fernsehen bereits den bewaffneten Kampf des IS in Syrien.

"Salafisten sehen Muslime allgemein in einer Opferrolle"

Ob Illi, "Generation Islam", Eyad Hadrous oder Pierre Vogel: Es ist kein Zufall, dass Schlüsselfiguren der salafistischen Szene sich nach außen als größte Verteidiger Mesut Özils darstellen. Das Innenministerium Nordrhein-Westfalens schreibt in dem Dossier "Extremistischer Salafismus als Jugendkultur", Salafisten würden muslimische Menschen allgemein in einer "Opferrolle" sehen. Die müssten für sie fortwährend und überall auf der Welt Ungerechtigkeit und Unterdrückung erleiden. Um eine "gezielte und systematische Unterdrückung durch 'Ungläubige'" belegen zu können, führten Salafisten wieder und wieder "Diskriminierungserfahrungen, Fremdenfeindlichkeit, die Einflussnahme westlicher Staaten im Nahen Osten an", schreiben die Beamten. So wie jetzt bei Mesut Özils Rücktritt – wohlwissend, welche Popularität der Fußballstar und Muslim mit zusammengerechnet mehr als 70 Millionen Followern und Followerinnen auf Facebook, Instagram und Twitter genießt.

Für muslimische Jugendliche ist Özils Rücktritt vor dem Hintergrund rassistischer Beleidigungen sowie Angriffen von DFB, Medien und Sponsoren verheerend. Von ihm geht die Signalwirkung aus: In Deutschland gehört ihr nie dazu, ganz egal, ob ihr hier geboren wurdet und euch für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden habt. Bei diesem Gefühl setzen die Salafisten an.

Während etwa die Bild-Zeitung von einem "Jammer-Rücktritt" und einer "haltlosen" "Selbstinszenierung als Rassismus-Opfer" schreibt, erkennen die radikalen Islamisten den Alltagsrassismus an, der Mesut Özil wie so vielen anderen Deutsch-Türken und Deutsch-Türkinnen und deutschen muslimischen Menschen widerfährt. Das führt dazu, dass manche dieser Jugendlichen berechtigte Fragen zu ihrer Identität und Zukunft in Deutschland nicht in den Kommentarspalten deutscher Zeitungen posten, sondern auf den Kanälen von Menschen, die die Demokratie und den Rechtsstaat ablehnen, Verschwörungstheorien verbreiten oder vermeintlich von Gott geforderte Kriegshandlungen gutheißen.

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