Schon nach zwei Wochen können die eigenen vier Wände ziemlich eng werden. Der derzeitige Kurs der Bundesregierung setzt darauf, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, um die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus zu begrenzen. Wann und in welcher Form die Maßnahmen wieder gelockert werden, ist derzeit noch ungewiss. Bis nach den Osterferien werden die Kontaktverbote laut Bundesregierung in jedem Fall bestehen bleiben.

Doch schon jetzt sind die Folgen drastisch. Hunderttausende Kleinunternehmerinnen haben Staatshilfen beantragt – Friseurinnen und Friseuren, Eventmanagern, Musikerinnen und Restaurantbesitzern fehlen die Einnahmen. Und noch nie mussten so viele Firmen Kurzarbeit beantragen wie in den vergangen Wochen.

Zudem schaden die Eindämmungsmaßnahmen auch direkt der Gesundheit und Lebensqualität vieler Menschen: Wer sich etwa um die Miete im kommenden Monat oder seinen Arbeitsplatz sorgen muss, hat ein erhöhtes Risiko für psychische Leiden. Epidemiologische Studien lieferten bereits in der Vergangenheit Hinweise dafür, dass die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 in einigen Bevölkerungsgruppen das Risiko für psychische Probleme und sogar Suizide erhöhte (BMJ: Parmar et al., 2016). Und auch eine Quarantäne kann sich negativ auf die geistige Gesundheit auswirken (The Lancet: Brooks et al., 2020). Eine aktuelle Onlinebefragung der Universität Erfurt zeigt, dass gerade junge Erwachsene in Deutschland schon jetzt akute Belastungssymptome zeigen und dass mehr als zwei Drittel der Deutschen angesichts der Coronavirus-Pandemie sehr besorgt sind.

Besonders schlimm trifft es Menschen, die ohnehin in schwierigen Verhältnissen leben: Geringverdienende oder Partner in gewalttätigen Beziehungen und Kinder. Für manche Kinder könnte die häusliche Isolation sogar lebensgefährlich sein, warnten zuletzt 100 Forschende in einem offenen Brief. Die Jugendhilfe habe derzeit nicht genug Möglichkeiten, Heranwachsende vor Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch zu schützen.

Irgendwann kommt ein Kipppunkt

Je länger die Maßnahmen andauern, desto drängender wird daher die Frage: Ist es angesichts der Probleme, die die derzeitige Lage mit sich bringt, vertretbar, das Virus auch über die kommenden Monate hinaus mit dauerhaften Einschränkungen zu bekämpfen?

Man müsse den Lebensschutz und Freiheitsrechte gegeneinander abwägen, erklärte der Deutsche Ethikrat in der vergangenen Woche in einer Stellungnahme (Deutscher Ethikrat: Ad-hoc-Empfehlung, PDF). "Auch der gebotene Schutz menschlichen Lebens gilt nicht absolut", schreiben die Sachverständigen, die regelmäßig die deutsche Bundesregierung beraten. Und weiter: Diesem Schutz dürften nicht alle Rechte auf Freiheit und Partizipation bedingungslos untergeordnet werden – oder dem Recht darauf, Wirtschaft zu betreiben und soziale Kontakte zu pflegen. "Ein allgemeines Lebensrisiko ist von jedem zu akzeptieren."

Damit ist gemeint: Überall und jeden Tag geraten Bürgerinnen und Bürger in potenziell lebensgefährliche Situationen, die ähnlich sind wie die Ansteckungsgefahr mit dem neuen Virus. Und doch versucht der deutsche Staat nicht, sie um jeden Preis davor zu schützen. Das beste Beispiel dafür sei der Straßenverkehr, wo durch Unfälle jährlich mehr als 3.000 Menschen sterben, erklärte der Philosoph Frank Dietrich vom Institut für Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gegenüber dem deutschen Science Media Center. "Wir sind hier aber nicht zu drastischen Einschnitten bereit, weil uns der Verlust an Freizügigkeit und der zu erwartende ökonomische Schaden als zu hoher Preis erscheinen." Denn auch die eigene Bewegungsfreiheit, der Wunsch nach Nähe kann manchen Menschen wichtiger sein als der unbedingte Schutz vor Covid-19.