Moscheen in Deutschland:Ein Dossier wie ein Sündenregister

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Schon die Turmhöhe der Minarette war umstritten. Nun soll der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zur offiziellen Eröffnung der Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld kommen. (Foto: imago/Future Image)
  • Der Verfassungsschutz prüft derzeit, ob der größte deutsche Moscheeverband Ditib aufgrund staatsfeindlicher Ziele überwacht werden soll.
  • In einem Papier der Behörde ist von einigen verdächtigen Vorgängen innerhalb der Gemeinschaft die Rede.
  • Während im Bundesamt viele der Meinung sind, dass Ditib in Zukunft mindestens als Verdachtsfall behandelt wird, warnen die Länder vor einer solchen Einstufung.

Von Georg Mascolo und Andreas Spinrath

Die neue Moschee an der Venloer Straße in Köln ist ein wahrer Prachtbau, sie bietet Platz für 1200 Gläubige, eines ihrer Minarette ragt 55 Meter in die Höhe. Sie ist das zentrale Gebetshaus des größten deutschen Moschee-Verbandes, der Ditib. Das Kürzel steht für die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion", Hunderttausende in Deutschland lebende Türken und türkischstämmige Deutsche praktizieren in einer der rund 900 Ditib-Moscheen in Deutschland ihre Religion. Die Imame werden aus der Türkei entsandt. Deutschland überlässt in diesem Fall die religiöse Seelsorge einem ausländischen Staat.

In der kommenden Woche erwartet die Moschee einen besonderen Gast. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan scheint gewillt zu sein, den Prachtbau in Köln persönlich zu eröffnen. Das Haus ist schon in Betrieb, aber eine feierliche Eröffnung gab es bis heute nicht.

Nicht weit von der Moschee, in Köln-Chorweiler, sitzt eine deutsche Behörde, die einen ziemlich skeptischen Blick auf einen solchen Besuch wirft: das Bundesamt für Verfassungsschutz, kurz BfV. Im Amt hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Ditib inzwischen so etwas wie der verlängerte Arm eines zunehmend autoritär regierenden Erdoğan ist, der mithilfe der Imame Einfluss auf die deutsche Diaspora nimmt. "Wo immer einer unserer Landsleute ist, da sind auch wir", hat Erdoğan einmal erklärt. Das scheint er wörtlich zu nehmen.

Jahrelang stand Ditib für eine Interpretation des Islam, die Extremismus entgegenwirkt

Vor einigen Wochen übersandte die für Islamismus zuständige Abteilung 6 des BfV ein umfangreiches Dossier an alle 16 Verfassungsschutzämter der Länder. Es las sich wie ein Sündenregister: Da war der Verdacht der Spionage gegen 19 Imame von Ditib-Moscheen, mindestens einige von ihnen sollen Informationen über in Deutschland lebende Anhänger der Bewegung des Predigers Gülen gesammelt haben. Erdoğan macht sie für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Hinzu kommen Analysen der Predigten von Ditib-Imamen, die nach dem von der Bundesregierung als völkerrechtswidrig beurteilten Einmarsch der türkischen Armee im Norden Syriens in deutschen Moscheen gehalten wurden. Es geht um die "Liebe zum Heimatland" und die "Sehnsucht, Märtyrer oder Invalide zu werden".

Aus Ditib-Moscheen tauchten Videos auf, in denen Kinder Schlachten nachspielten. Jungen lagen vermeintlich tot auf dem Boden, Mädchen priesen ihren Märtyrer-tod. Die Ditib spricht regelmäßig von Einzelfällen, fühlt sich falsch verstanden und unfair beurteilt. Der Verband sei verantwortlich für eine "enorme Integrationsleistung". Jahrelang stand Ditib für eine Interpretation des Islam, die Extremismus entgegenwirkt. Der Moscheenverband schickte seine Imame in Integrationskurse des Bundes, seine Spitzenvertreter waren und sind Gesprächspartner auf den zahllosen Islam- und Integrationsgipfeln. Zudem ist Ditib einbezogen in den staatlichen Islamunterricht in mehreren Bundesländern.

Ditib ist eng an die türkische Religionsbehörde Diyanet angebunden, sie schreibt für mehr als 90 000 Moscheen im Land die Predigten vor. Die direkt dem türkischen Präsidenten zugeordnete Behörde gilt neben dem Geheimdienst MIT und der mehr als zehn Millionen Mitglieder starken AKP-Partei als eine der Säulen der Macht Erdoğans. Erdoğan, so sieht es jedenfalls das BfV, betreibe eine "aggressive Diaspora-Politik".

Und nirgendwo ist die Diaspora größer als in Deutschland. Offiziell ist das BfV-Papier im Rahmen eines "Prüffalls" erstellt worden, der Geheimdienst des Bundes ist auch nur zuständig für den Ditib-Bundesverband mit Sitz in Köln. Nicht für die Landesverbände und die Moscheen überall in Deutschland. Ein Prüffall ist nur die erste Stufe eines Verfahrens, in dem darüber entschieden wird, ob eine Organisation tatsächlich verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und deshalb beobachtet werden kann. Am Ende kann dies mit einem Nein enden, die Ditib könnte aber auch zunächst als Verdachtsfall eingestuft werden. Wie bei der Beobachtung ist dann etwa der Einsatz von V-Leuten erlaubt, sogenannte nachrichtendienstliche Mittel. Nun sollen, so will es das BfV, die Länder ihre Einschätzung nach Köln übermitteln. Frist ist Mitte Oktober.

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Manche, die das Dossier aus Köln bereits gelesen haben, glauben, dass das BfV eigentlich gar keine Zweifel mehr hat. Die Ditib, so interpretieren sie das Papier, werde vom Bund künftig mindestens als Verdachtsfall behandelt werden. Noch-Präsident Hans-Georg Maaßen hatte bereits vor einiger Zeit erklärt, die Türkei sei "Partner und Gegner" zugleich. Weder im BfV noch im zuständigen Innenministerium will man sich zu dem Vorgang offiziell äußern. Der Vorstoß aus Köln kommt aber aus Sicht vieler in der Bundesregierung zur Unzeit. Der ohnehin schwierige Erdoğan-Besuch steht vor der Tür, das Auswärtige Amt bemüht sich noch immer um die Freilassung von sechs in der Türkei inhaftierten Deutschen. Und in der Flüchtlingspolitik verlässt sich Deutschland seit 2016 auf eine Vereinbarung mit Erdoğan, der Milliarden dafür bekommt, dass er viele Tausend Flüchtlinge beherbergt und aufhält.

Dass die Türkei inzwischen Partner und Gegner zugleich ist, bestreitet in der Regierung eigentlich niemand. Größer sind allerdings die Zweifel daran, ob man deshalb nun den Inlandsgeheimdienst auf Ditib ansetzen sollte. Das Auswärtige Amt scheint nicht begeistert zu sein. Andererseits, so sagt es ein Landesverfassungsschützer, "ist es gesetzlich nicht vorgesehen, dass wir auf außenpolitische Belange Rücksicht nehmen". Auch sei es gut, der Ditib und Erdoğan zu zeigen, dass man sich nicht mehr länger solche Grenzüberschreitungen gefallen lassen werde. So erklärt etwa der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen, "die türkisch-nationalistischen Aktivitäten" seien sogar "eine Gefahr für den inneren Frieden" in Deutschland.

Aus den Bundesländern kommen Warnungen: Die politischen Risiken seien enorm

Aber aus den Ländern sind auch Zweifel zu hören. "Wir raten dringend ab", heißt es aus einer Landeshauptstadt. Die politischen Risiken seien enorm, wenn man Ditib zum Feind der verfassungsmäßigen Ordnung erkläre. Dies führe nur dazu, dass sich die Entfremdung zwischen in Deutschland lebenden Erdoğan-Anhängern und dem deutschen Staat weiter vertiefe. Gerade deshalb brauche man einen Draht zu Ditib. Als potenzielle Verfassungsfeinde würden diese wohl auch die Islamkonferenz verlassen müssen.

Gesucht wird nun nach einer gemeinsamen Linie. Mitte November tagt die Bund-Länder-Gruppe "Islamismus" in Berlin, das Thema steht auf der Tagesordnung. Da sowohl der Bund als auch jedes Land autonom entscheidet, könnte im schlimmsten Fall ein nur schwer zu vermittelndes Bild entstehen: Manche prüfen, andere nicht. Manche stufen Ditib als Verdachts- oder Beobachtungsobjekt ein, andere nicht. Der Umgang wäre ohne klaren Kurs.

Dies zu verhindern, wird eine Aufgabe für den neuen Präsidenten des BfV werden. Wer immer es auch werden wird.

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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