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Neue Unruhen in Portland Zwei Schüsse, ein Toter, viele Fragen

Ein Todesfall spaltet die USA: In Portland wurde nach Protesten ein mutmaßlicher Trump-Fan erschossen. Der Präsident versucht, den Fall auszuschlachten. Doch was ist wirklich passiert? Erste Antworten.
Von Marc Pitzke, New York
Gedenken an das Todesopfer Aaron J. Danielson in Portland im US-Bundesstaat Oregon

Gedenken an das Todesopfer Aaron J. Danielson in Portland im US-Bundesstaat Oregon

Foto: Gillian Flaccus / AP

Donald Trump tritt ans Pult, um die Nation über den Stand der Dinge zu informieren. Die Pressekonferenz im Weißen Haus ist am Montag in letzter Minute angesetzt worden. Es muss sich also um etwas Wichtiges handeln.

Nach der inzwischen schon üblichen Desinformation über das "China-Virus" ("Wir tun, was keiner für möglich hielt") kommt Donald Trump zur Sache. Sprich: "Die linke Gewalt, die wir in demokratisch regierten Städten sehen."

Anlass ist der jüngste Vorfall in Portland im US-Bundesstaat Oregon, bei dem am Samstag nach rivalisierenden Protesten ein mutmaßlicher Trump-Anhänger ums Leben kam. Eine halbe Stunde lang schimpft Trump über Portland, das komplett "in Flammen" stehe, über die "Killer" der "Terrororganisation" Antifa, über die Demokraten, die "unser Land zerstören". Er werde alle Macht des Staates einsetzen, um die "linken Unruhen" zu unterbinden: "Wir brauchen Ordnung."

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Das meiste davon ist erlogen, erfunden oder aus dem Zusammenhang gerissen. Was wirklich in Portland geschah, bleibt unklar. Erste Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie kam es zu den neuen Unruhen in Portland?

Seit drei Monaten kommt es in Portland fast täglich zu Black-Lives-Matter-Protesten gegen rassistische Polizeigewalt, bei denen es anfangs auch Sachbeschädigungen gab. Zuletzt hatte sich die Lage jedoch beruhigt.

Gegen Black Lives Matter: Trump-Anhänger auf der Kundgebung am Samstag bei Portland

Gegen Black Lives Matter: Trump-Anhänger auf der Kundgebung am Samstag bei Portland

Foto: Paula Bronstein / AP

Am Samstag rollten Hunderte Trump-Anhänger mit einem kilometerlangen Konvoi aus flaggengeschmückten Trucks durch Portland, um gegen einen Black-Lives-Matter-Marsch zu demonstrieren. US-Medien zufolge waren viele Trump-Anhänger bewaffnet. Die Kolonne sollte in sicherer Entfernung an den Protestierenden vorbeifahren, doch die Trucks wichen von ihrer Route ab. Nach Polizeiangaben kam es dabei zu Auseinandersetzungen. Einige Trump-Anhänger hätten Pfefferspray versprüht, die Protestierenden hätten Gegenstände zurückgeworfen.

Wie kam es zu dem Todesfall?

Lokalmedien berichteten, nach dem Abzug des Konvois seien an einer Kreuzung Schüsse gefallen. Auf einem YouTube-Video der Szene sind zwei Schüsse zu hören. Ein Mann läuft danach noch ein paar Schritte weiter, bevor er zusammenbricht, ein anderer Mann rennt in die andere Richtung fort. Mehrere Menschen laufen zu dem auf der Straße liegenden Mann.

Ein weiteres, von YouTube mit einer Warnung versehenes Video, zeigt das Nachspiel. Man sieht den offenbar angeschossenen Mann auf dem Asphalt liegen. Jemand ruft: "Jay, bist du okay?" Andere kommen angelaufen, um sich um den Mann zu kümmern, darunter dem Aussehen nach auch Sanitäter aus der Black-Lives-Matter-Gruppe. Schließlich riegeln Polizisten den Tatort ab. Der Mann starb den Behörden zufolge an einer Schusswunde in der Brust .

DER SPIEGEL

Wer ist das Opfer?

Die Behörden haben den Toten noch nicht offiziell identifiziert. CNN und andere US-Medien  berichteten aber, es handele sich um Aaron "Jay" Danielson, 39. Er habe eine Mütze der Organisation "Patriot Prayer" getragen, die den Konvoi mit organisiert hatte. Patriot-Prayer-Gründer Joey Gibson schrieb auf Facebook  und Twitter, der Erschossene sei ein "Freund und Unterstützer" der Gruppe gewesen. "Jay ist einer der nettesten Kerle, die es gibt", sagte Gibson auf CNN. Eine GoFundMe-Seite  hatte bis Montagabend fast 35.000 Dollar Spenden für Danielsons Familie gesammelt.

Wer ist der Täter?

Auch der mutmaßliche Täter wurde bisher nicht offiziell identifiziert. Nach Informationen der Lokalzeitung "Oregonian"  ermitteln die Behörden gegen den weißen Black-Lives-Matter-Anhänger Michael R. , 48. Im Juli habe er wegen öffentlichen Tragens einer geladenen Waffe und Widerstands gegen die Polizei eine Gerichtsvorladung bekommen, das Verfahren sei jedoch fallengelassen worden. R. habe schon öfter an Demonstrationen teilgenommen, sich in sozialen Medien als "100% Antifa" bezeichnet und zur "Revolution" aufgerufen, auch mit dem Hashtag #blacklivesmatter.

Was ist Patriot Prayer?

Patriot Prayer bezeichnet sich als Vereinigung von "Patrioten" und Trump-Anhängern, die für die Polizei kämpfen - und gegen die "konstante Einschüchterung und Schikane des Staates hinsichtlich Covid-19". Nach Darstellung der Watchdog-Organisation "Southern Poverty Law Center"  wurde Patriot Prayer aber schon 2016 als politische "Rechtaußengruppe" gegründet. Seit Jahren versuche sie, in progressiven Städten wie Portland Unruhen zu stiften. Schon bevor der Tod von George Floyd im Mai zu landesweiten Massenprotesten führte, habe Patriot Prayer oft Gewalt forciert.

Wie reagiert Portland?

Obwohl sich die Behörden über die Hintergründe des Falls zunächst bedeckt hielten, gaben sie den Trump-Anhängern bereits eine Mitschuld. Oregons Generalstaatsanwältin Ellen Rosenblum versprach eine Aufklärung der "juristischen Verantwortung", doch "moralisch" sei Trump schon jetzt verantwortlich, weil er zu Gewalt gegen Demonstranten ermuntere. Deborah Kafoury, die demokratische Bezirkschefin in Portland, warf den Trump-Anhängern in dem Autokonvoi vor, sie hätten versucht, die Black-Lives-Matter-Protestierenden "einzuschüchtern, zu provozieren und zu gefährden". Auch Portlands Bürgermeister Ted Wheeler schimpfte auf Trump.

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Was tut Trump?

Trump dagegen verlor keine Zeit, Portland zum Fanal für angeblich weitverbreitete Black-Lives-Matter-Gewalt gegen weiße "Patrioten" zu stilisieren - obwohl die Gewalt der letzten Monate überwiegend von Polizisten und rechten Gruppen ausging. Trump beschrieb den Patriot-Prayer-Konvoi als "friedlichen Protest" und nahm auch den 17-jährigen Trump-Anhänger in Schutz, der letzte Woche in Kenosha in Wisconsin zwei Demonstranten erschoss und jetzt wegen Mordes angeklagt ist: Der habe sich ja nur verteidigen wollen - eine groteske Verzerrung der Umstände.

Welche Strategie verfolgt Trump hier?

Trump lenkt damit von seinem Versagen in der Coronakrise ab, bei der bisher mehr als 181.000 Amerikaner umkamen. Er versucht stattdessen, "Law & Order" zum neuen Wahlkampfhit zu machen - und die Demokraten und ihren Kandidaten Joe Biden als Agenten gewalttätiger Unterwanderung zu diskreditieren. Dieses Thema durchzog schon den Wahlparteitag der Republikaner, wo die demokratisch regierten US-Städte als Schlachtfelder für Gangsterhorden porträtiert wurden - ein Bild fernab der Realität.

In diese Strategie passt nicht nur Portland, sondern auch Kenosha. Nachdem dort dem Schwarzen Jacob Blake von einem Polizisten in den Rücken geschossen worden war, kam es ebenfalls zu Protesten, Sachbeschädigungen und den tödlichen Schüssen auf zwei Demonstranten. Trump will an diesem Dienstag - gegen den ausdrücklichen Wunsch des Gouverneurs und des Bürgermeisters - nach Kenosha reisen (das er am Montag "Kenoshia" nannte), allerdings nur, um sich mit der Polizei zu treffen und "die Zerstörung" zu inspizieren. Ein Treffen mit Blakes Familie lehnte er ab.

Was tut Joe Biden?

Der Präsidentschaftskandidat der Demokraten übt sich in einem Drahtseilakt: Er unterstützt die Proteste, muss sich aber von jeder Gewalt distanzieren, zugleich Trumps Scharade als solche enttarnen und versuchen, die Aufmerksamkeit der Wähler auf Amerikas Corona- und Wirtschaftskrise zurückzulenken. Denn schon warnen prominente Demokraten, dass Trump mit seiner "Law and Order"-Message Aufwind bekomme.

Joe Biden bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh am Montag

Joe Biden bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh am Montag

Foto: ALAN FREED / REUTERS

Also hielt Biden am Montag eine harte Rede in Pittsburgh im Swing State Pennsylvania. Er verurteilte jede Gewalt, "ob links oder rechts" - und forderte Trump auf, "das Gleiche" zu tun. Trump murmele zwar die Worte "Law and Order", doch lasse er seine Anhänger weiter als "bewaffnete Milizen" auftreten. "Glaubt irgendjemand, dass es in Amerika weniger Gewalt geben wird, wenn Donald Trump wiedergewählt wird?"