Lagebild in NRW Der Salafismus wird jünger und weiblicher

Düsseldorf · Das zweite Lagebild des NRW-Innenministeriums zeigt den Wandel der Salafismus-Szene auf. Mit Blick auf die Anschlagsgefahr hierzulande stellt der Bericht eine „dauerhaft angespannte Sicherheitslage“ fest.

 Frauen als „Ideologie-Produzentinnen“ gewinnen laut Lagebild immer mehr an Bedeutung.

Frauen als „Ideologie-Produzentinnen“ gewinnen laut Lagebild immer mehr an Bedeutung.

Foto: dpa/Boris Roessler

Der Salafismus in Nordrhein-Westfalen wandelt sich: Er wird jünger, er wird weiblicher, und er wandert zunehmend von der Straße in den Untergrund. Dies sind die Erkenntnisse des zweiten Lagebildes Salafismus, welches das Innenministerium kommende Woche im Fachausschuss des Landtages präsentiert.

Mit Blick auf die Anschlagsgefahr hierzulande stellt der Bericht eine „dauerhaft angespannte Sicherheitslage“ fest – selbst wenn der Islamische Staat (IS) in den Krisengebieten weit zurück und in die „Rolle einer Untergrundbewegung“ gedrängt worden sei: „Die größte Gefahr für westliche Staaten geht in diesem Zusammenhang von Einzeltätern und Kleinstgruppen aus, die sich von der dschihadistischen Propaganda beeinflussen lassen und zur Tat schreiten.“ Im Fokus stünden „weiche“ Ziele, die sich mit Fahrzeugen, Schuss- oder Stichwaffen attackieren ließen. Die Anwerbung solcher Einzelpersonen oder „Hit-Teams“ für Anschläge, so die Prognose, dürfte den IS bei einer etwaigen Zerschlagung überdauern.

Für NRW spricht der Bericht von einer „Fragmentierung der Szenestrukturen“ durch Vereinsverbote und die Inhaftierung maßgeblicher Akteure. Statt mit offensiver Missionierung auf der Straße agiere man jetzt unauffälliger, oftmals im Gewand von Hilfsorganisationen. Speziell im Blickpunkt der Verfassungsschutzbehörden: Ansaar International mit Sitz in Düsseldorf sowie dessen Teilorganisation WWR-Help e.V. aus Neuss. Im Frühjahr 2019 führte das Bundesinnenministerium Ermittlungsmaßnahmen und Durchsuchungen gegen Ansaar – die Organisation klagte gegen ihre Erwähnung im NRW-Verfassungsschutzbericht, verlor aber im Herbst. Hauptziel der Vereine sei die Akquisition von Geldern, hohe Millionenbeträge würden hierzulande dabei bewegt.

Rolle der Frauen im Salafismus steigt

Durch den Wandel der Szene und das Verschwinden von Schlüsselfiguren – obwohl mit 46 „Hasspredigern“ im vergangenen Jahr deutlich mehr gezählt wurden als 2018 (32) – wachse die Rolle von Frauen im Salafismus stark, heißt es weiter. Als „Ideologie-Produzentinnen“, die speziell in den sozialen Netzwerken sehr aktiv seien, werden sie bezeichnet. Gefährlich: Die Radikalisierung – meist gesteuert über das Internet in Kombination mit Ansprechpersonen in der realen Welt – vollzieht sich laut Ministeriumsexperten heute viel rasanter: „Vom ersten Kontakt mit dem extremistischen Salafismus bis zum totalen Bruch mit der Gesellschaft vergingen in der Vergangenheit oftmals ein oder mehrere Jahre. Heute sind es teilweise nur noch einige Monate und in manchen Fällen sogar nur Wochen vom Beginn bis zum Abschluss eines Radikalisierungsprozesses.“

Kinder und Jugendliche werden radikalisiert

Immer häufiger treten schon Kinder und Jugendliche mit Anzeichen für eine Radikalisierung in Erscheinung. Eine Rolle dabei spielen auch etwa 100 salafistische Familienverbände in NRW, in denen Kinder bereits „in die Ideologie hineingewachsen“ sind. Als großes Risiko sieht das Ministerium zudem weiter die drohende Rückkehr von Dschihadisten aus den Kriegsgebieten. 263 Menschen aus NRW seien dorthin ausgereist – davon 78 Frauen, ein hoher Anteil. Von ihnen seien 86 im vergangenen Jahr zurückgekommen, 110 seien noch im Ausland, bei 67 gehen die Behörden davon aus, dass sie inzwischen tot sind. „Es besteht die Gefahr, dass Zurückkehrende aufgrund der zum Teil bestehenden Familienverbünde mit kleineren Kindern die Keimzelle für eine künftige, hier aufwachsende sogenannte ,Generation Dschihad’ sein könnten“, warnen die Autoren des Lagebildes.

Das Innenministerium kläre auf, biete Präventions- und Aussteigerprogramme schon für junge Salafisten. Diese seien aber auch eine Aufgabe für Kitas, Schulen und Jugendämter. Und: Es fehlen noch jugendgerechte Präventionsangebote im Internet, wo die Anwerbung für die Szene heute maßgeblich stattfinde.

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