Gastkommentar

Ob es das politische System Irans unbeschadet durch die Corona-Krise schafft, ist höchst fraglich

Religiöser Obskurantismus, ideologische Verbohrtheit und politische Rücksichtnahme hindern das iranische Mullah-Regime daran, auf die Corona-Epidemie angemessen zu reagieren. Es rächt sich, dass man das Vertrauen des Volkes verspielt hat. Schlimmstes ist zu befürchten.

Wilfried Buchta
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Ein Feuerwehrmann desinfiziert den Imamzadeh-Saleh-Schrein im Norden Teherans.

Ein Feuerwehrmann desinfiziert den Imamzadeh-Saleh-Schrein im Norden Teherans.

Ebrahim Noroozi / AP

Bisweilen muten Reden führender Politiker und schiitischer Geistlicher Irans so wunderlich an, als entsprängen sie akademischen Standardlehrwerken über Verschwörungstheorien oder über machtpolitischen Zynismus. Allemal gilt das für eine der jüngsten Reden des mächtigsten Mann Irans, des Revolutionsführers Ali Khamenei. Es ist eine bemerkenswerte, wohl als Jinn-Rede in die Annalen eingehende Rede, die er am 22. März zu Beginn des alljährlichen iranischen Nowruz-Neujahrsfests gehalten hat. Mit Blick auf die in Iran immer gefährlicher werdende Corona-Krise, die das medizinische Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs bringt, versuchte er darin, den Iranern Hoffnung zu machen und Mut zuzusprechen.

Grösstenteils aber widmete sich Khameneis Rede seinem Lieblingsthema: dem Kampf gegen seinen politischen Erzfeind, die seit der Revolution von 1979 zum «grossen Satan» stilisierten USA, die sich aber nun in Corona-Zeiten, so Khamenei, nicht nur mit feindseligen irdischen, sondern auch überirdischen Mächten gegen Iran verschworen hätten. Iran blicke einer tödlichen Gefahr ins Auge, denn: «Wir haben Jinn und menschliche Feinde, die sich gegenseitig helfen. Die Geheimdienste vieler Staaten arbeiten zusammen, um uns zu schaden.» Ausgerechnet Jinn. Jene im Koran häufig erwähnten, die Welt bevölkernden übersinnlichen Geisterwesen, die, erschaffen aus rauchlosem Feuer, vernunftbegabt und zum Guten und Bösen fähig sind und sogar in menschliche und tierische Gestalt schlüpfen können.

Zudem betonte Khamenei in der Rede, dass sich Iran strikt weigere, Washingtons Angebot anzunehmen, Ärzte, Medikamente und medizinische Materialien und Geräte zu entsenden, um Iran in der Corona-Krise zu helfen. Als Begründung führte er an, den «bösartigen USA» könne man nicht trauen, da es den triftigen Verdacht gebe, dass die USA das Virus in ihren biotechnologischen Waffenlabors selbst hergestellt und dessen Gencode speziell für den Einsatz in Iran verändert hätten. Hinter dem Angebot stehe eine List der USA, die mit den entsandten Medizinern nur an Ort und Stelle feststellen wollten, wie erfolgreich ihr Virus funktionierte. «Ferner könnten sie den Iranern», so Khameneis Worte, «Medikamente verabreichen, die die Ausbreitung des Virus fördern oder sicherstellen könnten, dass es auf ewig in Iran bleibt». Um dem machtpolitischen Zynismus, der aus seiner Rede sprach, noch die Krone aufzusetzen, erklärte Khamenei den Iranern, dass nicht die Annahme ausländischer Hilfe, sondern das Gebet das beste Mittel sei, die Krise durchzustehen.

Mehrere Millionen Tote?

Während sich Khamenei in menschenverachtendem Zynismus und verschwörungstheoretischem Obskurantismus erging, hatte die Regierung Irans die Kontrolle über die Corona-Ausbreitung weitgehend verloren. Wie kritisch die Lage ist, verdeutlichte eine am 18. März durch internationale TV-Sender wie al-Jazeera publik gemachte Studie der Technischen Sharif-Universität in Teheran, die sogar in Irans Staatsmedien Erwähnung fand. Mithilfe von statistischen Computermodellen hatten Fachmediziner dort drei Szenarien entwickelt, die den potenziellen weiteren Verlauf simulierten.

Das realistischste Szenario war das dritte, vom schlimmsten Fall ausgehende. Entsprechend müsste man in Iran mit einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems rechnen, was bis zu 3,5 Millionen Tote zur Folge haben könnte. Dazu käme es, so die Wissenschafter, wenn die Bevölkerung mehrheitlich den Corona-Schutz-Anordnungen der Regierung nicht Folge leisten und die Regierung selbst nicht den Grossteil Irans oder idealerweise das gesamte Land einer strengen Quarantäne unterwerfen würde.

Um sein politisches Überleben zu sichern, ist das Teheraner Regime auf Gedeih und Verderb auf die enge Kooperation mit China angewiesen.

Die Crux ist nur: Bis dato ist keine der beiden genannten unabdingbaren Voraussetzungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus erfüllt. So halten sich beispielsweise die meisten Iraner bis heute kaum oder gar nicht an die ohnehin unverbindlichen, ohne Strafen bewehrten Ermahnungen der Regierung, sich selbst und seine Nächsten durch soziale Distanz vor Corona zu schützen. Laut Angaben der iranischen Sektion des Roten Halbmondes, des islamischen Pendants zum Roten Kreuz, hatten sich in den ersten drei Tagen nach Beginn des vierzehn Tage währenden Nowruz-Fests insgesamt 8,5 Millionen Iraner auf den Weg zu Verwandten und Freunden in anderen Städten und Provinzen gemacht, die, wie in Iran traditionell üblich, stets mit Umarmung und Wangenkuss begrüsst werden.

Dass die meisten Iraner bisher die Warnungen des vom Gesundheitsministerium geleiteten Corona-Krisenstabs der Regierung in den Wind schlugen, hat Gründe. Der Hauptgrund ist, dass das Regime spätestens ab 2018 in erschreckendem Mass an Vertrauen und Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat. In den Augen der meisten Iraner ist die gesamte Regime-Elite durch jahrzehntelange Misswirtschaft, Korruption und Vetternwirtschaft zutiefst diskreditiert. Vom Misstrauen ausgenommen sind dabei auch nicht diejenigen Flügel der Regime-Elite, die den Reformern und Moderaten, an deren Spitze der derzeitige Präsident Hassan Rohani steht, angehören. Rohani lasten viele Iraner an, dass er es nicht vermochte, sie vor den wirtschaftlichen Folgen der 2018 erneut verhängten und seitdem beständig vermehrten und verschärften amerikanischen Finanz- und Wirtschaftssanktionen zu schützen. Und es sind eben diese Sanktionen, die eine schon zuvor existierende, drückende Wirtschaftskrise, die viele Millionen Iraner in Elend und Armut stürzte, noch um ein Vielfaches verschlimmerten.

Lügen gesät und Misstrauen geerntet

Das wirtschaftliche Elend war auch die Hauptursache für den Ausbruch landesweiter, teilweise gewaltsam eskalierender sozialer Unruhen, die Anfang November 2019 ganz Iran erfassten. Mit brutaler Härte schlug das Regime die Unruhen nieder. Allein bei den Novemberunruhen wanderten Tausende Protestler ins Gefängnis; zwischen 500 und 1500 andere wurden getötet.

Doch die damals vom Regime durch Gewalt erzwungene Friedhofsruhe ist bis jetzt eher trügerisch. Da sich keine Verbesserung der Wirtschaftslage abzeichnet, ist der erneute Ausbruch gewaltsamer Unruhen nur eine Frage der Zeit. Dass ihre eigene Regierung ihnen nur Lügen, Propaganda und Durchhalteparolen statt Wahrheit und Fakten zu liefern bereit ist, bestätigte sich für viele Iraner erneut am 8. Januar 2020. An jenem Tag wurde über Teheran ein ukrainisches Passagierflugzeug mit 176 Personen an Bord, darunter die Mehrzahl Iraner, abgeschossen. Drei Tage lang bestritt das Regime vehement, die Maschine abgeschossen zu haben, und schob der feindlichen amerikanischen Luftwaffe die Schuld für das Verbrechen in die Schuhe. Erst danach räumte es den «irrtümlichen» Abschuss durch die Flugabwehr der iranischen Revolutionswächterarmee ein. Allerdings: Auf eine offizielle Entschuldigung der Regierung gegenüber den Familien der Opfer oder gar deren finanzielle Entschädigung wartet die iranische Öffentlichkeit bis heute vergeblich.

Wie stark der Vertrauensverlust des Regimes schon vorangeschritten ist, zeigte sich nicht zuletzt bei den am 21. Februar 2020 abgehaltenen Parlamentswahlen, bei denen 55 Millionen wahlberechtigte Iraner zum Urnengang aufgefordert waren. Zum Schluss lag die offizielle Wahlbeteiligung, die das Regime immer als Gradmesser ihrer eigenen Machtlegitimation betrachtet und im In- und Ausland propagandistisch ausschlachtet, bei 44,5 Prozent.

Ein herber Rückschlag für das Regime, vor allem im Vergleich zu den seit 1980 im Vierjahresturnus durchgeführten Wahlen, bei denen die Wahlbeteiligung stets zwischen 50 und 80 Prozent lag. Und selbst das Ergebnis von 44,5 Prozent war massiv gefälscht. Das erklären zumindest führende Vertreter des exiloppositionellen Iran Transition Council (ITC), eines Zusammenschlusses demokratischer Gruppierungen, die sich dabei auf ihnen in die Hände gespielte geheime Informationen von Sympathisanten im Wahlorganisationsbüro des iranischen Innenministeriums berufen. Laut diesen Informationen lag die Wahlbeteiligung lediglich bei 19,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die aus den Wahlergebnissen ableitbare Quintessenz ist: Von den 83 Millionen Iranern sind heute noch maximal 5 Millionen treue Regimeanhänger. Der Rest steht dem Regime entweder gleichgültig oder mehrheitlich in schweigender Ablehnung gegenüber, was erklärt, warum nur so wenige Iraner den Corona-Schutzmassnahmen vertrauen.

Vorgetäuschte Unkenntnis

Vertrauen will sich auch deswegen nicht einstellen, weil die Regierung viel zu spät und zudem noch wenig entschlossen auf die Corona-Krise reagiert hat. Insgesamt liest sich der bisherige Katalog der Corona-Bekämpfungsmassnahmen der Regierung als eine Chronik von Versäumnissen, Vertuschungen und Versagen. Beispielhaft dafür steht die sehr spät, nämlich erst am 19. Februar 2020 durch das Gesundheitsministerium erfolgte Meldung der ersten zwei Fälle von Corona-Toten.

Sonderbar nur, dass Irans Regierung vor diesen Corona-Toten keinen einzigen Infektionsfall öffentlich bekanntgemacht hatte, obwohl doch bekanntermassen bei einem Erkrankten zwischen Infektion und Tod ein Zeitraum von mehreren Tagen, wenn nicht Wochen liegt. Das wiederum erregte Verwunderung in der Weltgesundheitsorganisation, der WHO. Teherans vorgetäuschte Unkenntnis nährte den Verdacht, dass die Ausbreitung der Seuche bis zum 19. Februar schon landesweit vorangeschritten war, die Regierung aber alles tat, um es zu vertuschen. Erhärtet worden ist dieser Verdacht bis jetzt durch mehrere an die Öffentlichkeit gelangte vorherige Warnungen etlicher Staatsfunktionäre.

Einer von ihnen, Ahmad Amirabadi Farahani, ein Parlamentsabgeordneter aus Qom, machte die Regierung bereits am 13. Februar, also eine Woche vor der ersten offiziellen Corona-Meldung, auf einen Corona-Todesfall in seiner Stadt aufmerksam. Vergeblich. Die Regierung ignorierte die Warnungen und liess die Öffentlichkeit über die Gefahr im Dunkeln, wohl aus dem zynischem Machtkalkül heraus, das iranische Volk nicht durch Quarantäne-Erlasse zu verunsichern. Zu viel stand auf dem Spiel. Denn wichtiger als die Volksgesundheit war dem Regime, dass möglichst viele Iraner sich an zwei für das Selbst-Image des Regimes symbolisch hochbedeutsamen Veranstaltungen beteiligten: den jährlich am 11. Februar abgehaltenen Feierlichkeiten zum Sieg der islamischen Revolution und den für den 21. Februar angesetzten Parlamentswahlen.

Teherans China-Connection und der Aberglaube

Aber ist es ein Zufall, dass die Corona-Pandemie zuerst in der den Schiiten heiligen Stadt Qom auftrat und die 1,2 Millionen Einwohner zählende Stadt weiterhin die meisten Todesfälle in Iran aufweist? Keinesfalls. Qom beherbergt mit dem Hawza (persisch «Campus») genannten Wissenschaftszentrum das wichtigste theologische Lehr- und Wissenschaftszentrum der schiitischen Welt, in dem 40 000 schiitische Geistliche und Theologiestudenten lehren und leben. Ausserdem befindet sich dort der Hazrat-e-Masumeh-Schrein, der neben dem Imam-Reza-Schrein in Mashhad zu den wichtigsten schiitischen Wallfahrtsstätten Irans zählt. Die dort begrabenen Heiligen bilden Anziehungsorte inbrünstiger Verehrung für zahllose schiitische Pilger aus aller Welt. Sie drängen Tag und Nacht zu diesen Grabstätten, um zu beten und die Heiligen um Erfolg und körperliche Gesundung anzuflehen, wobei es zur tradierten Glaubenspraxis gehört, die silbernen Gitterstäbe, mit denen die Heiligensärge eingerahmt sind, zu berühren und zu küssen.

Wichtig zu wissen: Unter dem Dach der Hawza von Qom, die insgesamt etwa hundert theologische Seminare und religiöse Universitäten umfasst, operiert auch die Al-Mustafa International University (MIU) mit ihren 30 000 überwiegend ausländischen Studenten. Die MIU gilt als ein Hätschelkind des derzeitigen Revolutionsführers Khamenei und unterliegt strengster Geheimhaltung. Sie ist zugleich theologisches Missionarsausbildungswerk und Agenten-Kaderschmiede und verfolgt das Ziel, ausländische Studenten, unter ihnen auch sunnitische Muslime, auszubilden. Später sendet die MIU sie als Prediger und Missionare in ihre Heimatländer zurück, wo sie dem auf Revolutionsexport gerichteten Iran als Wegbereiter und Geheimagenten dienen.

Unter den MIU-Studenten sind auch 700 Chinesen, grösstenteils sunnitische und schiitische Uiguren aus Westchina. Mit grosser Wahrscheinlichkeit gelangte das Coronavirus durch die chinesischen MIU-Studenten, die sich während des Heimaturlaubs in China infizierten, nach Iran. Vermutlich haben die chinesischen MIU-Studenten auch einige der vier grössten Pilgerstätten Irans (Qom, Mashhad, Rey/Teheran und Shiraz) besucht, von wo aus sich das Virus ungebremst ausgebreitet haben könnte. Ideale Ausgangszentren, zumal diese Pilgerorte nach offiziellen Angaben in Iran allein 2019 zusammengenommen von fast 80 Millionen Pilgern besucht wurden.

Trotz eindringlicher Warnung von Medizinern und Fachleuten blieben die wichtigen Pilgerstätten viel zu lange offen, weil sich die Kuratoren der Pilgerschreine, allesamt Günstlinge und Vertraute des Revolutionsführers Khamenei, erfolgreich gegen die Schliessung stemmen konnten. Ihre Begründung: Die Pilgerstätten seien «Orte der Heilung» (persisch dar ol-shafaa). Ihr Hauptargument war die Behauptung, an diesen durch Gottes Willen und Segen geheiligten Stätten könne sich niemand anstecken, da sie ja per se Stätten der Heilung und nicht Stätten körperlicher Verderbnis seien. Wer das Gegenteil behaupte, sei ein Ungläubiger und ein Feind Gottes.

Der Geist ist aus der Flasche

Besser lässt sich Aberglaube, der auf realitätsverachtender Frömmigkeit fusst, kaum auf den Punkt bringen. Als sich das Gesundheitsministerium, gestützt durch Präsident Rohani, schliesslich durchsetzen und die Schreine am 16. März schliessen konnte, war es vermutlich schon zu spät: Der pestverseuchte Geist war aus der Flasche und das Virus im Umlauf.

Doch hat die Teheraner China-Connection neben dem an die MIU geknüpften religiösen, missionspolitischen Strang noch einen wirtschaftspolitischen Strang. Um sein politisches Überleben zu sichern, ist das Teheraner Regime auf Gedeih und Verderb auf die enge politische und vor allem wirtschaftliche Kooperation mit China angewiesen. Bedrängt durch die Sanktionen der USA, die Irans Wirtschaft fast stranguliert haben, kann Iran auf China als einen der letzten Käufer des iranischen Öls, Irans Hauptdevisenbringer, nicht verzichten. Zudem ist China enorm stark im Aufbau der iranischen Industrie-Infrastruktur engagiert und betreibt viele Dutzend milliardenschwere Projekte. Dazu zählt auch ein gigantisches Solarpark-Projekt unweit von Qom, in dem viele chinesische Techniker und Ingenieure arbeiten. Auch sie kommen als potenzielle Ausgangsherde für die Coronavirus-Ausbreitung in Iran infrage.

Selbstredend dementierte das Regime bisher strikt jeden Zusammenhang zwischen den chinesischen Religionsstudenten und dem Corona-Ausbruch. Kritiker aus dem Regierungsapparat, die es wagten, den Finger in diese Wunde zu legen, etwa Mohammad Hossein Bahreini, der Direktor der Mashhad University of Medical Sciences, wurden mundtot gemacht. Unter Berufung auf nationale Sicherheit gehen Irans Nachrichtendienste und Justizorgane mit aller Härte gegen Journalisten und Kulturschaffende vor, die in Interviews in Social-Media-Kanälen darauf hinweisen, dass die Ausbreitung des Coronavirus hausgemachte Ursachen hat und nicht das Werk teuflischer Verschwörung der USA ist.

Getrieben von der Angst, durch eine zweite Infektionswelle gänzlich die Kontrolle zu verlieren, hat mittlerweile auch Rohanis Regierung gewisse Beschränkungen des Reiseverkehrs zwischen den Grossstädten erlassen. Allerdings ohne sie konsequent durchzusetzen. Von der Verhängung einer landesweiten Ausgangssperre oder einer strengen Quarantäne für besonders gefährliche Infektionsherde, wie etwa die Provinz Qom, ist sie immer noch weit entfernt. Zu gross ist die Furcht, dadurch alle wirtschaftlichen und kommerziellen Aktivitäten abzuwürgen und damit der ohnehin schon extrem geschwächten Wirtschaft den Todesstoss zu versetzen. Kein Wunder: Schliesslich hätte die finanziell fast bankrotte Regierung auch gar keine Mittel, um viele Millionen Iraner aus der Unter- und der Mittelschicht zu entschädigen, wenn sie ihre Einnahmen und Einkommen durch eine Ausgangssperre verlören.

Heillos überfordert

Derweil hat die Regierung, deren Gesundheitssystem heillos überfordert ist, offenkundig die Kontrolle über die Ausbreitung des Coronavirus verloren. Es lässt sich erahnen, dass Irans Machthaber sich bereits auf das Schlimmste, nämlich ein unaufhaltsames Massensterben, vorbereiten. Dafür sprechen Informationen, die Mehran Barati, der Deutschland-Sprecher des oppositionellen ITC, von Insidern aus dem Corona-Krisenstab der Regierung erhalten hat und die von einem Geheimbefehl Khameneis an Sondereinheiten der Revolutionswächtergarde handeln. Im Auftrag Khameneis setzen sie schon seit Anfang März Tausende von Soldaten ein, um die Friedhöfe von dreissig grossen Städten Irans, darunter Qom, Teheran, Isfahan, Mashhad, Shiraz und Tabriz, durch das Ausheben von Massengräbern grosszügig zu erweitern, um ausreichend Platz für die vom Regime erwartete Masse an Corona-Toten zu schaffen.

Man darf gespannt sein, ob Teherans Regierung es schafft, das Land und sein politisches System durch die Corona-Krise zu manövrieren, ohne Schaden zu nehmen. Zweifel daran sind angebracht.

Wilfried Buchta ist Islamwissenschafter und Publizist. Er hat für nationale und internationale Organisationen in Marokko, Iran, Jordanien und im Irak gearbeitet, von 2005 bis 2011 als politischer Analytiker für die Uno in Bagdad. Zuletzt ist von ihm bei Campus erschienen: «Terror vor Europas Toren. Der Islamische Staat, Iraks Zerfall und Amerikas Ohnmacht».