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Offenbach: Extremismus-Beratungsstelle kaum gefragt

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Thomas Mücke (re.) gründete 2004 das Violence Prevention Network zur Deradikalisierung von Gewalttätern.
Thomas Mücke (re.) gründete 2004 das Violence Prevention Network zur Deradikalisierung von Gewalttätern. © peter-juelich.com

Das Angebot soll islamistisch radikalisierten Jugendlichen in Offenbach den Ausstieg aus der Szene ermöglichen - wird aber kaum angenommen. Das hat Gründe.

Offenbach - Die mit viel Lob Anfang 2018 in Offenbach eröffnete „Beratungsstelle gegen religiös motivierten Extremismus“ hat die Erwartungen nicht erfüllt. „Die Resonanz war dürftig, wir hatten uns mehr versprochen“, sagt Frank Weber, Abteilungsleiter Kommunale Prävention, der das Projekt mitinitiiert hat. „Es kommt niemand einfach mal vorbei. Warum auch immer.“ Weber ist enttäuscht. „Man muss doch nicht einen Salafisten im Schlepptau haben, um dort hinzugehen.“

Tatsächlich richtet sich das Angebot ausdrücklich an das soziale Umfeld von radikalisierten Jugendlichen, also an Lehrer, Angehörige und Behörden. Doch Hinweise blieben aus, obwohl in Offenbach Menschen aus 167 Nationen leben, davon viele aus muslimischen Ländern. Träger der Beratungsstelle ist das Violence Prevention Network (VPN). Geschäftsführer Thomas Mücke nannte keine Zahlen, wie viele Anfragen oder Hinweise VPN, das auch in Frankfurt und Kassel Anlaufstellen betreibt, monatlich erreichen. Er bestätigte lediglich, dass man derzeit bundesweit 400 Personen intensiv begleite. Dabei handelt es sich um radikalisierte Jugendliche, Salafisten und IS-Rückkehrer, aber auch um deren Angehörige.

An mangelnder Werbung lag es nicht

Mücke meinte, die Nachfrage in Offenbach sei ausgeblieben, weil die Anlaufstelle zu nahe an der in Frankfurt liege. Mit Pro Prävention gibt es im Kreis Offenbach zudem ein weiteres Angebot. Die Frankfurter Islamforscherin Susanne Schröter, die das Projekt im Kreis Offenbach wissenschaftlich begleitet hat, vermutet, dieses Angebot habe den örtlichen Bedarf möglicherweise bereits gedeckt, so dass VPN nicht benötigt werde.

Ein VPN-Mitarbeiter erklärte sich das fehlende Interesse damit, dass das Thema islamistischer Extremismus medial nicht mehr so präsent gewesen sei. Mit den IS-Rückkehrern könne sich das aber ändern. „Dann geht die Beratungskurve nach oben.“

Der Misserfolg wirkt auf den ersten Blick unverständlich. Denn es gibt in Offenbach eine salafistische Szene. Im März war ein 21-Jähriger Offenbacher verhaftet worden, der mit anderen einen islamistisch-terroristisch motivierten Anschlag geplant haben soll. An mangelnder Werbung dürfte es auch nicht gelegen haben. Die Stadt hatte mehr als 100 000 Flyer an Schulen, Kitas, Moscheevereine und Haushalte verteilt.

Nach Angaben des Verfassungsschutzes ist die Zahl der Salafisten in Deutschland momentan so hoch wie nie zuvor. Das Rhein-Main-Gebiet und Nordhessen gelten als Schwerpunkte der islamistischen Szene in Hessen. Laut Innenministerium leben hier 1650 Salafisten, mindestens ein Viertel sei gewaltbereit. Die dschihadistische Bedrohung sei nach wie vor da und wachse durch die IS-Rückkehrer, sagt Schröter.

Wirksamkeit muss evaluiert werden

Das Land fördert die Arbeit von VPN, das in Hessen 19 Fachkräfte beschäftigt, 2019 mit 1,2 Millionen Euro. Innenminister Peter Beuth (CDU) hält das Angebot für wichtig. „Denn die Berater halten jungen Menschen, die Opfer von extremistischen Rattenfängern geworden sind, den Spiegel vor und bringen sie mit viel Einfühlungsvermögen, aber auch klaren Ansagen zurück in die Realität.“

Schröter hatte schon 2018 gemeint, viele der aktuell aus dem Boden sprießenden Aussteigerprogramme für Islamisten seien mit Vorsicht zu genießen. Die Wirksamkeit der Projekte müsse evaluiert werden. Die Offenbacher Islamismusexpertin Sigrid Herrmann-Marschall kritisiert, die Evaluierungen von VPN und anderen Anbietern erfassten eher nicht den tatsächlichen Erfolg, sondern mehr nur die Bemühung darum.

Gegenüber der FR räumte Mücke ein, „dass wir keinen Zugang zur muslimischen Community haben“. Vor Jahren sei der Kontakt besser gewesen, und es habe auch mehr Hinweise von dort gegeben. „Da müssen wir uns was überlegen“, sagte er. Herrmann-Marschall bezeichnete es ebenfalls als ein Manko nicht nur von VPN, sondern auch von anderen Anbietern, dass diese sich nicht „an die Front“, also in die Moscheen begäben. Stattdessen verbrächten Mitarbeiter viel Zeit bei Konferenzen, wo sie fleißig Marketing machten.

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