Ein altes Industrieareal am Bahnhof Mannheim-Waldhof. Gegenüber von ein paar Supermärkten und wenige hundert Meter hinter der örtlichen Tafel, wo Bedürftige an diesem wolkig-trüben Montagmorgen Lebensmittel holen, liegt ein Gelände mit Parkplätzen und Backsteinbauten, ein „Business Park“, wo sich Firmen einmieten können. Ein Werbebanner verspricht „rundum sorglos Büros ab 15 m2“. Start-ups sind hier untergekommen, ein Software-Unternehmen, ein Anwalt oder eine Marketingagentur.
Hier residiert, ohne große Werbebanner, auch eine Firma, der ein eigenes Dossier auf der Website des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) gewidmet ist: „Bakkah Reisen“, ein Reiseveranstalter, der mit prominenten Salafisten als Führer für Pilgertouren nach Saudi-Arabien wirbt und damit in den Blick des Inlandsgeheimdienstes geraten ist.
Pilgerreisen sind ein einträgliches Geschäft. Der Markt ist krisenfest, denn die Touren sind religiöse Pflicht. Jeder volljährige Moslem, der gesundheitlich und finanziell in der Lage ist, soll mindestens einmal im Leben zum „Haddsch“ nach Mekka pilgern. Das ist Vorschrift, die „fünfte Säule“ des Islam. Mehr als 1,7 Millionen Menschen pilgern pro Jahr an die heiligen Stätten in Saudi-Arabien. Neben dem „Haddsch“ gibt es die „Umrah“, eine „kleine“ Pilgerreise.

Salafistisches Weltbild soll gestärkt werden

Doch die Trips sind nicht nur finanziell lukrativ, sondern für Strenggläubige auch aus anderen Gründen interessant: „Reiseveranstalter, die sich auf Saudi-Arabien spezialisiert haben, gewinnen unter den Anhängern des Salafismus immer mehr an Bedeutung“, beobachtet das LfV. „Die Firmen sind regional und international vernetzt. Auf den Reisen wird das salafistische Weltbild gestärkt, zudem kann es zu problematischen Kontakten mit einflussreichen Akteuren aus der Szene kommen. Solche Reisen können daher die Radikalisierung Einzelner verstärken.“

Während der Pilgertour direkt zur Dschihad-Truppe

Dass diese Sorge begründet ist, zeigte sich schon vor Jahren in einem Prozess am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart. Im März 2015 wurde dort der Stuttgarter Deutsch-Libanese Ismail I. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorgruppe zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. I. war der erste Syrien-Auslandskämpfer, der in Baden-Württemberg vor Gericht stand. Im Prozess kam heraus: Der Mann, der bis zu seinem Abrutschen in den Salafismus mit Drogen- und Schulproblemen kämpfte, war kurz vor seiner Syrien-Dschihad-Reise nach Mekka gepilgert. Dort wurde er indoktriniert, bekam noch während der Reise das Angebot, zu einer Dschihadisten-Truppe nach Syrien geschleust zu werden.
Anwerber und Vermittler war damals der bundesweit berüchtigte Salafist Sven Lau, der später selbst ins Gefängnis musste und erst kürzlich freikam. Lau begleitete I.’s „Umrah“ als Reiseleiter, gemeinsam mit einem weiteren prominenten Glaubensbruder: Pierre Vogel, damals so etwas wie der Star des deutschen Salafismus.

Verzweigtes Firmengeflecht

Vogel ist in der Szene heute aus vielerlei Gründen bedeutungslos. Doch Pilgerreisen leitet er immer noch. Besucht man die „Bakkah“-Website, kann man sein Foto anklicken und buchen. Der Anbieter verspricht „Deutschlands bestes Preis-Leistungs-Verhältnis im Bereich Hadsch- und Umra-Reisen“. 2018 kostete so eine Reise fast 5000 Euro.
Vogel ist nicht der einzige zwielichtige Reiseleiter. Wie das Landes-Innenministerium auf eine Landtags-Anfrage der FDP-Fraktion mitteilte, sind dem LfV in dem Zusammenhang weitere Szene-Prediger bekannt: Ahmad A., alias „Abul Baraa“, ein salafistischer YouTube-Hetzer, gegen den wegen Terror-Finanzierung ermittelt wurde. Außerdem Amen D., Prediger in einer einschlägigen Moschee in Mannheim, und Bilal G., ein berüchtigter Salafist, der als Organisator von Koranverteilungskampagnen bekannt und im Dezember 2018 vom Landgericht Frankfurt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Dagegen legte G. Revision ein, das Verfahren liegt beim Bundesgerichtshof.

Reiseanbieter schweigt

„Bakkah-Reisen“ antwortete nicht auf Fragen zu den Reisbegleitern und anderen Aspekten ihres Geschäftes. Doch die FDP-Anfrage deckte neben den Protagonisten auch das verästelte Netzwerk hinter der Reiseagentur auf: „Bakkah-Reisen“ gehört den Verfassungsschützern zufolge zur „HTG Group“, ebenso die Reiseveranstalter „IME“ (ebenfalls Mannheim) und „GoMekka“ (Gelsenkirchen). „Ferner scheint ,Bakkah-Reisen’ Beziehungen zur Missionierungskampagne ,We love Muhammad’ zu haben“, stellt das Amt fest. Das ist eine Art Nachfolge-Operation der 2016 bundesweit verbotenen Islam-Verteilorganisation „Lies!“, aus deren Umfeld viele radikalisierte Jugendliche nach Syrien gingen. Für „IME“ wiederum fungiert laut LfV der bekannte Salafist Marcel K. als Reiseleiter.
Amen D. habe zudem Beziehungen zu „BLCK STONE GmbH“, einem Reiseanbieter aus Nordrhein-Westfalen, der damit werde, dass alle Gewinne an den salafistischen Verein „Ansaar International“ fließen. Hier besteht laut Bundes-Innenministerium der „konkrete Verdacht“, dass die Vereinigung Verbotstatbestände nach dem Vereinsgesetz erfülle, weil sie propagandistisch und finanziell die palästinensische Terrororganisation Hamas unterstütze.
Für die Landtags-FDP ist das Wirken der salafistischen Reiseveranstalter untragbar: „Innenminister Strobl muss alle landesrechtlichen Mittel ausschöpfen, um die Tätigkeit solcher Organisationen in Baden-Württemberg einzudämmen“, fordert Nico Weinmann, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion und Obmann im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Arbeit des LfV. „Vor allen Dingen muss er gegenüber dem Bundesinnenminister darauf hinwirken, dass derartige Strukturen in Deutschland künftig nicht mehr bestehen.“

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Unter Beobachtung

Die salafistische Szene in Deutschland ist sehr vielschichtig und unterschiedlich. Der Verfassungsschutz beobachtet in Deutschland ca. 11 500 Personen, die er dem politischen Salafismus zurechnet. Die Szene wächst.
Unter den Salafisten sind etwa 2000 Militante und knapp 800 sogenannte Gefährder. Von diesem sind wiederum rund 180 in Haft, 350 halten sich im Ausland auf. Rund 250 Salafisten bewegen sich frei in Deutschland.
In Baden-Württemberg geht das Landesamt für verfassungsschutz in seinem jahresbericht 2017 von etwa 750 Anhängern salafistischer Bestrebungen aus. Sie sollen sich in 20 Objekten oder Vereinigungen betätigen.