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Heikle Mission Auswärtiges Amt rettet Waisenkinder von IS-Anhängerinnen aus Syrien

Die Bundesregierung hat nach SPIEGEL-Informationen erstmals die Ausreise von Kindern deutscher IS-Anhängerinnen aus einem Gefangenenlager in Syrien organisiert. Den Bruder eines kleinen Mädchens aber konnte man nicht finden.
Frauen mit Kind im Lager Al-Haul: Minutiös geplante Aktion

Frauen mit Kind im Lager Al-Haul: Minutiös geplante Aktion

Foto: Maya Alleruzzo/ AP/ DPA

Das Auswärtige Amt (AA) hat erstmals drei Waisenkinder von deutschen Anhängerinnen des "Islamischen Staats" aus einem syrischen Gefangenenlager gerettet und die Heimkehr der Kinder zu Verwandten nach Deutschland organisiert.

Nach SPIEGEL-Informationen wurden die drei Kleinkinder im Alter zwischen zwei und sieben Jahren am Montag mit einem Konvoi von privaten Hilfsorganisationen aus dem Lager al-Haul in Nordsyrien nach Erbil im Nordirak gebracht. Von dort sollen sie mit Verwandten nach Deutschland zurückkehren.

Nach SPIEGEL-Informationen handelt es sich um die Kinder von zwei getöteten Anhängerinnen des "Islamischen Staats" aus Baden-Württemberg und Hessen. Die beiden Mütter waren nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden bei den Kämpfen um die letzte Bastion des IS in Syrien getötet worden.

Seitdem lebten die Kinder bei anderen Familien von IS-Kämpfern in dem Gefangenenlager. Dort sitzen Hunderte mutmaßliche IS-Anhängerinnen ein, die in den vergangenen Monaten von kurdischen Sicherheitskräften aufgegriffen worden waren. Die männlichen Kämpfer sind in einem separaten Teil des Lagers untergebracht.

Deutsche Diplomaten hatten die Heimhol-Aktion minutiös und klandestin vorbereitet. Der SPIEGEL und zwei andere Medien wurden dringend darum gebeten, die heikle Mission nicht durch Berichterstattung zu gefährden und erst nach dem Grenzübertritt der Kinder darüber zu berichten.

Die Vorbereitungen waren kompliziert. Über private Hilfsorganisationen prüften die Behörden sogar durch DNA-Tests, dass es sich um die richtigen Kinder handelt. Tragischerweise wurde ein weiterer Sohn einer der getöteten deutschen Mütter nicht im Lager gefunden. Trotzdem entschied man sich, die Aktion zu starten.

Keine Blaupause für IS-Kämpfer

Die Operation am Montag war für die Bundesregierung eine Premiere. Bisher hat Berlin keine klare Linie, wie man mit den zahlreichen deutschen IS-Anhängern in den Gefangenenlagern in Syrien und Irak umgehen soll. In den Jahren ab 2012 waren Hunderte IS-Anhänger aus Deutschland in den Kampf gezogen.

Zwar hatte die irakische Regierung für viel Geld eine Art Sondertribunal für die mutmaßlichen Terroristen angeboten. In Berlin aber hält man diesen Weg wegen der wenig rechtsstaatlichen Justiz im Irak und der drohenden Todesstrafe für jede Art von Terrorverdacht für nicht gangbar.

Im Fall der drei Waisenkinder hingegen hatten Verwandte vor einem deutschen Gericht eingeklagt, dass das Außenamt die Kinder heimholen muss. Nach eindeutigen Schriftsätzen des Gerichts entschieden sich Auswärtiges Amt und Behörden, die Fälle mit Hochdruck anzugehen.

In Sicherheitskreisen hieß es aber, dies sei keine Blaupause für IS-Kämpfer, die in Syrien und Irak festsitzen. Vielmehr handele es sich um eine humanitäre Aktion für hilflose Kinder . Sie seien Opfer, keine Täter.

Bei den Kindern handelt es sich um den siebenjährigen Sohn einer mutmaßlichen IS-Anhängerin aus Hessen, die vermutlich bereits 2014 gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem kleinen Yahya nach Syrien ausgereist war.

Seine Schwester Yasemine wurde offenbar wie die Mutter bei Kämpfen in Syrien getötet. Die Großeltern des Jungen hatten ihn auf Bildern aus dem Gefangenenlager erkannt und sich an die Behörden gewandt.

Kinder sollen bei Verwandten wohnen

Daneben wurden zwei weitere Mädchen aus dem syrischen Camp gerettet. Die Kinder im Alter von zwei und vier Jahren waren von ihrer Mutter, einer IS-Anhängerin, aus Baden-Württemberg nach Syrien verschleppt worden. Auch sie soll dort einen IS-Kämpfer geheiratet haben.

Ähnlich wie bei den Yahya wurde auch in diesem Fall eine Verwandte in Deutschland über das Schicksal der Kinder informiert, sie wiederum setzte sich mit den Sicherheitsbehörden in Verbindung.

Neben den Kindern der getöteten IS-Anhängerinnen wurde ein weiteres Kind aus dem Lager geholt und soll nun nach Deutschland kommen. Es handelt sich um die Tochter einer Berlinerin, die sich 2016 dem IS angeschlossen hatte. Die Frau lebt in dem Gefangenenlager. Ihre neun Monate alte Tochter Sofia leidet an gefährlichen Wassereinlagerungen im Kopf, konnte aber in dem Lager nicht ausreichend behandelt werden. Das kleine Mädchen soll nun ebenfalls bei Verwandten in Deutschland unterkommen.

Die Familien, bei denen die Kinder künftig leben sollen, werden von Psychologen betreut. Bei den Behörden geht man davon aus, dass die sehr jungen Kinder zwar von den schrecklichen Erlebnissen der letzten Jahre traumatisiert sind, Gefahr aber gehe von ihnen vermutlich nicht aus.

Ganz anders sehen die Behörden diese Frage bei Jugendlichen oder Erwachsenen, die sich jahrelang im IS-Gebiet aufgehalten haben. Der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen hatte für Fälle von Jugendlichen, die im IS-Gebiet aufgewachsen sind, sogar vor "tickenden Zeitbomben" gewarnt.

Video: Bundesregierung will weitere Kinder von IS-Anhängerinnen retten

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Die Frage wie man mit den vielen Gefangenen umgeht, wird die Bundesregierung also weiter umtreiben. Nach aktuellen Aufstellungen werden allein in Syrien 109 Islamisten und Islamistinnen festgehalten, die aus Deutschland in das Kriegsgebiet gereist sind, rund drei Viertel von ihnen haben einen deutschen Pass.

Der Anteil der Frauen ist hoch: Die Beamten in Berlin wähnen in den syrischen Lagern aktuell 68 Frauen, insgesamt sollen sie 120 Kinder bei sich haben.

Im Video: Deutsche IS-Frauen in Gefangenschaft

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