Politik

Politischer Islam Wer ist Muslim und wenn ja wie viele?

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Der Islam gehört zu Deutschland, sagen die einen. Muslime vielleicht, aber keinesfalls der Islam, halten andere dagegen. Eine Autorengruppe hat diese Frage einfach übersprungen und sich dem "politischen Islam" gewidmet. Mit interessanten Ergebnissen.

Gehört der Islam zu Deutschland? Diese Frage wird seit mehr als acht Jahren diskutiert - seit der damalige Bundespräsident Christian Wulff in einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit dies klar bejahte. Neben Christentum und Judentum gehöre der Islam "inzwischen auch zu Deutschland", sagte er.

Der Halbmond auf dem Minarett der Abubakr-Moschee in Frankfurt am Main.

Der Halbmond auf dem Minarett der Abubakr-Moschee in Frankfurt am Main.

(Foto: picture alliance/dpa)

Über diesen Satz regten sich damals, 2010, viele auf, nicht zuletzt in Wulffs Partei, der Union. Dabei war er nicht der erste, der so etwas sagte. "Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas", hatte der heutige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schon 2006 erklärt, als er in seiner Funktion als Bundesinnenminister die erste Islamkonferenz eröffnete.

An dieser Aussage hält Schäuble bis heute fest. Er ist Laudator bei einer Buchvorstellung, auf der ein rund 260-seitiger Sammelband präsentiert wird, der den programmatischen Titel trägt "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland". Einer der Herausgeber ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann. In seinen Einführungsworten sagt er mit Blick auf das Wulff-Zitat: "Wir möchten nicht in den Rückspiegel schauen." Die Debatte seit damals sei "so verlaufen, dass jeder noch im Schützengraben ist". Das Schäuble-Zitat unterschlägt er höflich.

"Integration ist eine Zweibahnstraße"

Schäuble macht das nicht. "Muslime und mit ihnen der Islam sind ein Teil Deutschlands", sagt er gleich. Von diesem Satz habe er, "entgegen manchen Vermutungen, gar nichts zurückzunehmen". Schäuble verweist darauf, dass der politische Islam nicht per se problematisch sei und dass auch die katholische Kirche ihr Verhältnis zur Demokratie erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil geklärt habe. Das sei ein halbes Jahrhundert her, also "auch noch nicht so schrecklich lange".

Für Schäuble ist die zentrale Frage: "Wie schaffen wir es, dass Muslime ihre religiöse Identität in den politischen Rahmen Deutschlands integrieren?" Dies sieht er als Aufgabe sowohl der Muslime als auch des nichtmuslimischen Teils der deutschen Gesellschaft: "Integration fordert uns alle, sie ist eine Zweibahnstraße."

Eine Faustregel, wie das gelingen kann, hat Schäuble nicht. Lehrerinnen mit Kopftüchern, Schwimmunterricht für Mädchen, Kreuze in Amtsstuben, die Beschneidung von Jungen - das seien alles Konflikte, die jeweils neu ausverhandelt werden müssten. Deutlich macht er allerdings: "Wir sichern unser soziales Miteinander nur, wenn wir Regeln setzen und einhalten." Und er ist optimistisch, dass die Aufgabe gelingt: "Ich finde, wir - Muslime und Nichtmuslime - dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, aber wir dürfen auch mit guten Gründen zuversichtlich sein."

Wer sich einen solchen Laudator einlädt, dem geht es nicht darum, den Islam rundweg zu verdammen. Und tatsächlich zeichnet sich der Band durch Vielfalt aus. Die Autoren, die zur Buchvorstellung gekommen sind, können sich nicht mal darauf einigen, was politischer Islam überhaupt ist. Der Soziologe Ruud Koopmans sagt, ein gemäßigter politischer Islam analog zur Christdemokratie wäre kein Problem. Ein Problem sei der islamische Fundamentalismus, der in Europa "bis in die Mitte der muslimischen Gemeinschaften" hineinreiche. Er fasst das so zusammen: "Der real existierende Islam gehört nicht zu Deutschland."

Eine "polare Debatte"

Die Soziologin Necla Kelek, die ein generelles Kopftuchverbot für unter 14-Jährige fordert, sagt dagegen: "Es gäbe keinen politischen Islam mit der Freiheit der Frau." In ihrem Aufsatz setzt sie den "politisch simplifizierten Islam" mehr oder weniger gleich mit dem Islamismus.

Gegensätze gibt es auch bei anderen Themen, bei der Frage etwa, wie Islamkritik in den Medien transportiert wird. Der Journalist Andreas Schnadwinkel wirft den Medien in einem ziemlichen Rundumschlag vor, "verdruckst" oder "zaghaft" über den politischen Islam zu berichten, Ausnahmen sieht er lediglich bei den "bürgerlichen Tageszeitungen", der FAZ und der "Welt", sowie der "Bild"-Zeitung. Der ehemalige Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Joachim Wagner sagt, in den öffentlich-rechtlichen Medien sei es "unendlich schwierig, mit provokativen islamkritischen Thesen" vorzukommen. Sascha Adamek, der für das Magazin "Kontraste" über die intransparente Finanzierung von Moscheen in Deutschland berichtet hat, bestreitet das. Es gebe vielleicht eine "Beißhemmung", wenn es um Integration gehe, aber über "harte Fakten" könne man sehr wohl berichten und werde dabei auch unterstützt.

Michael Blume, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, weist schließlich darauf hin, dass Islamkritik in den Medien durchaus möglich sei - er erinnert daran, wie viel Platz der "Spiegel" seinerzeit Thilo Sarrazin eingeräumt habe. Das Problem sei, dass dies eine "polare Debatte" sei: für oder gegen den Islam. "Sie können wunderbar das eine oder das andere bedienen und werden dann beschimpft. Aber die Mitte fehlt."

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Blume ist es auch, der auf eine statistische Schwierigkeit hinweist: Etwas überspitzt sagt er: "Wenn wir die Zahl der Christen in Deutschland genauso ermitteln würden wie die Zahl der Muslime, dann hätten wir auf einen Schlag 95 Prozent Christen in Sachsen." (Tatsächlich sind es gut 22 Prozent.) Soll heißen: Nicht wenige Menschen mit muslimischen Wurzeln sind so gut integriert, dass sie gar nicht mehr als Muslime in der Statistik auftauchen. (Ein Problem beim Thema Islam ist, dass die Zahl der Muslime in Deutschland nicht so leicht zu ermitteln ist, weil sie in einer Vielzahl von Vereinen organisiert sind.) Damit haben die vielen Statistiken, mit denen leicht bewiesen werden kann, wie demokratiefern ein Großteil der in Deutschland lebenden Muslime ist, möglicherweise einen Haken.

Wer nun glaubt, diese Widersprüche seien ein Nachteil, der irrt. Ganz im Gegenteil zeigt die Debatte der Autoren, die zum größten Teil seit Jahren einen Gesprächskreis bilden und in den wesentlichen Punkten durchaus einer Meinung sind, dass die Dinge nicht immer Schwarz oder Weiß sind. Das zentrale Ziel des Buches sei, "dass differenziert wird", sagt Winfried Bausback, der zweite Herausgeber des Buches. "Und dass liberale Muslime unterstützt und gestärkt werden." Dieser Ansatz unterscheidet das Buch stark von einer holzschnittartigen Islamkritik.

Das heißt jedoch keineswegs, dass die Autoren den fundamentalistischen Islam in Deutschland gewähren lassen wollen. Bausback etwa fordert unter anderem ein Verbot eines "kulturellen Rabatts" in Gerichtsurteilen. Das ist zugleich der erste Punkt in einer "Agenda gegen den politischen Islam", die das letzte Kapitel des Buches bildet. Linnemann listet darin auf, was der Staat konkret tun kann, um islamischen Fundamentalismus zu bekämpfen und die Integration zu fördern - darunter die Beschränkung des Anteils von Kindern mit Migrationshintergrund in Schulklassen auf 35 Prozent.

Den Titel des Buches sehen die Autoren als Brücke zwischen den unversöhnlichen Lagern: zwischen denen, die es mit Wulff halten, und denen, die seinen Satz ablehnen. Schäuble jedenfalls hat der Band gefallen. "Ich habe gedacht, na, guckste mal rein", sagt er. "Aber dann habe ich intensiv gelesen."

Quelle: ntv.de

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