"Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland." Diesen Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) haben 2009 viele Muslime als Angebot verstanden, sich in Deutschland endlich wirklich zu Hause zu fühlen. Zehn Jahre später hat sich der Ton verändert. "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland", lautet der Titel eines Sammelbands, den der CDU-Vizefraktionschef Carsten Linnemann und der ehemalige bayerische CSU-Justizminister Winfried Bausback zusammen herausgeben.

Linnemann ist eigentlich Wirtschaftsfachmann. Dass er sich nun mit einem ganz anderen Thema beschäftigt hat, erklärt er damit, dass er in den vergangenen Jahren immer seltener auf Steuern oder ähnliche Themen angesprochen wurde und dafür immer öfter auf Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der kulturellen Identität und der Sicherheit. Das habe ihn motiviert, sich mit dem Islam zu befassen. Vor anderthalb Jahren gründete er einen Gesprächskreis, dessen Teilnehmer nun die einzelnen Beiträge für das Buch geschrieben haben.

Dabei liest sich die Autorenliste wie ein Who's who der Islamkritiker in Deutschland. Die Publizistin Necla Kelek gehört ebenso dazu wie die Wissenschaftler Bassam Tibi und Ahmad Mansour. Als einziger bekannter Politiker ist neben den beiden Herausgebern der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer vertreten, der in der Vergangenheit mit seinen Äußerungen zur Integration oft vor allem seine eigene Partei gegen sich aufbrachte.

Das konservative Profil schärfen

Dass das Buch gerade jetzt erscheint – kurz nachdem die CDU bereits ihre Haltung zur Flüchtlingspolitik neu justiert hat und künftig auch Grenzschließungen nicht mehr ausschließen will –, ist Zufall. Und doch passt es ins Bild: Die Partei ist dabei, ihr konservatives Profil zu schärfen. Denn, so macht Linnemann unmissverständlich klar: Die Vorschläge, die er am Ende aus den einzelnen Beiträgen abgeleitet hat, sollen in die politische Willensbildung seiner Partei einfließen.

Mindestens einen wichtigen Verbündeten hat er schon gefunden: Vorstellen wird das Buch am Donnerstag kein Geringerer als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Ausgerechnet der Mann, der bereits drei Jahre vor Wulff festgestellt hatte, dass der Islam ein Teil Deutschlands sei, sich nun aber offenbar ebenfalls abgrenzen will.

Doch was ist eigentlich "der politische Islam", den die Autoren in Deutschland nicht dulden wollen? Grundsätzlich verstehe man unter politischem Islam alle Bewegungen, die davon ausgehen, dass der Islam ein gesellschaftliches Programm hat, sagt die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. In den verschiedenen arabischen Staaten gebe es diesen in ganz unterschiedlichen Ausprägungen, keineswegs überall sei er gewaltbereit und fundamentalistisch.

Erfahrungen aus Saudi-Arabien

Linnemanns Definition fällt allerdings sehr viel enger aus und ist wohl auch geprägt von den Erfahrungen, die er mit dem Islam als Doktorand während eines dreimonatigen Aufenthalts in Saudi-Arabien gemacht hat. Unter politischem Islam verstehe man "radikale Ausprägungen, die den westlichen Lebensstil zum Feindbild erheben und unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung bedrohen", schreibt Linnemann in seinem Vorwort. Dieser politische Islam stelle eines der größten Integrationshemmnisse dar und drohe den gesellschaftlichen Frieden in Gefahr zu bringen. Schließlich gebe es in Deutschland eine wachsende muslimische Minderheit.

Nun geht es Linnemann nicht darum, den Islam generell aus Deutschland zu verdrängen oder – ähnlich wie die AfD, die gegen den Bau von Moscheen protestiert – zu verlangen, dass er unsichtbar ist. Schließlich ist Religionsfreiheit gerade eines der Güter, die den Kern des liberalen Rechtsstaats ausmachen, den Linnemann ja verteidigen will. Ihm geht es darum, dem Grundgesetz auch dort Anerkennung zu verschaffen, wo strafrechtliche Regelungen bisher nicht greifen. Darüber hinaus wollen er und seine Mitstreiter einen liberalen, grundgesetzkonformen Islam fördern.

Dabei liegt eines der Probleme des Buchs darin, dass "unsere Werteordnung", deren Durchsetzung Linnemann so apodiktisch fordert, jenseits der gesetzlichen Ebene eben gar nicht so einfach zu definieren ist. Sicher, Gleichberechtigung steht im Grundgesetz. Aber ist es wirklich ein Verstoß gegen die Gleichberechtigung, wenn etwa Mädchen im Sportunterricht eine Schwimmburka tragen wollen? Oder steht dahinter einfach nur ein anderes Verhältnis zum eigenen Körper, als es im Westen generell üblich ist? Wann ist die Forderung nach Anpassung legitim und wo beginnt das Recht auf individuelle Lebensgestaltung? Den Versuch, hier eine genauere Abgrenzung vorzunehmen, machen die Autoren und Autorinnen leider nicht.