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Politik

Abu Dujana, der salafistische Prediger

Naomi Conrad
24. Oktober 2018

Er zählte zu den prominentesten Predigern der deutschen Salafisten-Szene. Seit dem Verbot der Vereinigung "Die wahre Religion" ist es still um Abu Dujana geworden. Aktiv ist er bis heute. Naomi Conrad hat ihn getroffen.

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Prediger Abu Dujana
Bild: privat

Auf den ersten Blick fällt der junge Mann mit dem langen schwarzen Bart, dem grauen Kapuzenpullover und Jeans kaum auf. Zwischen Kinderwagen schiebenden Eltern und Studenten fügt er sich nahtlos ein in das Stadtbild an der belebten Kreuzung in der Bonner Innenstadt, die er als Treffpunkt für das Gespräch mit der Deutschen Welle vorgeschlagen hatte.

Tatsächlich aber handelt es sich bei dem höflichen und freundlichen Mann wohl "eher" um einen Unterstützer des dschihadistischen Spektrums innerhalb der salafistischen Szene, so die Einschätzung einer geheimdienstlichen Quelle gegenüber der DW. Eine Einschätzung, die auf Aussagen des Mannes in der Vergangenheit und auf seinen Kontakten in der Szene basiert. Der Salafismus ist eine extrem konservative Strömung innerhalb des Islam, seine Anhänger leben den Koran wörtlich aus, weltliche Gesetze akzeptieren sie nicht.

Prediger in den Innenstädten

Said El E. selbst nennt es "die einzig wahre Religion", die "einzige Wahrheit, die es gibt". Seinen Anhängern ist er besser bekannt unter dem Namen Abu Dujana. Die salafistische Bewegung "Die wahre Religion", der er angehört und die zu seinem Lebensinhalt geworden ist, breitete sich in den vergangenen knapp 15 Jahren in Deutschland und dann in weiteren europäischen Ländern aus. Besonders stark entwickelte sie sich während der Aufstiegsphase des selbsternannten "Islamischen Staates" in den Jahren 2014 bis 2016.

Stand der Salafisten in Bonn
Offene Werbung um Nachwuchs: jahrelang bauten die Salafisten bundesweit in den Innenstädten ihre Info-Stände aufBild: DW/J. Mahncke

Noch vor ein paar Jahren hätte man Abu Dujana ganz offen in der Bonner Innenstadt treffen können. Gemeinsam mit anderen, oft bärtigen jungen Männern in Kaftan und Pumphosen, die sich bundesweit in den Fußgängerzonen und auf öffentlichen Plätzen an Info-Ständen versammelten. Sie versuchten, Passanten anzulocken und ins Gespräch mit ihnen zu kommen. Und sie verteilten kostenlos Kopien des Korans in deutscher Übersetzung. "Lies! Im Namen deines Herrn", so lautete ihr Motto. Bis 2016 war das ein gängiges, fast alltägliches Bild, vor allem an sonnigen Wochenenden.

Sie nannten sich selbst "Die wahre Religion".

Gegründet wurde die salafistische Bewegung 2005 von dem palästinensischen Geschäftsmann Ibrahim Abu Nagie, der damals in Köln lebte. Sein erklärtes Ziel war es, den Islam zu verbreiten und Millionen von Kopien des Korans zu verteilen.

Hauptsitz seiner Organisation war ein riesiges Lagerhaus am Stadtrand von Köln, das auch als Produktionsstätte der Bewegung diente. Von dort aus luden die Mitglieder Predigten und Video-Clips hoch und veröffentlichten sie über Youtube oder auf anderen Social-Media-Kanälen.

Sein Traum sei es, dass jeder einzelne Deutsche zum Islam konvertiere, sagte Abu Nagie der DW bereits im Jahr 2014 in einem Interview in seinem Lagerhaus, in dem sich Koran-Kopien auf Paletten stapelten. Eines Tages werde in Deutschland auf ganz natürliche Weise ein Gottesstaat entstehen, "von unten".

Ibrahim Abu Nagie verteilt Korane in Köln
Mit Abu Nagie, dem Gründer der "Lies!"-Kampagne, arbeitete Dujana zeitweise eng zusammenBild: picture-alliance/Geisler-Fotopress/R. Harde

Eine Zeitlang schien seine Strategie aufzugehen: Die salafistische Bewegung lockte scharenweise junge Menschen an. Nicht zuletzt dank ihrer geschickt eingesetzen Online-Präsenz und der leicht verständlichen Sprache, mit der sie die Jugendlichen adressierte. Dazu kam die Tatsache, dass plötzlich auch auf deutsch gepredigt wurde. Ein Novum in Deutschland, wo Imame traditionell auf arabisch und türkisch predigten, weswegen sich viele junge Muslime, die hier geboren und aufgewachsen sind, immer mehr von den Moscheegemeinden entfremdeten.

"Ich bin stolz auf das, was wir getan haben"

Abu Dujana sitzt in dem Café, dass er für das Interview mit der DW spontan ausgewählt hat, und erinnert sich an die glorreichen Zeiten der Bewegung "Die Wahre Religion". Zu Zeiten der "Lies!"-Kampagne seien täglich ein oder zwei Menschen zum Islam konvertiert, berichtet er stolz.

Auch wenn das wohl übertrieben ist: Die Bewegung zog zweifellos viele junge Menschen an, Muslime und auch Nicht-Muslime, die sich nach einem Zugehörigkeitsgefühl sehnten und danach, akzeptiert zu werden.

Damals, so sagt Dujana, sei er jedes Wochenende quer durch Deutschland und auch Europa gereist und habe in Moscheen gepredigt. "Ich bin sehr stolz auf das, was wir getan haben", erzählt er und lächelt beim Gedanken an die Kameradschaft, die unter den jungen Männern herrschte. Diese ganz besondere "Aura", wie er es ausdrückt. Da waren auf der einen Seite sie, die Erwählten, die "wahren Muslime". Die einen unnachgiebigen Islam verbreiten wollen, der den Koran buchstabengetreu auslegt. Und auf der anderen Seite die Ungläubigen. Dazwischen gibt es nichts.

Moderate Muslime halten die salafistische Auslegung des Korans in vielen Punkten für zu radikal. Salafisten unterteilen alles in die zwei Kategorien, "haram" und "halal" - verboten beziehungsweise erlaubt. Musik hören gilt beispielsweise als "haram". Und Frauen sollen sich in der Öffentlichkeit bedecken. Viele salafistische Frauen tragen deshalb Niqab, die Vollverschleierung.

Das Aus für die "Lies!"-Kampagne

Nur eine Minderheit innerhalb der salafistischen Bewegung unterstützt Gewalt, und eine noch kleinere Zahl ist bereit, auch tatsächlich Gewalt anzuwenden, um die eigenen religiösen Ziele durchzusetzen. Als jedoch nach der Ausrufung des selbsternannten Islamischen Staates im Jahr 2014 hunderte junger Deutscher nach Syrien und in den Irak ausreisten, um dort für den Aufbau des sogenannten Kalifatsstaates zu kämpfen, begannen die deutschen Behörden damit, die Bewegung genauer zu überwachen.

Salafist mit "Lies!"-T-Shirt und einem Koran in den Händen
Nach Aussagen von Abu Nagie wurden bis Mitte 2016 rund 3,5 Millionen deutsche Gratis-Exemplare des Koran in deutscher Sprache verteiltBild: Imago/C. Mang

Im November 2016 schließlich verbot das Bundesinnenministerium die Bewegung "Die Wahre Religion" und die dazugehörige "Lies!"-Kampagne. Zur Begründung hieß es, die Vereinigung unterstütze den bewaffneten Dschihad, sei verfassungsfeindlich und biete einen Nährboden für gewalttätige Islamisten - bis hin zur Ausreise nach Syrien oder in den Irak.

Das Verbot als Wendepunkt

Die Entscheidung des Ministeriums stellte für die Szene eine klare Zäsur dar. Seitdem ist sie praktisch abgetaucht und weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Salafistenprediger Abu Nagie, der Gründer der "Wahren Religion", der zwischenzeitlich vom Amtsgericht Köln wegen Sozialhilfebetrugs zu einer Bewährungsstrafe von 13 Monaten verurteilt worden war, tauchte kurz nach dem Verbot ab. Vermutungen zufolge soll er sich in Malaysia aufhalten.

Viele führende Persönlichkeiten aus der Szene zogen sich aus dem Rampenlicht zurück, andere wurden in Syrien und im Irak getötet. Die Bewegung habe sich zerstreut und operiere nicht mehr offen in den Moscheegemeinden, sondern nur noch in Privathäusern, so gaben Quellen innerhalb der Sicherheitsbehörden und Deradikalisierungsexperten gegenüber der DW an. Sämtliche Aktivitäten würden sich mittlerweile auf Orte beschränken, die sich einer Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden weitgehend entziehen.

All das scheint Abu Dujana nicht zu stören. Er beharrt darauf, die verbotene Vereinigung "Die Wahre Religion" habe nichts zu verbergen. Über Stunden weist er ein ums andere Mal drauf hin. Die Behörden seien gegen die Bewegung vorgegangen, weil "sie wissen, dass es die Wahrheit ist." Und dass sonst noch mehr Menschen den Islam annehmen würden.

Ausgrenzungsgefühl als ständiger Begleiter

Abu Dujana ist wortgewandt, er kann sich gut ausdrücken. Man merkt ihm an, dass er es gewohnt ist, vor Publikum zu sprechen und eine Gesellschaft öffentlich zu tadeln, in der Menschen wie er sich diskriminiert fühlen. Der 36-Jährige wuchs in Deutschland in einem marokkanischen Elternhaus auf. Er studierte Informatik, brach das Studium aber ab, um sich, wie er sagt, ganz auf die "Wahre Religion" zu konzentrieren.

Heute verkauft er Gebrauchtwagen, vor allem nach Marokko. Und er predigt in Privathäusern, weil ihn die meisten Moscheen aus Angst vor den Behörden abweisen: "Ich stehe auf einer schwarzen Liste", sagt er und fügt mit einem Lächeln hinzu: "Einer fett schwarzen Liste."

Betende Islamisten in Bonn, darunter der Rapper Denis Cuspert (2.v.l.)
Bonn gilt seit langem als Hochburg der Szene: Nach diesem Gebet im Frühjahr 2012 kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen mit der rechten Splitterpartei PRO NRWBild: picture-alliance/dpa

Immer wieder kommt er im Interview auf die Themen Islamophobie und Diskriminierung von Muslimen zurück. Beides habe er schon in jungen Jahren erlebt. Wenn man in einer Gesellschaft lebe, die Muslime ablehne, betont er, "fragt man sich, warum manche Leute durchdrehen und eine dumme Tat begehen."

Aber er besteht darauf, dass er oder die Vereinigung "Die Wahre Religion" nicht für das Handeln anderer verantwortlich gemacht werden sollten. Er leugnet nicht die Tatsache, dass Mitglieder der salafistischen Szene Deutschland verlassen haben, um für den IS in Syrien und im Irak zu kämpfen. Und er gibt auch zu, dass er mehrere von ihnen persönlich kannte. Aber: "Sie alle hatten reine Absichten." Sie hätten nur dem unterdrückten syrischen Volk helfen wollen, erklärt er.

Aber, fügt er schnell hinzu, diese Leute seien vom sogenannten "Islamischen Staat" irregeführt und manipuliert worden. Das "Kalifat" bezeichnet er abfällig als "lächerlich". Es sei einfach nicht der richtige Weg gewesen, betont er.

Auf die wiederholte Frage, ob man die extremistische Organisation als "terroristisch" bezeichnen könnte, erklärt er: Wenn man Terrorismus "so definiert: zu Unrecht Menschen töten und Ungerechtigkeit verbreiten, ja, dann ist es Terrorsimus."

Er selbst aber habe tatsächlich - darauf legt er Wert - eine Reihe von Jugendlichen davon abgehalten, Deutschland zu verlassen und dem IS beizutreten. Während des gesamten Gesprächs wählt Dujana seine Worte sorgfältig. Nie überschreitet er die Grenze dessen, was in Deutschland erlaubt ist: Er mag keine Homosexuellen, sagt er, aber das täten viele Christen auch nicht. Seine achtjährige Tochter habe den Hidschab angezogen, allerdings aus freien Stücken. Schiiten betrachtet er nicht als Muslime, wobei er schnell hinzufügt, dass er mit niemandem einen Streit anfangen wolle. 

"Es gibt keinen Raum für Interpretationen in der Religion"

Auf die Frage, inwieweit sich Muslime an die deutsche Gesellschaft anpassen sollten, fällt seine Antwort eindeutig aus. "Es gibt kein Verhandeln in der Religion, vor allem bei Grundsachen, da gibt es kein Verhandeln. Keinen Millimeter zurück, koste es was es wolle."

Heute, so sagt er, erhält er zahlreiche Anfragen von muslimischen "Brüdern und Schwestern", die sich von ihm religiösen Rat erhoffen: in Eheproblemen oder auch in der Kindererziehung. Er sei als "Vertrauensperson" angesehen, erklärt er.

Genau diese Art von privaten Meetings sind das, was die deutschen Sicherheitsbehörden beunruhigt. Denn sie sind nur eingeschränkt in der Lage, die Treffen und das, was dort besprochen wird, zu verfolgen. "Da habt ihr eure Titel-Story", sagt Abu Dujana grinsend. "Die Muslime leben in einer Parallelgesellschaft und folgen ihren eigenen Gesetzen." Aber er gebe tatsächlich nur "Ratschläge", mehr stecke nicht dahinter.

Als das Interview vorbei ist und die dunklen Wolken, die an diesem Tag über Bonn hängen, zu einem Nieselregen geworden sind, zieht er die Kapuze seines Pullovers wieder über den Kopf und verschwindet in der Menge der Pendler, die auf dem Heimweg von der Arbeit sind.

Mitarbeit: Esther Felden und Matthias von Hein

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