Gastkommentar

Die Welt hat das Recht zu wissen, was genau in Wuhan mit Sars-CoV-2 passiert ist – doch China blockt. Warum nur?

Es ist Zeit, dass die Welt die Wahrheit über die Entstehung von Sars-CoV-2 in Wuhan erfährt. Ob Tiermarkt oder Forschungslabor, Peking weist Forderungen nach einer internationalen Untersuchung zurück. Wo es um «Kerninteressen» der KP geht, gibt es keinen Spielraum.

Junhua Zhang 28 Kommentare
Drucken
Lief etwas schief am Wuhan-Institut für Virologie? Man weiss es ebenso wenig, wie man beweisen kann, dass Sars-CoV-2 auf dem in der Nähe gelegenen Tiermarkt entstand.

Lief etwas schief am Wuhan-Institut für Virologie? Man weiss es ebenso wenig, wie man beweisen kann, dass Sars-CoV-2 auf dem in der Nähe gelegenen Tiermarkt entstand.

Shepherd Hou / EPA

Angesichts der weltweit steigenden Zahl von Entschädigungsansprüchen gegenüber China und den damit verbundenen Forderungen nach einer detaillierten Aufklärung der Ursachen des Ausbruchs der Sars-CoV-2-Pandemie gilt es sowohl in Peking als auch in anderen Hauptstädten der Welt, in Ruhe über mögliche Lösungen und Folgen des Konflikts nachzudenken.

Jede Reparationsforderung zeugt von einer nachvollziehbaren emotionalen Reaktion in einem extremen Umfeld: Plötzlich werden Hunderttausende Menschen innerhalb kürzester Zeit von einem «fremden» Virus getötet, erleidet die Weltwirtschaft einen Infarkt. Wer kann das einfach so akzeptieren? Dabei ist evident, dass Schuldzuweisungen und Schadenersatzforderungen leicht politisiert und instrumentalisiert werden können. So ist es offensichtlich, dass Präsident Trump die Vorwürfe gegen China nutzt, um seine Chancen auf eine Wiederwahl zu erhöhen. Anderseits ist auch klar, dass die Anschuldigungen nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

Auch Entschädigungsforderungen afrikanischer Länder wie Nigeria sind nicht abwegig. Als grösste Volkswirtschaft Afrikas ist Nigeria ein wichtiger Handelspartner Chinas. Im März aber kam es zur Misshandlung von Schwarzen in Guangzhou – man glaubte sie als Überträger des Virus ausgemacht zu haben. Solcher Rassismus ist nicht die erste Verletzung der Gefühle der nigerianischen Bevölkerung. Bereits vorher hatten die Nigerianer den Eindruck gehabt, bei den Projekten der chinesischen neuen Seidenstrasse nicht in versprochenem Mass zu profitieren. Darüber hinaus handelten einige chinesische Privatunternehmen im Land in legalen Grauzonen oder waren gar in illegale Geschäfte verwickelt. Diese Frustrationen brachten zusammen mit der Corona-Pandemie das Fass zum Überlaufen.

Mehr symbolisch als substanziell

Für eine Rechtmässigkeit von Entschädigungsforderungen muss zunächst eindeutig der Ursprung von Sars-CoV-2 geklärt sein. Ohne ausreichende und solide Beweise, dass Wuhan am Ursprung der Pandemie steht, werden die Kläger nichts erreichen können. Dabei ist es ein weiter Weg von ersten Verdachtselementen bis zu lückenlosen Beweisen.

So oder so erscheinen Reparationsforderungen eher symbolisch als substanziell. Unabhängig vom Ursprung des Virus hat jede Regierung zuallererst selber Verantwortung zu tragen für die Todesfälle im eigenen Land, die je nachdem auf eine bessere oder schlechtere Handhabung der Krise zurückzuführen sind. Niemand wird bestreiten, dass auch hier Fehler begangen wurden, sei es in der mangelnden Vorsorge oder in einer Verkennung der Ernsthaftigkeit der Situation.

Die Globalisierung bringt es mit sich, dass wir in einer Welt leben, die verkehrstechnisch total vernetzt, aber auch seuchentechnisch völlig interdependent ist. Tritt ein aggressiv ansteckendes Virus auf, trägt das zuerst betroffene Land die Verantwortung, die Welt rechtzeitig zu warnen und transparent zu informieren. Konkret heisst dies, dass der internationalen Gemeinschaft ausreichendes Datenmaterial zur Verfügung gestellt und Experten der notwendige Zugang zu Lokalitäten gewährt werden muss. Nur so kann effektiv reagiert werden. Bestenfalls lässt sich der Brand im Keim ersticken, bevor er um sich greift.

Die Aufdeckung der Wahrheit von Wuhan könnte sich negativ bis verheerend auf die Legitimität der herrschenden Eliten auswirken.

Die Frage nach der Herkunft des Virus ist essenziell, denn nur im Wissen um die Ursache der Pandemie können zukünftige Ausbrüche wirksam verhindert werden. Entsprechend gross ist die Verantwortung des Ursprungslandes für die Aufklärung der genauen Umstände. Sowohl jene, welche laut nach Entschädigung rufen, als auch die, welche in dieser Frage behutsamer vorgehen (wie etwa die EU und Deutschland), eint der Wunsch, bald mit einer fairen Untersuchung beginnen zu können. China als «Ursprungsland» von Sars-CoV-2 hat die Verpflichtung, diesem Begehren stattzugeben.

An dieser Stelle muss eine klare Unterscheidung zwischen Verdacht und Verschwörungstheorie stehen. In Bezug auf China beginnt der Verdacht mit der offiziellen Handhabung der Geschichte des Patienten null, der offenbar nichts mit dem Tiermarkt in Wuhan zu tun hat – sie wurde totgeschwiegen oder gar ausgelöscht. Auch der Verbleib einer Praktikantin am Wuhan-Institut für Virologie ist unklar. Schliesslich ist es auch sehr verdächtig, dass die chinesische Regierung erst seit kurzem von allen Virologen verlangt, dass ihre Arbeiten zuerst eine staatliche Zensur durchlaufen müssen, bevor sie in internationalen Zeitschriften erscheinen können.

Weitere Verdachtsmomente

Daneben gibt es eine Reihe von anderen Verdachtsmomenten, welche die Weltöffentlichkeit zum Schluss kommen lassen, dass China in Bezug auf den Ursprung von Sars-CoV-2 etwas zu verbergen hat. Um diesen Verdacht aus dem Weg zu räumen, wäre es notwendig, dass die Regierung in Peking auf alle Punkte sorgfältig eingeht. Die Forderung nach einer transparenten und fairen Untersuchung ist völlig angemessen. Nur so können wir wissen, ob das Virus durch einen Unfall oder durch menschliches Fehlverhalten in die Welt gekommen ist. Es gibt daneben auch Stimmen, die vermuten, dass China in Wuhan heimlich biologische Waffen hergestellt hat. Derartige Ansichten gehören in die Kategorie Verschwörungstheorie. Die meisten Experten glauben derzeit, dass das Virus natürlicher Herkunft ist, wobei hier sowohl der Tiermarkt als auch das Labor infrage kommen.

Viele Virologen weltweit haben wenig Zweifel an der fachlichen Kompetenz von chinesischen Spitzenforschern. Dennoch geht die Sorge um, dass das Institut in Wuhan das Virus wegen Managementfehlern versehentlich entkommen liess. Die Vermutung, dass ein Viruslabor die Quelle von Sars-CoV-2 ist, stammt von dem französischen Virologen und Nobelpreisträger Luc Montagnier sowie vom international ebenfalls angesehenen russischen Virologen Peter Chumakow.

Die Meinungen über die Laborunfall-These bleiben geteilt, die Debatte hat erst begonnen. Von daher besteht auch keine Notwendigkeit, die übereilte Schlussfolgerung der WHO vom Januar zu akzeptieren, dass bei beiden Virusforschungsinstituten in Wuhan jede mögliche Fahrlässigkeit auszuschliessen sei. Die WHO weiss schlicht nicht, was in den Anfängen der Verbreitung von Sars-CoV-2 in Wuhan wirklich geschah. Daher auch hat sie China wiederholt gebeten, sich an der Untersuchung beteiligen zu dürfen. Dies wurde bis vor kurzem strikt abgelehnt.

Verfahrene Lage

Momentan befinden wir uns in einer schwierigen Situation: Einerseits dauert die Viruskatastrophe noch an, und die Länder der Welt müssen ihre Kräfte bündeln, um Impfstoffe und Medikamente zur Bekämpfung und Überwindung der Pandemie zu entwickeln. Aus diesem Grund ist eine Zusammenarbeit mit China unabdingbar. Anderseits wollen alle möglichst schnell wissen, wie das Virus genau entstanden ist. Allen ist bewusst, dass es ohne China keine Erklärung geben kann. Doch Peking reagiert abweisend bis feindselig. Es beschimpft jedes Land, das die Forderung nach genauer Untersuchung erhebt, und verweigert kategorisch eine Zusammenarbeit.

Ist es möglich, aus dieser verfahrenen Lage herauszukommen? Erinnern wir uns an zwei vergangene Ereignisse. Zuerst an jeden Klimagipfel (einschliesslich der Pariser Konferenz), wo Verhandlungen mit China anstanden. War die chinesische Führung in Sachen Klimaschutz und Emissionsreduktion bereit, der Aussenwelt zu gestatten, die relevanten Daten «messbar, nachvollziehbar und überprüfbar» (MRV) zu machen? Die Antwort war ein klares Nein. China erblickte darin eine Frage der staatlichen Souveränität. Daher habe die Welt alle Daten, welche die chinesische Führung liefere, zu akzeptieren.

Der zweite Fall ist der Gerichtsentscheid zu Chinas gewaltigen Gebietsansprüchen im Südchinesischen Meer, gegen die sich die Philippinen zur Wehr setzten. Obwohl das internationale Schiedsgericht in Den Haag aufgrund des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen am 12. Juli 2016 einen endgültigen Schiedsspruch fällte und es den Philippinen Recht zusprach, indem es die Legitimität von Chinas historischer «Neun-Strich-Linie» bestritt, ignorierte Peking das Urteil einfach. Denn mit einer Annahme des Den Haager Spruches würden «Kerninteressen» Schaden nehmen. Seither hat sich Chinas militärische Kontrolle über das Südchinesische Meer massiv verstärkt.

Beharren auf «Kerninteressen»

Im Hinblick auf die Untersuchung des Ursprungs des Coronavirus ist die Situation ähnlich. Da die chinesische Führung eine solche als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtet, folgt daraus eine totale Verweigerung. Mit Schadenersatzforderungen wird es nicht anders sein, selbst wenn es irgendwann stichhaltige Beweise für schuldhaftes Verhalten gibt. Obwohl das Ansehen Chinas unter dieser Haltung schwer leidet, haben für Peking die «Kerninteressen» Priorität. Was bedeutet, dass der Wunsch nach einer fairen Untersuchung des Ursprungs von Sars-CoV-2 ins Leere laufen wird.

Vielleicht gibt es eine andere, allerdings kaum bessere Lösung. Man kann davon ausgehen, dass Xi Jinping Chinas Image in der Welt keineswegs gleichgültig ist. Dies ist etwa an den vielen Telefonaten abzulesen, die er während der Pandemie mit anderen Staatschefs führte. Nicht zuletzt deshalb hat die chinesische Regierung kürzlich die Zahl der durch Sars-CoV-2 verursachten Todesfälle nach oben korrigiert und medizinische Protokolle freigegeben, die allerdings keine Ursachenforschung erlauben.

Vor kurzem hat China halbherzig angedeutet, dass es eine Untersuchung zulassen würde, wenn diese unter dem Mandat der WHO stattfände. Dabei hat es jedoch die Forderung gestellt, dass die Untersuchung nicht allein China, sondern auch andere Länder umfassen müsse. Zudem soll diese erst dann stattfinden, wenn die Pandemie besiegt sei.

Es gibt also wenig Grund für Optimismus bezüglich einer schnellen Aufklärung, woher Sars-CoV-2 genau stammt. Die entschlossene Ablehnung jeglicher «Einmischung» von aussen seitens der chinesischen Führung ist deutlich zu erkennen. Der Grund dafür dürfte sein, dass die Aufdeckung der wirklichen Vorgänge sich negativ bis verheerend auf die Legitimität der herrschenden Eliten auswirken könnte. Nur so ist zu erklären, warum Xi Jinping in dieser Sache partout keine Nachgiebigkeit zeigt.

Wenn China sich derart sicher ist, dass es in Wuhan nichts Falsches gemacht hat, sollte es einer internationalen Untersuchung eigentlich gelassen ins Auge sehen können. Es wäre dies die Chance, die Sympathien der Welt zurückgewinnen, die das Land derzeit in hohem Masse zu verspielen droht. Nichts deutet auf einen Gesinnungswandel. Ob die Wahrheit über das Virus von Wuhan am Ende doch noch auf verschlungenen Wegen zutage treten wird, wird sich weisen müssen.

Junhua Zhang ist Senior Associate des European Institute for Asian Studies (Eias) in Brüssel sowie Visiting Professor der Shanghai Jiao Tong University.

28 Kommentare
Thomas Meyer

Grundlegend gilt folgendes: den Chinesen kann man niemals vertrauen. Die freie Welt muss sich von ihnen fernhalten und produzieren, was sie für sich selbst braucht. Ich finde es traurig und deprimierend, wenn chinesische Beamte blank konfrontiert daher lügen. In BBC Sounds gibt es ein Dokumentarreportage: The Documentary Wuhan: The Beginning an. Bei dem Ausbruch verhafteten sie Ärzte, die versuchten, ihre eigenen Kollegen einfach darüber zu beraten, was los war. Schuldig. Betrügerisches Mobbing-Regime. Wir müssen einen Weg finden, uns zu entkoppeln, um alternative Märkte zu finden. 

Philippe D Dr. Brüggemann

Viel Aufwand im Auflisten für Nichts, der Autor sagt es selbst: „Es wäre dies die Chance, die Sympathien der Welt zurückgewinnen, die das Land derzeit in hohem Masse zu verspielen droht. Nichts deutet auf einen Gesinnungswandel.“ Von China wird nichts Konstruktives kommen, nur mehr Nebelkerzen und Manipulationen, speziell der WHO und dessen Präsidenten seiner Gnaden.