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Debatte um Nikab-Verbot Ein Schleier, der spaltet

An der Uni Kiel darf eine Studentin nicht mehr vollverschleiert zu Lehrveranstaltungen kommen. Das Verbot spaltet Hochschule und Experten - und mobilisiert Mitglieder der Salafistenszene.
Frau mit Nikab (Symbolbild)

Frau mit Nikab (Symbolbild)

Foto: Peter Endig/ picture alliance / dpa

Ein Nikab lässt nur die Augen frei. Die Frau, die diesen Schleier trägt, gibt damit sehr wenig von sich preis. So hält es Katharina K., 21, nicht nur mit ihrer Kleidung. Weder in E-Mails noch am Telefon verrät sie ihren vollen Namen. Sie möchte auch keine Nummer angeben, sondern ruft lieber selbst an. "Unbekannt" erscheint dann auf dem Display.

Wer wissen möchte, was Katharina K. dazu bewegt, sich einen Streit mit der Universität Kiel zu liefern, muss sich also mit ihrer Stimme begnügen. Jung, reflektiert und verhalten distanziert klingt diese Stimme - und entschlossen, für die eigene Sache einzutreten. Katharina K. will weiter ihren Nikab tragen dürfen und trotzdem studieren: "Ich will das nicht nur für mich erreichen, sondern auch für meine Glaubensschwestern."

K. ist Protagonistin in einem Konflikt, der nur sehr wenige Menschen in Deutschland betrifft, denn vollverschleierte Frauen sind hier selten. Und doch wirft er grundsätzliche Fragen auf: Wie weit reicht die Religionsfreiheit? Wie viel Toleranz müssen Menschen hierzulande aufbringen - und wer für wen?

Ein Dozent nahm Anstoß

Ende Januar erließ die Kieler Universitätsleitung ein sogenanntes Nikab-Verbot. Katharina K., die Ernährungswissenschaften studiert, war seit dem Semesterbeginn mit Gesichtsschleier zu Vorlesungen und Seminaren erschienen. Ein Dozent nahm daran schließlich Anstoß, informierte Vorgesetzte. Die suchten nach Uni-Angaben das Gespräch mit der Studentin. Aber man fand keinen gemeinsamen Nenner.

Die Uni entschied dann: Gesichtsschleier dürften "in Lehrveranstaltungen, Prüfungen und Gesprächen künftig nicht getragen werden".  Die Leitung begründet das damit, dass die "Mindestvoraussetzungen für die erforderliche Kommunikation sichergestellt werden" sollen. Dazu gehörten Mimik und Gestik.

Angesicht der öffentlichen Diskussion über den Fall erläutert die Vizepräsidentin der Uni, Anja Pistor-Hatam, den Beschluss Ende Februar noch einmal in einer Stellungnahme:  Es sei "selbstverständlich, Diversität und Toleranz auf dem Campus zu fördern". Aber: "Das Präsidium hält eine offene Kommunikation für eine Grundvoraussetzung von Lehre und Forschung. 'Offen' bedeutet: unverhüllt."

Man habe mehrere Gespräche immer in die Richtung geführt, dass Katharina K. weiterstudieren könne, sagte ein Sprecher der Universität dem SPIEGEL. Es gehe keineswegs darum, mit der Entscheidung eine Studentin "kaputtzumachen". Die Hochschule wolle auch kein "Exempel statuieren".

"Manchmal ist es gut, ein Zeichen zu setzen"

K. dagegen kann das Argument der "Kommunikationshürde" nicht nachvollziehen. "Ich kann verstehen, dass sich Menschen wohler fühlen, wenn sie mein Gesicht sehen, aber ich denke, das ist auch eine Frage der Gewohnheit."

Bei Studenten, die ganz hinten in Hörsälen säßen, könne der Dozent auch keine Gesichter erkennen, und bei Onlineseminaren spiele die Mimik ebenfalls keine Rolle. "Wenn es um Prüfungen geht, kann ich etwa im Nebenraum gern den Schleier heben, mein Gesicht und meinen Ausweis zeigen, um die Identität abzugleichen", sagt K. Sie sei dazu auch gegenüber einem männlichen Dozenten bereit.

Streng religiöse Frauen dagegen nähmen den Nikab in der Regel nicht vor männlichen Dozenten ab - und die Hochschulen könnten für die Anwesenheits- und Identitätskontrolle nicht extra weibliches Personal abstellen, sagt Michael Kiefer, der an der Universität Osnabrück zum Islam und zu Radikalisierung forscht. Das sei den Lehrenden im Hochschulbetrieb nicht zuzumuten. "Deswegen ist es in meinen Augen gerechtfertigt, der Religionsfreiheit in diesem Fall Grenzen zu setzen."

So sieht das auch Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg. Zwar gebe es so wenige vollverschleierte Studentinnen in Deutschland, dass Regelungen in dieser Hinsicht eher einen Symbolcharakter hätten. "Doch manchmal ist es gut, ein Zeichen zu setzen, denn es haben sich bereits mehrere Hochschulen an uns gewandt, die nicht wissen, wie sie mit dem Thema umgehen sollen."

Lieber kein Studium als keinen Nikab

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hatte zuvor mitgeteilt, dass man schon vor zehn Jahren klargemacht habe: "Im Unterricht - ob in der Schule oder an einer Uni - ist das Gesichtzeigen pädagogisch und lerntechnisch unverzichtbar."

K. will die Entscheidung der Kieler Uni dagegen nicht hinnehmen. Sie hat juristische Schritte gegen den Erlass angekündigt - und will im Zweifel lieber ihr Studium beenden als ihren Nikab auszuziehen. "Die Gesetze von Allah sind mir wichtiger als meine wissenschaftliche Karriere", sagt Katharina K., in Kiel aufgewachsen bei Eltern, die evangelische Christen sind, aber nicht besonders gläubig, wie sie sagt.

Sie erzählt, sie habe ihr Englisch für die Schule aufbessern wollen und so übers Internet Kontakt zu Muslimen bekommen. "Da haben wir auch über spirituelle Dinge gesprochen, und ich habe mich immer mehr mit dem Koran auseinandergesetzt." Dabei habe sie Antworten gefunden, die sie zuvor im Konfirmandenunterricht vergeblich gesucht habe.

Rund acht Monate später sei sie zum Islam konvertiert, sagt K. Sie habe zuerst ein Kopftuch getragen, später dann den Nikab. "Früher habe ich auch gedacht, das Kopftuch stehe für die Unterdrückung der Frau", sagt K. "Aber wenn ich mich freiwillig entscheide, bestimmte Teile meines Körpers zu verhüllen und mir genau das dann jemand verbietet, besteht doch darin die Unterdrückung."

Instrumentalisierung auf beiden Seiten

K.s Fall eignet sich, um von verschiedenen Parteien instrumentalisiert zu werden. Einerseits hilft er denen, die den Opfermythos aufrechterhalten wollen, wonach Muslime in der westlichen Welt unterdrückt werden. Andererseits nützt er denen, die den Untergang des christlichen Abendlandes beschwören, das von Muslimen angeblich überrollt werde - und die dagegen nun klare Kante zeigen wollen.

Vor dieser Instrumentalisierung warnt auch Julian Junk, Leiter der Forschungsgruppe "Radikalisierung und politische Gewalt" am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Die Debatte um ein Nikab-Verbot mobilisiere im rechten wie auch im salafistischen Milieu sehr viele Menschen.

"Wenn man diesen Effekt mit bedenkt, hätte die Leitung der Hochschule vielleicht gut daran getan, die Vollverschleierung erst einmal zu tolerieren", sagt Junk. Das hätte der Politik und den Gerichten auch die Zeit gelassen, sich zu diesem rechtlich noch ungeklärten Thema zu positionieren.

Unterstützung von Salafisten

Die Studentin Katharina K. hat jedenfalls prominente Unterstützer gefunden. Die Föderale Islamische Union bestätigte dem SPIEGEL, dass man Frau K. "kompetente und erfahrene Anwälte" vermittle und sich auch um deren Finanzierung kümmere.

Gesetzliche Vertreter des Vereins sind die beiden Konvertiten Marcel Krass und Dennis Rathkamp , die in der deutschen Salafistenszene fest verwurzelt sind. Zu den Aktionen der Szene gehörte es, in Innenstädten kostenlose Koran-Exemplare zu verteilen und damit neue Mitglieder anzuwerben - bis das Bundesinnenministerium die Vereinigung, die hinter der Kampagne stand, Ende 2016 untersagte.

Die Föderale Islamische Union, die sich ein Jahr später gründete, setzt sich unter anderem gegen Kopftuchverbote und verpflichtende Teilnahme am schulischen Schwimmunterricht ein. Nach eigenen Angaben ausschließlich auf friedliche Weise.

"Eingriff in die Grundrechte"

Im Fall des Kieler Nikab-Verbots argumentiert Vereinspräsident Dennis Rathkamp mit anderen Studiengängen, in denen Studenten selbst in Prüfungen teilweise eine Art "Verschleierung" tragen müssten, welche im Ergebnis dem Nikab nahe komme. "Beispiele hierfür wären Mund- und Kopfschutz, welcher in der Medizin und Zahnmedizin zum allgemeinen Prüfungs- und Lehrgeschehen gehört", schreibt Rathkamp.

Er beruft sich bei dieser Argumentation auch auf einen offenen Brief  von mehr als 220 Studierenden und Mitarbeitern der Universität, die sich damit von der neuen "Richtlinie zum Tragen des Gesichtsschleiers" distanzierten. In dem Papier, das ans Präsidium ging, rügten sie den "Eingriff in die Grund- und Persönlichkeitsrechte einzelner Studentinnen".

Die Unterzeichner warnen auch, dass das Verbot zu "weitreichenden politischen Diskussionen und Instrumentalisierungen" führen würde. Das, so viel ist immerhin klar, ist eingetreten.