Es gibt praktisch keinen Zweifel mehr: Abu Bakr al-Bagdadi, selbsternannter "Kalif" und Anführer der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) ist tot. Al-Bagdadi starb, indem er sich selbst in die Luft sprengte, um zu verhindern, dass US-Spezialkräfte ihn festnehmen oder erschießen würden. Seine Identität sei noch vor Ort sicher festgestellt worden, sagte Präsident Donald Trump auf einer Pressekonferenz zu dem Einsatz in Nordwest-Syrien.

Der IS hat den Tod al-Bagdadis bisher nicht bestätigt. Das ist aber nicht ungewöhnlich: In der Vergangenheit hat sich die Organisation zwischen wenigen Stunden und einer Woche Zeit gelassen, um entsprechende Kommuniqués zu veröffentlichen. 

Al-Bagdadi war der meistgesuchte Terrorist der Welt; die Organisation, die er führte, ist verantwortlich für Tausende Tote und hunderttausendfaches Leid. Er führte in seinem "Kalifat" die Sklaverei ein, war ein Sadist und Vergewaltiger und drohte allen "Ungläubigen" weltweit mit Anschlägen. Sein Tod ist zweifellos eine Niederlage für den IS. Trotzdem sollte sein Ende nicht mit dem Ende des IS gleichgesetzt werden, genauso wenig wie die Tatsache, dass die Terrormiliz im März dieses Jahres den letzten Rest ihres Möchtegern-Staates in Syrien und im Irak verloren hat. Denn der IS, seine Vorgängerorganisationen und andere dschihadistische Terrorgruppen haben immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie erschreckend gut darin sind, Rückschläge zu verkraften. 

Als 2006 beispielsweise Abu Mussab al-Sarkawi getötet wurde, die zentrale Gründungsfigur des IS, sagten viele Experten und Beobachter das Ende der Gruppe voraus. Sie sollten sich irren. Auch unter al-Sarkawis nahezu unbekannten Nachfolgern überlebte der IS. Die Terrororganisation reagierte auf seinen Tod damals mit einer Relativierung: Er sei nur ein Mann gewesen, und nicht für ihn, sondern für ihre Sache hätten die Dschihadisten gekämpft; dieser Kampf werde weitergehen. Es wäre nicht überraschend, wenn der IS sich jetzt ähnlich äußern würde, und etliche Kämpfer und Sympathisanten könnten es auch genau so meinen. 

Hinzu kommt, dass al-Bagdadi zu keinem Zeitpunkt der Alleinherrscher innerhalb des IS war. Er war nicht an allen bedeutenden Entscheidungen beteiligt. Sein Tod bedeutet deshalb auch nicht, dass der IS von einer Sekunde auf die nächste führungslos wäre. Natürlich hat die internationale militärische Kampagne gegen die Terrororganisation dazu geführt, dass ihre Kommandostrukturen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Möglichkeiten, zu kommunizieren, sind massiv eingeschränkt, die Entscheidungsfindung ist erschwert. Aber zumindest in Rudimenten bestehen diese Strukturen noch. Man kann das an den Anschlägen ablesen, die der IS in den letzten Monaten sowohl in Syrien als auch im Irak geplant, koordiniert und ausgeführt hat. Wahrscheinlich ist zudem, dass der IS Vorsorge getroffen hat für Tod seines Anführers. So gut das unter den aktuellen Bedingungen möglich ist.

Gibt es einen Nachfolger?

Nominell hatte al-Bagdadi schon seit 2010 einen Stellvertreter mit dem Kampfnamen Abu Abdullah al-Hassani. Über ihn ist allerdings wenig bekannt, nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt. Der aktuelle Sprecher der Organisation ist Abu al-Hassan al-Muhadschir. Beide Männer kämen theoretisch als Nachfolger in Frage. Aber ebenso denkbar ist, dass der IS einen Anführer nominiert, der der Außenwelt kaum bekannt ist. Oder er ernennt überhaupt keine einzelne Person – um das Risiko zu minimieren, dass auch der nächste Chef wieder ausgeschaltet wird.