Frankreich stellt sich dem Problem seiner Jihadisten

Die französische Regierung will IS-Anhänger, die in Syrien im Gefängnis sitzen, zurückholen. Frankreich beschreitet als erstes europäisches Land diesen Weg.

Judith Kormann
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Kämpfer des IS nach der Einnahme von Rakka im Juni 2014. (Bild: Reuters / Stringer / Flie Photo)

Kämpfer des IS nach der Einnahme von Rakka im Juni 2014. (Bild: Reuters / Stringer / Flie Photo)

Was tun mit Jihadisten aus dem eigenen Land, die in Syrien im Gefängnis sitzen? Mit dieser Frage setzt sich Frankreich nun auseinander.

Angestossen hat die Debatte der Fernsehsender BFMTV. Am 29. Januar berichtete er, Frankreich wolle in den kommenden Wochen die Rückführung aus Syrien von rund 130 Frauen und Männern in Angriff nehmen, denen islamistischer Terrorismus vorgeworfen wird. Innenminister Christophe Castaner bestätigte die Information nicht, sagte aber im Interview mit dem Sender, es handle sich bei den dort inhaftierten Jihadisten «in erster Linie um Franzosen». Das wurde als Bereitschaft dazu verstanden, die französischen Staatsbürger im eigenen Land vor Gericht zu stellen.

«Derzeit werden mehrere Szenarien studiert», sagte die französische Justizministerin Nicole Belloubet zu den Absichten der Regierung in einem Interview mit dem Sender RTL. Belloubet betonte aber auch, dass es sich bei 75 Prozent der Franzosen, die in Syrien im Gefängnis sitzen, um Kinder im Alter von unter sieben Jahren handle. Diese sollen bei einer Rückkehr in Pflegefamilien untergebracht werden.

US-Truppenabzug ändert die Lage

Frankreich hat sich schon seit längerem bereit erklärt, die Kinder von IS-Anhängern aus dem Irak und Syrien heimzuholen. Der Kurs, auch Männer und Frauen in die Heimat zurückkehren zu lassen, ist aber neu. Bisher vertrat die Regierung die Auffassung, dass IS-Anhänger, die im Irak oder in Syrien gefangen genommen wurden, auch dort vor Gericht gestellt werden sollen. Für den Irak, mit dem Frankreich diplomatische Beziehungen unterhält, gilt diese Haltung weiterhin.

In Syrien allerdings ist die Lage anders. Die meisten der ausländischen Gefangenen befinden sich in der Obhut der kurdisch geführten Syrian Democratic Forces (SDF). Laut deren Aussenbeauftragtem Omar Abdelkarim sitzen knapp 900 ausländische IS-Kämpfer, 400 bis 500 Frauen und 1000 Kinder aus 44 Ländern bei ihnen im Gefängnis.

Gleichwohl sind die Gesetze und das Gericht der Kurden international nicht anerkannt. Sie haben ausserdem kein Interesse daran, Jihadisten aus dem Ausland den Prozess zu machen, und fordern schon seit Jahren, dass die Europäer ihre Staatsangehörigen zurücknehmen sollen. Bisher stiessen sie damit auf Widerstand.

Nun könnte der geplante Abzug der amerikanischen Truppen aus Syrien das Kräfteverhältnis im Land verschieben. Verlassen die rund 2000 amerikanischen Soldaten, die derzeit dort stationiert sind, das Land, verlieren die Kurden einen wichtigen Verbündeten. Ihnen drohen dann eine türkische Invasion oder Angriffe von Bashar al-Asads Regierungstruppen. Ohne den Schutz der USA wären die Kurden daher kaum noch in der Lage, ihre Gefangenen weiter festzuhalten.

In Europa hat dies die Angst aufkommen lassen, Hunderte von Jihadisten könnten in die Freiheit entlassen werden und weitere Anschläge auf europäischem Boden planen. «Wenn sie abgeschoben werden, ist mir lieber, sie werden vor Gericht gestellt und verurteilt», sagte der französische Premierminister Edouard Philippe in einem Interview mit dem Sender «France Inter».

Die meisten der französischen Jihadisten, die sich in Syrien aufhalten, sind der Justiz bereits bekannt. Gegen sie sind Haftbefehle hängig. Rund 60 IS-Anhänger seien in ihrer Abwesenheit ausserdem zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, sagte Jean-Charles Brisard vom Think-Tank Centre d’analyse du terrorisme der Tageszeitung «Le Figaro» in einem Interview. Schwieriger dürfte es sein, den Frauen der IS-Anhänger Verbrechen nachzuweisen.

Grosses Unbehagen unter den Franzosen

Auch die Inhaftierung der Rückkehrer stellt Frankreichs Behörden vor einige Probleme. Denn französische Gefängnisse fungieren oft als Brutstätten des Islamismus. Werden die Extremisten mit anderen Häftlingen zusammengesteckt, besteht die Gefahr, dass sie diese radikalisieren. Isoliert man sie, könnten die Insassen hinter Gittern regelrechte islamistische Ausbildungslager schaffen und sich gegenseitig noch stärker aufstacheln.

Frankreich war in den vergangenen Jahren Opfer zahlreicher Anschläge. Die Vorstellung, IS-Anhänger heimzuholen, sorgt bei der Bevölkerung für grosses Unbehagen. Unter den französischen Extremisten in Syrien sind auch hochrangige Jihadisten wie Adrien Guihal, der als «Stimme des IS in Frankreich» bezeichnet wird. Er hatte unter anderem den Anschlag in Nizza im Juli 2016 für den IS beansprucht.

Kritik an dem Vorhaben der Regierung hagelte es von mehreren Mitgliedern der konservativen Républicains und vom Rassemblement national. Dessen Vorsitzende Marine Le Pen bezeichnet es als «kriminell in Bezug auf die Sicherheit der Franzosen», die Rückkehr der IS-Anhänger in Betracht zu ziehen. Von den mindestens 25’000 Männern und Frauen, die aus rund hundert Ländern nach Syrien und in den Irak aufgebrochen sind, kommt knapp ein Viertel aus Westeuropa. Unter ihnen stammen die meisten aus Frankreich, Grossbritannien, Deutschland und Belgien. Frankreich ist das erste dieser Länder, das vorhat, seine Jihadisten zurückzuholen.

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