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Coronakrise Das Virus erfasst die Nato

Mindestens fünf infizierte Bundeswehrsoldaten in Litauen, beschleunigter Abzug aus Afghanistan, zwei deutsche Korvetten unter Quarantäne: Die Coronakrise stellt die Nato vor ungeahnte Herausforderungen.

Nach außen hin gibt sich die Nato wie üblich verteidigungsbereit und handlungsfähig. "Operative Einschränkungen sind bisher nicht eingetreten", heißt es zusammenfassend in einem internen Bundeswehr-Lagebild. Ähnliche Worte sind derzeit von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und den Diplomaten der Allianz zu hören. Lediglich der Betrieb im Hauptquartier in Brüssel sei leicht eingeschränkt worden, heißt es. Passend dazu posten hochrangige Nato-Militärs Bilder, wie sie aus dem Wohnzimmer ihre Befehlsstände steuern.

Das soll signalisieren: Sicher, der Westen steht mit der Coronakrise vor einer unbekannten Herausforderung. Aber das Bündnis steht. Die Warnung, so ist im Brüsseler Hauptquartier zu hören, ist durchaus auch als Fingerzeig in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sehen: Jetzt ist nicht die Zeit für Desinformationskampagnen und sonstige Spielchen.

In Wirklichkeit aber ist die Allianz von den Folgen des Coronavirus flächendeckend betroffen. So gelten für alle Auslandsmissionen der Allianz strikte Einreisebeschränkungen. Das betrifft die Operation "Resolute Support" in Afghanistan - dort trainiert die Nato die lokale Armee. Aber auch für die Abschreckungsmission im Baltikum müssen deutsche Soldaten vor ihrer Reise in den Einsatz zu Hause zwei Wochen in Quarantäne, nur mit Gesundheitszeugnis und negativem Corona-Test kommen sie ins Operationsgebiet.

Mission in Litauen "nur eingeschränkt sichergestellt"

Aus dem Baltikum wurden schon die ersten Infektionsfälle gemeldet, mindestens fünf Soldaten aus Deutschland, die auf dem Übungsplatz Pabrade eingesetzt waren, sind positiv getestet und am Wochenende ausgeflogen worden. Bei der Nato heißt es, insgesamt seien 20 Soldaten der in Litauen stationierten Battle Group betroffen. Da die anderen Kameraden nun ebenfalls in Quarantäne mussten, ist die Mission derzeit "nur eingeschränkt sichergestellt", so ein interner Vermerk.

Noch drastischer hat sich die Coronakrise in Afghanistan ausgewirkt. Da der US-Kommandeur eine Überlastung der Nato-Feldkliniken vermeiden will, hat er den eigentlich erst für den Sommer geplanten Abzug mehrerer tausend Nato-Soldaten beschleunigt. Sein Befehl ist eindeutig: Alle Soldaten, die nicht unbedingt gebraucht werden, sollen umgehend ausfliegen. Dass das dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump im Wahlkampf gelegen kommt, schadet natürlich nicht - Trump sieht Auslandseinsätze ohnehin kritisch.

Coronavirus, Covid-19, Sars-CoV-2? Was die Bezeichnungen bedeuten.

Coronavirus: Coronaviren sind eine Virusfamilie, zu der auch das derzeit weltweit grassierende Virus Sars-CoV-2 gehört. Da es anfangs keinen Namen trug, sprach man in den ersten Wochen vom "neuartigen Coronavirus".

Sars-CoV-2: Die WHO gab dem neuartigen Coronavirus den Namen "Sars-CoV-2" ("Severe Acute Respiratory Syndrome"-Coronavirus-2). Mit der Bezeichnung ist das Virus gemeint, das Symptome verursachen kann, aber nicht muss.

Covid-19: Die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Atemwegskrankheit wurde "Covid-19" (Coronavirus-Disease-2019) genannt. Covid-19-Patienten sind dementsprechend Menschen, die das Virus Sars-CoV-2 in sich tragen und Symptome zeigen.

Kein Wunder also, dass die Folgen des Coronavirus nun auch bei der Allianz ganz oben auf der Tagesordnung sind, wenn sich die Außenminister der Bündnismitglieder am Donnerstagnachmittag bei einer Videoschalte (Nato-Sprech: "secure teleconference") austauschen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Allianz, dass das Treffen nicht persönlich stattfindet.

Wichtigster Tagesordnungspunkt ist der Vortrag des obersten Militärs des Bündnisses. Tod D. Walters, der "Saceur", also der oberste Verantwortliche für die Operationen der Nato, wird die Außenminister darüber unterrichten, wie sich die Coronakrise auf die Einsätze auswirkt.

Das Bild ist gemischt. Zwar ist, wie es im Hauptquartier heißt, die Einsatzfähigkeit der Allianz "in keiner Weise" beeinträchtigt. Aber dennoch sind viele Missionen betroffen:

  • In Afghanistan können die Ausbilder nur noch per Videokonferenz mit den afghanischen Kommandeuren sprechen.

  • In der Ägäis, wo mehrere Schiffe der Nato den Schlepperverkehr unterbinden sollen, dürfen die Kapitäne die Türkei gar nicht mehr ansteuern.

  • Im Kosovo können sich die Nato-Soldaten kaum noch bewegen, folglich kann die Mission "nur noch essenzielle Aufgaben" wahrnehmen, so ein Lagebericht.

  • Und ob die Ausbildungsmission im Irak, die wegen der Coronakrise eilig gestoppt wurde, wieder aufgenommen werden kann, soll sich erst Mitte Mai entscheiden.

Unter den Militärs gibt es abseits der Durchhalteparolen mittlerweile kaum Zweifel, dass die Krise auf mittlere Sicht auch die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen wird. Ein gutes Beispiel ist die deutsche Korvette "Braunschweig". Da ein Soldat positiv getestet wurde, muss nun die gesamte Mannschaft in Quarantäne. Das Schiff fällt damit für die Kräfte der "Nato Readiness Initiative" (NRI) erst mal aus. Auch die Korvette "Erfurt" hat einen ähnlichen Fall und muss vorerst in Wilhelmshaven bleiben.

Alle Artikel zum Coronavirus

Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

Auf Deutschland kommen am Donnerstag wohl auch weitere Anfragen nach Amtshilfe zu. So hat sich Nato-Generalsekretär Stoltenberg nach einem Hilferuf aus Spanien bereits bei Außenminister Heiko Maas gemeldet. Vorerst informell fragte er in Berlin nach, ob die Bundeswehr dem EU-Partner in der aktuellen Notlage über die bisher angeforderte Schutzkleidung hinaus mit Transportflugzeugen oder Helikoptern aushelfen könne.

Mit solchen Hilfsaktionen kann die Nato in diesen Tagen ihren Mehrwert demonstrieren. Die Allianz hat zwar keine Krankenhausbetten und verteilt keine Schutzkleidung. Doch ihre C-17-Transportflugzeuge in Ungarn oder die großen Transportmaschinen im Rahmen des SALIS-Programms ("Strategic Airlift International Solution") bei Leipzig stehen für Hilfseinsätze bereit. Logistik- und Lufttransport, das sind die Stärken des Bündnisses in dieser Krise. Anfragen können über eine Art Krisenzentrum abgewickelt werden, mit dem schönen Namen "Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre". Anfragen aus den USA gibt es derzeit nicht.

Im noch recht neuen Nato-Hauptquartier in der Nähe des Brüsseler Flughafens geht es derweil ruhiger zu als sonst. In dem Gebäude arbeiten derzeit statt der üblichen 4500 nur rund 1200 Mitarbeiter. Einige Strategen haben bereits die Zeit nach der Coronakrise im Blick - und die Frage, wie sich die Sicherheitslage in einigen Ländern in unmittelbarer Nachbarschaft der Nato ändern könnte.

Auch der Prozess, mit dem die Nato nach der vernichtenden Kritik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron über ihre Zukunft nachdenken will, geht weiter. An der Spitze der entsprechenden Arbeitsgruppe steht unter anderem ein für die Deutschen alter Bekannter: Ex-Bundesverteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière.