Bürger, lasst das Fragen sein: Kameruns Windmühlenkampf gegen das Virus

Was wird, wenn die Infektionswelle auch Länder erfasst, die ihr so gut wie nichts entgegenzusetzen haben? Der kamerunische Autor und Blogger Florian Ngimbis hat einen Vorgeschmack davon erhalten und liefert ein bissiges Résumé.

Florian Ngimbis
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Zu Hause bleiben – das können sich die vielen Menschen, die in Kamerun ihr Geld im informellen Sektor verdienen, schlicht nicht leisten.

Zu Hause bleiben – das können sich die vielen Menschen, die in Kamerun ihr Geld im informellen Sektor verdienen, schlicht nicht leisten.

Etienne Mainimo / EPA

Hier bekommen Sie nicht die x-te aus der Langeweile des Corona-bedingten Hausarrests entstandene Chronik zu lesen. Nein, dies ist die Geschichte einer «drôle de guerre» – derjenigen, die Kamerun derzeit gegen das Virus führt.

Angefangen hat es wie eine Farce. Ein «neues», aber seiner Herkunft nach keineswegs unbekanntes Virus hatte den Chinesen einen bösen Streich gespielt. Die Kameruner, in dem Glauben, sie sässen auf den Logenplätzen, lachten über das vermeintliche Theater in China, verzogen das Gesicht, als die Tragödie in Europa begann, wandten den Blick ab, als klarwurde, dass man anderswo auf der Welt gerade einen Horrorfilm durchlebte.

Aber was machte uns glauben, dass wir verschont bleiben würden? Nebst einer Lawine von Fake-News waren es wahrscheinlich die paar Wochen Verzögerung, die uns beschieden waren. Diese befristete «afrikanische Anomalie» liess die Illusion entstehen, dass man im subsaharischen Afrika immun gegen Covid-19 sei.

Wären da nicht die zahllosen Todesopfer, man hätte beinahe lachen können. Die ganze Welt von einem Virus heimgesucht, Afrika für einmal glücklich verschont. Das wäre schwarzer Humor gewesen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Copy-Paste-Politik

Inzwischen hat die tödliche Welle Yaoundé erreicht, und es ist klargeworden, dass der Kontinent keineswegs einen Nichtangriffspakt mit dem Virus geschlossen hat. Binnen weniger Wochen hat es sich hier eingenistet, unseren Alltag über den Haufen geworfen, die Fehler und Schwächen des dysfunktionalen Gesundheitssystems ans Licht gebracht und eine ganze Gesellschaft in die Knie gezwungen, indem es ihr wichtigstes Funktionsprinzip ins Herz traf: die gegenseitige Nähe.

Nach zehn offiziell beglaubigten Ansteckungen erliess unsere Regierung dreizehn Verhaltensregeln, um der Ausbreitung der Epidemie entgegenzuwirken. Haben wir dabei die nötigen Lehren aus den Erfolgen und Fehlern zuvor betroffener Länder gezogen? Nicht wirklich. Faktisch sind die hiesigen Massnahmen ein blasses Copy-Paste dessen, was anderswo getan wurde. Die schleppende Kommunikation ist auch nicht hilfreich. Während die Menschen in China und Italien erkrankten und starben, hat man es in Kamerun versäumt, den Bürgern in Erinnerung zu rufen, was ein Virus ist; als man ihnen ans Herz legte, zu Hause zu bleiben, hätte auch erklärt werden müssen, was es mit der Inkubationszeit auf sich hat.

Home-Office? Lassen wir das beiseite, ein Stromausfall könnte jederzeit meine diesbezüglichen Erklärungen vom Bildschirm wischen.

Als Bürger Yaoundés bin ich nicht offiziell angehalten, in meinen vier Wänden zu bleiben. Keine Verfügung verbietet mir auszugehen, niemand hindert mich daran, mich auf der Terrasse einer Bar niederzulassen, eine Marlboro anzustecken und ein Glas Kadji-Bier zu geniessen. Ich könnte auf den Markt gehen, mich in ein Sammeltaxi setzen, mich in ein Gotteshaus meiner Wahl begeben, um zu einem Gott zu beten, an den ich nicht glaube.

Nichts hindert mich an alledem, ausser meinem eigenen Verantwortungsgefühl – die Instanz, auf die sich unsere Regierung in dieser Situation erklärtermassen verlässt. Immerhin wurden die Schulen geschlossen, die Bars sind nur noch bis 18 Uhr offen, die Passagierzahl für Transportmittel wurde eingeschränkt, an Gottesdiensten dürfen nicht mehr als 50 Personen teilnehmen. Massnahmen, über die sich in manchen Fällen streiten lässt, fluktuierend, oft nicht im Einklang mit der Vernunft.

Andere Länder, andere Bedrohungsszenarien: In Kamerun wird auch vor einer möglichen Übertragung durch Haus- und Wildtiere gewarnt.

Andere Länder, andere Bedrohungsszenarien: In Kamerun wird auch vor einer möglichen Übertragung durch Haus- und Wildtiere gewarnt.

Jean Pierre Kepseu / Imago

Unterdessen vermehrt sich die Zahl der Ansteckungen rapide, wird aber künstlich niedrig gehalten, indem man nur ein Minimum an Tests durchführt. Manche leben strikt in selbstverordneter Klausur. Viele andere aber können gar nicht anders, als zur Arbeit zu gehen, etwa die im informellen Sektor Beschäftigten, die keinerlei soziale Sicherheit haben, oder die unterbezahlten Angestellten der KMU, für die einstweilen kein Arbeitsverbot ausgesprochen wurde. Home-Office? Lassen wir das beiseite, ein Stromausfall könnte jederzeit meine diesbezüglichen Erklärungen vom Bildschirm wischen.

Sündenböcke und Helden

Wie bei jedem Konflikt, der irgendwann Geschichte machen wird, nehmen die Charaktere im Drama allmählich Kontur an. Die Rolle des Sündenbocks ist bereits zugeteilt. Sie geht an die kamerunische Diaspora, auf die man nun ganz offiziell mit Fingern zeigen und über die man sagen darf: Die sind aus dem heimgesuchten Europa abgehauen und haben das Virus in die Heimat eingeschleppt. Wobei man aber diskret verschweigen muss, dass die meisten dieser Rückkehrer Geschäftsleute, Staatsangestellte oder Personen aus dem Umfeld des Präsidentenpalasts waren.

Noch viel unschicklicher wäre die Bemerkung, dass in unserem Land die Inkompetenz einer schlecht vorbereiteten Regierung auf die Verantwortungslosigkeit von Leuten gestossen ist, die sich ums staatliche Gesundheitssystem foutieren. Man weiss von Herrschaften aus obersten Kreisen, welche die ihnen auferlegte Quarantäne grosszügig ignoriert haben, während andere es fertigbrachten, sich Prostituierte aufs Zimmer bringen zu lassen, um sich die Zeit der Isolation ein wenig zu verkürzen.

Der Kampf gegen Covid-19 ähnelt einem Massaker, bei dem das kaum geschützte medizinische Personal als Kanonenfutter verheizt wird.

Der Kampf gegen das Coronavirus bringt aber auch Heldinnen und Helden hervor. Wie überall ist es das Gesundheitspersonal, das an vorderster Front gegen die Krankheit kämpft. Es gab Einzelne, die zum Streik aufriefen, um auf die mehr als prekären Umstände hinzuweisen, unter denen Ärzte und Pflegende arbeiten müssen. Passiert ist nichts – ausser dass die Verantwortlichen strafversetzt wurden. Schweigen und Dienen lautet die Devise, wobei der Kampf gegen Covid-19 eher einem Massaker ähnelt, bei dem das kaum geschützte medizinische Personal als Kanonenfutter verheizt wird.

Ob Kameruns Spitäler einer grossen Ansteckungswelle gewachsen wären – das ist eine Frage, die man sich besser gar nicht stellt.

Ob Kameruns Spitäler einer grossen Ansteckungswelle gewachsen wären – das ist eine Frage, die man sich besser gar nicht stellt.

Jean Pierre Kepseu / Imago

Ein weiterer Held ist der relativ junge Gesundheitsminister, der sich gegen eine Phalanx von Gerontokraten stemmt. Zupackend und proaktiv, ist er der Baum, hinter dem sich der Wald eines kurzatmigen, hyperzentralisierten und weitgehend mittellosen staatlichen Gesundheitswesens verbirgt. Ihm obliegt es, der Bevölkerung jeweils in homöopathischen Dosen die bittere Pille der jüngsten Testresultate zu verabreichen, wobei aber peinlich vermieden wird, ihm drängende Fragen – etwa nach der Zahl der verfügbaren Spitalbetten, Beatmungsmaschinen, Masken – zu stellen. Denn manche Zahlen sind ganz einfach unaussprechlich.

Trotzdem: Wer in einem Moment die Kommunikation übernimmt, da alle anderen schweigen – zuvörderst der Präsident, der seit dem Beginn der Krise von der Bildfläche verschwunden ist –, der hat seinen Platz im Pantheon auf sicher.

Jeder für sich

Die Regierung hat derweil klargemacht: Ein Ausgangsverbot kommt für Kamerun nicht infrage. Menschlichkeit? Empathie? Ach Quatsch! Hier geht es um politisches Kalkül. Denn eine solche Krise birgt gesellschaftlichen und politischen Sprengstoff. In einem Land, dessen ins Mäntelchen der Demokratie gehüllter Monarch seit 38 Jahren auf dem Thron sitzt, dessen Bevölkerung zu mehr als zwei Dritteln im informellen Sektor für ein Spottgeld arbeitet, kann man sich gewisse Freiheiten nicht nehmen. Zu Hause zu bleiben, ist in einer solchen Volkswirtschaft ein Luxus, den sich nur Reiche leisten können.

«Sollen die Leute sich halt durchwursteln» – dieses Mantra ist keineswegs harmlos. Es fokussiert das Denken aufs Eigeninteresse, propagiert das «Jeder für sich», um die Frage nach dem Warum möglichst auszublenden. Denn die ist ein Synonym für Probleme.

Wie ein Sturmwind hat die Corona-Epidemie die Robe der Republik hochgeweht. Die Unterwäsche, die dabei zum Vorschein kam, ist widerlich.

In diesen Tagen, da das Leben in der Hauptstadt auf Sparflamme gesetzt ist, haben wir alle Zeit, die Last der Unterentwicklung zu spüren. Man beginnt die Tage ohne Wasser zu zählen, die Tage ohne Strom, ohne Internet, ohne Kehrichtabfuhr. Nicht sonderlich gut für die Moral. Aber die Regierung ist wachsam. Weist jemand darauf hin, dass Händewaschen schwierig ist, wo es an der Wasserversorgung fehlt, dann heisst es: Bitte keine Politik in Krisenzeiten!

Optimisten reden von kollektiver Immunisierung, andere von einer ganz unangestrengten Anwendung der natürlichen Selektion.

Stattdessen hat die Regierung vor den geöffneten Läden Wasserkanister mit Hahnen aufgestellt und zelebriert sich für diese armselige Feigenblatt-Politik. Und alle klatschen Beifall, um bloss nicht der naheliegenden Frage ins Gesicht sehen zu müssen: Ist es nicht Grund zur Sorge, wenn wir anno 2020 über Kanister in Jubel ausbrechen, derweil unser Leitungssystem aus dem 19. Jahrhundert datiert?

Es ist nicht einfach, optimistisch zu bleiben, die beängstigende Frage auszublenden, was geschehen wird, wenn sich das Virus im Hinterland ausbreitet – dort, wo die Menschen älter, auf sich gestellt und noch ärmer und schutzloser sind als in der Stadt.

Klar ist, dass wir vor einer Mauer stehen. Es ist unmöglich, binnen einiger Wochen die medizinische Infrastruktur im nötigen Mass auszubauen. Die Regierung scheint ihren Entscheid getroffen zu haben: Man beschränkt sich auf eine kosmetische «Antwort» auf die Krise und hofft dabei auf milde Gaben von Partnern, Philanthropen und der internationalen Gemeinschaft; man schaut zu, wie das Gesundheitssystem heissläuft, man improvisiert, zählt die Toten und wartet, bis es vorbei ist. Denn wenigstens das ist sicher: Irgendwann ist es vorbei.

Optimisten reden von kollektiver Immunisierung, andere von einer ganz unangestrengten Anwendung der natürlichen Selektion.

Ingwer, Knoblauch, Chinarinde

Unterdessen geht in Yaoundé das Leben irgendwie weiter. Die vom Schicksal Bevorzugten bleiben daheim. Die Angestellten gehen ins Büro oder sonst zur Arbeit, auf die Baumwollfelder des modernen Kapitalismus. Sie tragen Masken, stinken nach Desinfektionsmittel, beäugen verstört die Todesmutigen, die sich trotz allem in den noch offenen Bars niederlassen, um einen zu kippen – während sie selbst längst auf Tränklein aus Ingwer, Knoblauch, Zitrone oder Chinarinde umgestiegen sind.

Mit derlei will man sich jetzt vor einem Virus schützen, das noch vor wenigen Wochen als «simple Grippe, die nur Weisse tötet», galt. Jene Weissen, die «das Virus erfunden haben», die «Afrika nicht mögen», die «uns mit Kacke impfen wollen»; die «bloss auf das Massensterben in Afrika warten», um damit die Zahl ihrer eigenen Toten relativieren zu können.

In diesen Tagen, wo jeder Regenschauer den Himmel über Yaoundé blank fegt und in noch grösserem Glanz erstrahlen lässt, ist es schwer zu glauben, dass solch ein Kaiserwetter ein graues Morgen ankündigen könnte. Jugendliche spielen Fussball auf der weitgehend verlassenen Strasse, an der ich wohne. Hinter den schützenden Mauern höre ich sie schreien und einander zurufen. Ich kneife in die Speckröllchen, die ich in jüngster Zeit angesetzt habe, möchte jammern über das unerwünschte Übergewicht. Aber dann muss ich daran denken, dass sich im selben Moment irgendwo draussen einer fragt, ob er heute überhaupt essen wird.

Florian Ngimbis, 1983 in Yaoundé geboren, ist Schriftsteller, Community-Manager und Blogger. Sein Blog «Kamer Kongossa» wurde 2012 von der Deutschen Welle als bester frankofoner Blog ausgezeichnet. – Aus dem Französischen von as.