Zum Inhalt springen

Deradikalisierung im Internet Chats mit Ex-Terroristen und schlechte Witze

Mit Comedy und der Hilfe von Aussteigern wollen Behörden und zivile Initiativen den Terror im Internet eindämmen. Doch wie erfolgreich sind diese Strategien?
Der Comedykanal "Jihadi Fool" will Islamismus mit Witz entschärfen - finanziert vom NRW-Verfassungsschutz

Der Comedykanal "Jihadi Fool" will Islamismus mit Witz entschärfen - finanziert vom NRW-Verfassungsschutz

Foto: YouTube/Verfassungsschutz NRW

Der Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen will radikalen Islamismus mit "Witz, Humor und Fakten" auf YouTube bekämpfen. Auf dem im August 2019 gelaunchten YouTube-Kanal "Jihadi Fool " veröffentlicht der Verfassungsschutz teils aufwendig produzierte Comedyvideos wie "Bombenstimmung mit Bashka - Die Gulaschkanone" oder "Sharia Cops".

"Jeder gute Witz hat einen 'wahren" Hintergrund'", heißt es in der Kanalbeschreibung. "Mithilfe satirischer Darstellungen von extremistischem Salafismus und Islamismus/Terrorismus und Radikalisierung verfolgen wir das Ziel, dass sich ein breite(re)s Publikum mit diesen Thematiken auseinandersetzt." Die beiden neueren Clips haben allerdings bisher nur ein paar Hundert Menschen gesehen, auch die Kommentare sind überschaubar; das erfolgreichste Video hat bisher rund 15.000 Aufrufe, über einen IS-Rückkehrer, der mit dem Alltag in Berlin kämpft.

Das YouTube-Experiment ist nur ein Beispiel dafür, wie Regierungen, soziale Netzwerke und zivilgesellschaftliche Initiativen mit digitalen Ansätzen weltweit versuchen, islamistischer Terror-Propaganda - und zunehmend auch rechtsextremer Hetze - online eigene Angebote entgegenzusetzen, die zur Deradikalisierung beitragen sollen. Doch wie erfolgreich sind sie und wo liegen ihre Grenzen?

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Der Terrorismusexperte Irfan Peci (den neue SPIEGEL-Recherchen  inzwischen in ein zweifelhaftes Licht rücken) findet zwar die Schauspieler und die professionelle Produktion von "Jihadi Fool" gut, die Videos hätten aber viel zu wenig Klicks, zudem seien die meisten Kommentare negativ. "99 Prozent derer, die das kommentieren, sind normale YouTube-Nutzer und gehören gar nicht zu der Zielgruppe der Extremisten, auf die man es eigentlich absieht", sagt Peci.

Er hat früher als Deutschland-Chef der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) Onlinepropaganda für Al-Qaida gemacht und analysiert nun für den Thinktank ITCT Antiterrorstrategien. "Es ist ein zu 'deutscher' Humor", sagt er. "Die Zielgruppe, die sich am meisten radikalisiert, besteht aus jungen Muslimen. Die haben eine andere Mentalität und einen anderen Humor und werden das meiste davon gar nicht als lustig empfinden." Die 500.000 Euro Produktionskosten stünden in keinem Verhältnis zu der - wenn überhaupt - sehr geringen positiven Wirkung, so Peci.

Klar ist aber: Selbst mit massiven Lösch- und Sperraktionen bekommen soziale Netzwerke Terrorpropaganda im Internet nicht in den Griff. "In einer Welt, in der es unmöglich ist, extremistische Narrative komplett zum Schweigen zu bringen, ist es eine notwendige Alternative, 'counter-narratives' zu entwickeln", heißt es im"Counter-Narrative Handbook ", einem Strategiepapier des Londoner Thinktanks Institute for Strategic Dialogue (ISD). Es geht also darum, einer bestimmten Erzählung oder Sichtweise eine andere entgegenzusetzen. Es geht um Gegenpropaganda, wenn man so will.

Sogenannte Counter-Narratives sollen islamistische Narrative dekonstruieren oder herausfordern. "Alternative Narratives" könnten zudem positive Alternativen zu extremistischer Propaganda aufzeigen - etwa mit Geschichten, die Werte wie Offenheit, Freiheit und Demokratie betonen.

Abschreckung durch Schockvideos

Frankreich hat etwa nach den Terroranschlägen 2015 mit der Social-Media-Kampagne #Stopdjihadisme  mit Gegenpropaganda experimentiert. Ein Video konterte etwa von Islamisten verbreitete Mythen mit Gegendarstellungen, unterlegt mit drastischen Gewaltbildern. Schockbotschaften wie "Du wirst die Hölle auf Erden finden und allein sterben, weit weg von zu Hause" sollten Jugendliche davon abhalten, nach Irak oder Syrien auszureisen. Aber wie abschreckend wirken solche plakativen Schwarz-Weiß-Botschaften?

Staatlich finanzierte Gegenpropaganda in Form konfrontativer Strategien hält der Terrorismusexperte Dr. Benno Köpfer für "Vergangenheit". Er ist Referatsleiter der Analysegruppe Internationaler Extremismus und Terrorismus beim baden-württembergischen Landesamt für Verfassungsschutz und sagt: "Ich sehe es nicht als Aufgabe des Staates, eine Art psychologische Kriegsführung zu betreiben."

Auch wenn staatliche Akteure etwa versuchen würden, den "richtigen Islam" gegen den "falschen Islam" auszuspielen, funktioniere das Köpfer zufolge nicht - solche Projekte hätten in Saudi-Arabien und den USA nur wenig Resonanz gehabt. Alternative Narrative - etwa durch das Aufzeigen anderer Lebenswege und Perspektiven - könnten seiner Meinung nach hingegen funktionieren.

"Die Menschen sind nicht dumm"

Ähnlich sieht es Pierre Asisi, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Präventionsverein ufuq.de. "Es hat wenig Überzeugungskraft, wenn der Verfassungsschutz Videos wie die Comedyserie produziert - die Menschen sind nicht dumm, sie hinterfragen so etwas", sagt er. "Man muss sich Themen ansehen, die von Extremisten behandelt werden und Antworten entwickeln, am besten mit der Zielgruppe zusammen, statt von oben herab." Dabei gehe es nicht gleich um Aspekte wie eine mögliche Ausreise in Kriegsgebiete. Asisi beobachtet, dass die islamistische Seite noch nicht radikalisierte Jugendliche meist mit niedrigschwelligen Themen wie Rassismus und Diskriminierung ködert. Die von ufuq.de produzierten Videos "Alternativen aufzeigen! " werden zwar ins Netz gestellt, sie dienen aber vor allem Lehrern als Gesprächsanlass mit Schülern.

Für erfolgreich hält Asisi auch authentische Projekte wie das von Funk - dem jungen Medienangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - geförderte Satireprojekt "Datteltäter". Junge YouTuber greifen Themen wie Kopftücher, Alltagsrassismus oder Hatespeech auf und erreichen mit Videos wie "16 Dinge, die kopftuchtragende Frauen in Deutschland kennen " oder "Wenn Rassismus ehrlich wäre: Das Bewerbungsgespräch " mehr als eine Million Klicks und regen Debatten an.

Vorwürfe verdeckter Propaganda

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) betreibt den Instagram-Kanal "Say my Name ", der sich mit Themen wie Alltagsrassismus und Sexismus beschäftigt, aber auch positive Memes verbreitet. Auch das Web-Projekt "Jamal al-Khatib" wird von der bpb gefördert. In einer Videoserie beschreibt ein angeblich 16-jähriger Österreicher seine Radikalisierung und seinen Ausstieg. "Es sind spannende, professionell gestaltete Videos, aber es war nicht ganz klar, ob es ein fiktiver Charakter ist oder nicht. Es wurde erst im Nachhinein aufgelöst, dass die Geschichten mehrerer Jugendlicher zu einer Figur verdichtet wurden", sagt Pierre Asisi von Ufuq.de.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können Ihre Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wird die staatliche Finanzierung von bestimmten Angeboten verschleiert, kann das zu gegenteiligen Effekten führen, wie Erfahrungen aus Großbritannien zeigen. Dort wollte der hippe Instagram-Kanal "This is Woke"  junge Muslime mit Videoclips und Sprüchen wie "Nimm dir eine Selfcare-Pause" oder "Du kannst eine Feministin sein und gleichzeitig eine Muslimin" erreichen.

Als vor Kurzem herauskam , dass das britische Innenministerium das von einer Medienfirma produzierte Angebot finanziert, gab es Aufregung um verdeckte Propaganda. Auch "SuperSisters", eine Plattform für junge Musliminnen, steht in der Kritik , weil Inhalte ebenfalls von einem Counter-Terrorismus-Programm der Regierung finanziert wird. Nutzerinnen fühlen sich betrogen, muslimische Mitarbeiter kündigten.

Onlinequiz über Radikalisierung

Bei Jugendlichen, die bereits mit Islamisten sympathisieren, ist die Wirkung solcher Angebote ohnehin begrenzt. "Es ist wie ein Wettrüsten: Die dschihadistische Seite will ihre Leute in der Echokammer halten - und hat dabei einen deutlichen Startvorteil mit ihren eingängigen Heldengeschichten. Da muss man dann eher in der Realwelt als in den Onlinesphären ansetzen", sagt Benno Köpfer vom Verfassungsschutz.

Projekte wie die interaktive Plattform "Zivile Helden " von der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) versuchen daher den Freundeskreis von gefährdeten Jugendlichen anzusprechen. In Rap-Form werden Gespräche unter Freunden nachgestellt, die Nutzer können sich dann für Argumentationsstrategien entscheiden oder per Onlinequiz mehr über Hinweise auf eine Radikalisierung lernen. Köpfer hält es auch für sinnvoll, dass Initiativen wie "Jugendschutz.net"  das Gespräch mit Jugendlichen, Eltern und Lehrern suchen. Das Internet sei "ein begünstigendes Werkzeug" für Radikalisierung, aber die Freunde und das nähere Umfeld viel entscheidender, gerade am Anfang.

Chatten mit Terroristen

Das Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) hat mit "One to One" ein direktes Dialogformat fürs Internet entwickelt: Jugendliche in Großbritannien, den USA und Kanada, die online radikale Ansichten äußerten, wurden per Facebook-Messenger von Ex-Terroristen und anderen Aussteigern angeschrieben und in Chats verwickelt.

"Die Methode ist sehr aufwendig und hat auch Risiken - aber es entsteht ein irritierender Moment, und man kann vielleicht den kleinen Zweifel, der bei jedem noch existiert, größer machen", sagt Köpfer über das Projekt. "Der entscheidende Punkt ist, dass zwei Menschen miteinander reden, die wissen, wovon sie reden." Ein ähnliches Projekt könnte er sich auch für Deutschland vorstellen.

Auch Ex-Dschihadist Peci glaubt, dass die Kosten für "Jihadi Fool" in ein Dialogformat besser investiert wären: "Für 500.000 Euro könnte man für ein Jahr eine Gruppe Top-Deradikalisierer zusammenstellen, die den ganzen Tag nichts anderes machen als Extremisten im Internet anzuschreiben und sie in Gespräche zu verwickeln", sagt Peci. Er hält es für realistisch, dass so innerhalb eines Jahres Dutzende Menschen entradikalisiert werden könnten.

Gelinge es im Gespräch, Sympathisanten für eine andere Perspektive zu öffnen, könne man noch zu einem späteren Zeitpunkt Material zeigen, das etwa die Brutalität der Islamisten belegt. "Extremisten machen es ja genauso meistens", sagt Peci. "Sie verbreiten nicht ziellos Videos, sondern machen erst Dawah (missionieren) mit der Person und erst ab einem geeigneten Zeitpunkt spielen sie ihr Propagandamaterial und andere Sachen zu."

Anmerkung: Eine weitere SPIEGEL-Recherche nach Erscheinen des obigen Textes rückt den früheren Salafisten Irfan Peci in ein neues Licht. So sind zum Beispiel private Nachrichten aufgetaucht, in denen er gegen Flüchtlinge hetzt. Lesen Sie den Artikel hier .