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Bürgergeld statt Hartz IV | Hintergrund aktuell | bpb.de

Bürgergeld statt Hartz IV

Redaktion

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Ende November haben sich Bundesregierung und Union auf eine Reform des Hartz-IV-Systems geeinigt. Ab Januar kommt das Bürgergeld. Teile der Reform werden jedoch erst ab Juli greifen.

Ab dem 1. Januar ersetzt das Bürgergeld das bisher geltende Hartz-IV-System. (© picture-alliance, picture alliance / CHROMORANGE )

2023 tritt das Bürgergeld-Gesetz in Kraft und wird in zwei Schritten umgesetzt: zum 1. Januar und zum 1. Juli. Das Bürgergeld soll das umstrittene Arbeitslosengeld II (umgangssprachlich als Hartz IV bezeichnet) ablösen. Neben höheren Zahlungen sieht es auch diverse Neuerungen für Empfängerinnen und Empfänger der bisherigen Grundsicherung vor. Der Wechsel von der Grundsicherung hin zum Bürgergeld gilt als eine der größten Sozialreformen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Im November 2022 erhielten 5,3 Millionen Menschen in Deutschland die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ gemäß SGB II, also das sogenannte Hartz IV, das 2005 eingeführt worden war.

Vor allem SPD und Grüne wollten das System der Grundsicherung grundsätzlich ändern. Die letztlich von Bundestag und Bundesrat nach teils heftigen Diskussionen Ende November auch mit Stimmen der Union verabschiedete Gesetz sieht jedoch weniger weitgehende Neuerungen vor als zunächst von der rot-grün-gelben Regierung angedacht .

Regelsätze steigen

Mit Wirkung zum 1. Januar steigen im Rahmen des erzielten Kompromisses die Regelsätze für alleinstehende Erwachsene von 449 Euro auf 502 Euro. Bei Paaren bekommt nun jeder Partner jeweils 451 Euro überwiesen. Für im Haushalt lebende Jugendliche von 14 bis 17 Jahren zahlt das Jobcenter 420 Euro an die Eltern, für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren 348 Euro. Für jede Person unter sechs Jahren, die im Haushalt der Eltern lebt, beläuft sich die Zahlung künftig auf 318 Euro. Die Erhöhungen bewegen sich mit gut 10 Prozent in etwa auf dem Niveau der gegenwärtigen Inflation in Deutschland.

Höhere Schonvermögen

Miete und Nebenkosten erstatten die Jobcenter bislang ergänzend zum Regelsatz in „angemessener Höhe“. Künftig soll es jedoch eine sogenannte Karenzzeit geben: Im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs übernimmt das Jobcenter demnach die Kosten für die Unterkunft in der tatsächlich entstandenen Höhe. Für die Heizkosten gilt die zugesagte Kostenübernahme auf Wunsch der Unions-Parteien jedoch auch in den ersten zwölf Monaten nur in „angemessenen Umfang". Die Karenzeit soll nach Angaben der Bundesregierung ermöglichen, dass sich „die Leistungsberechtigten auf die Arbeitssuche konzentrieren können“. Deshalb sollen die Betroffenen künftig auch mehr von ihren Ersparnissen behalten dürfen. So berückschtigt die Bundesgagentur für Arbeit Vermögen erst ab 40.000 Euro. Für jede weitere Person in einem Haushalt erhöht sich dieser Freibetrag um weitere 15.000 Euro. Vom ursprünglichen Plan höherer Freigrenzen sowie einer längeren Karenzzeit hatte die Bundesregierung zuletzt auf Druck von CSU und CDU Abstand genommen.

Schwerpunkt auf Weiterbildung der Arbeitslosen

Ziel des Bürgergelds sei es, „die Menschen besser zu qualifizieren und dauerhaft in Arbeit zu bringen“, so das Bundesarbeitsministerium. Der sogenannte Vermittlungsvorrang in Arbeit wird abgeschafft. Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger sollen durch die Jobcenter demnach nicht schnellstmöglich in ein Arbeitsverhältnis wie beispielsweise einen Aushilfsjob gebracht werden. Stattdessen sollen Leistungsempfängerinnen und - empfänger in möglichst langfristige Anstellungsverhältnisse vermittelt werden. Ein größerer Fokus als bislang soll deshalb auf der Weiterbildung liegen. Durch ein Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich will das Bürgergeld ab dem 1. Juli besonders für Geringqualifizierte Anreize für eine Ausbildung oder Umschulung schaffen. Wer eine Weiterbildung mit Abschluss in Angriff nimmt, bekommt für erfolgreiche Zwischen - und Abschlussprüfungen eine Weiterbildungsprämie. Zudem sollen Maßnahmen, die besonders dabei helfen, langfristig zurück in Arbeit zu finden, mit einem Bürgergeld-Bonus von monatlich 75 Euro unterstützt werden.

Die Betreuung der Arbeitslosen soll intensiviert werden. Ein sogenanntes Coaching soll jenen Leistungsberechtigten helfen, die aufgrund individueller Probleme besondere Schwierigkeiten haben, Arbeit aufzunehmen oder aufgrund ihres niedrigen Verdiensts Aufstockungsleistungen beziehen. Künftig sollen die Jobcenter-Beschäftigten und die Bürgergeld-Beziehenden gemeinsam einen sogenannten Kooperationsplan ausarbeiten. Dieser sei der „rote Faden“ des Eingliederungsprozesses, so das Arbeitsministerium. Das Vertrauen zwischen Leistungsbezieherinnen und -beziehern sowie Jobcentern soll damit gestärkt werden.

Höhere Zuverdienstgrenzen

Bereits ab dem 1. Januar führt der Gesetzgeber eine sogenannte Bagatellgrenze ein. Jobcenter müssen zu viel gezahlte Beträge in Höhe von bis zu 50 Euro nicht mehr von den Leistungsbezieherinnen und -beziehern zurückfordern. Der Bund erhofft sich davon eine Entlastung der Jobcenter. Zudem werden die Zuverdienstgrenzen für Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher erhöht. Wer zwischen 520 und 1.000 Euro verdient, soll künftig mehr von seinem Einkommen behalten können. Die Freibeträge in diesem Bereich werden auf 30 Prozent angehoben.

Sanktionen bleiben möglich

Vor allem SPD und Grüne drängten darauf, dass im System der Grundsicherung künftig stärker auf „fördern“ und weniger als bisher auf „fordern“ gesetzt werden soll. Doch CDU und CSU gingen entsprechende Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil zu weit. So wurde die eigentlich seitens der Regierung vorgesehene halbjährige „Vertrauenszeit“ wieder verworfen. In den ersten sechs Bezugsmonaten hätten Bürgergeldempfängerinnen -und empfänger nur mit sehr eingeschränkten Leistungskürzungen durch die Arbeitsagenturen rechnen müssen. Die Union setzte allerdings durch, dass Arbeitslose, die Termine nicht wahrnehmen oder aus Sicht der Agentur zumutbare Jobs ablehnen, weiterhin mit Sanktionen rechnen müssen. Das Bürgergeld sieht hierfür ein dreistufiges System vor: Bei der ersten Pflichtverletzung mindert sich das Bürgergeld für einen Monat um 10 Prozent. Bei der dritten Verfehlung beträgt die Zahlungsminderung bereits 30 Prozent für ein Vierteljahr.

Kompromiss erst im Vermittlungsausschuss

Der Einführung des Bürgergelds war ein heftiger politischer Streit vorausgegangen. Im September hatte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zum Bürgergeld beschlossen, dem der Bundestag mit Koalitionsmehrheit am 10. November zustimmte. Weil diverse CDU- und CSU-regierte Länder diesen Entwurf jedoch ablehnten, verfehlte das Gesetz im Bundesrat die nötige Mehrheit. Im Vermittlungsausschuss verständigten sich schließlich Vertreter von Bundestag und Bundesrat am 23. November auf den mittlerweile beschlossenen Kompromiss.

Die ursprünglich geplante Version des Bürgergelds hatten neben der Union auch Arbeitgeberverbände kritisiert, unter anderem deshalb, weil es die die Menschen nicht zum Arbeiten aktiviere. Mehrere Sozialverbände wie die Diakonie hatten die ursprünglichen Pläne dagegen begrüßt. Auch an der Kompromissfassung gibt es Kritik. Vertretern der Partei DIE LINKE geht das Bürgergeld nicht weit genug. Im Bundesrat stimmten Parteivertreterinnen und -vertreter dennoch für die Reform. Die AfD lehnt das Bürgergeld ab. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hält derweil die Erhöhung der Regelsätze für nicht ausreichend.

Bürgergeld ausschließlich für Erwerbsfähige

Das Hartz-IV-System wurde 2005 von der rot-grünen Bundesregierung unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeführt und war von Anfang an umstritten, auch innerhalb der SPD. Um ihr sozialpolitisches Profil zu stärken, drängte neben den Grünen vor allem die SPD innerhalb der Bundesregierung auf eine Reform.

Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) haben erwerbsfähige Hilfebedürftige zwischen 15 Jahren und der Regelaltersgrenze sowie deren Angehörige. Zu den zuletzt über fünf Millionen Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern zählen neben Arbeitslosen auch Erwerbstätige, die eine Lohnaufstockung erhalten, und Hilfebedürftige, die zwar erwerbsfähig, aber nicht arbeitslos sind. Erwerbsfähig ist laut Gesetz, „wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein“. Tatsächlich gilt die Bürgergeld-Reform nur für Menschen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Menschen, deren Rente nicht zum Leben reicht oder Erwachsene, die nicht erwerbsfähig sind, erhalten Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Dies waren im Dezember 2020 über eine Million Menschen. Auch für sie sollen die Regelsätze nun deutlich steigen.

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