Gastkommentar

Diplomatie als Wolfskrieg – mit seiner aggressiven Aussenpolitik nach Corona schadet China am meisten sich selber

Wegen des Versuchs, die Entstehung und Verbreitung von Covid-19 möglichst lange zu vertuschen und in der Folge aus der Pandemie möglichst viel Kapital zu schlagen, steht China weltweit in der Kritik. Dass es sich als Reaktion darauf für einen Kurs der Einschüchterung entschieden hat, zeugt von Kurzsichtigkeit.

Brahma Chellaney 14 Kommentare
Drucken
Sichtlich unentbehrlich: der chinesische Präsident Xi Jinping beim Abschluss des Nationalen Volkskongresses in Peking.

Sichtlich unentbehrlich: der chinesische Präsident Xi Jinping beim Abschluss des Nationalen Volkskongresses in Peking.

Andy Wong / AP

Die global virulent werdende Gegenreaktion auf China wegen seiner Verantwortung für die von Wuhan ausgehende Corona-Pandemie hat in den vergangenen Wochen an Intensität gewonnen. Und China selber hat Öl ins Feuer gegossen, wie seine jüngsten Pläne für ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong zeigen. Angefangen bei der impliziten Erwartung politischer Gegenleistung für die Versorgung notleidender Länder mit medizinischer Schutzausrüstung bis hin zur Zurückweisung von dringlicher werdenden Forderungen nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Herkunft des Virus: Die Einschüchterungstaktik der Regierung von Präsident Xi Jinping hat das kommunistische Regime Chinas beschädigt und isoliert.

Die Gegenreaktion könnte vonseiten des Westens in Form von Sanktionen erfolgen, da Xis Regime versucht, Hongkongs Prinzip von «ein Land, zwei Systeme» mit seinem Entwurf neuer nationaler Sicherheitsgesetze für das Territorium des Stadtstaates auszuhebeln, wo es seit über einem Jahr immer wieder zu grossen prodemokratischen Protesten kommt. Allgemein betrachtet, führt Xis überzogenes aussenpolitisches Vorgehen zu wachsender Feindseligkeit nicht nur in der Nachbarschaft, sondern in aller Welt.

Neoimperialistische Agenda

Wäre Xi klug gewesen, hätte China versucht, den durch die Pandemie verursachten Imageschaden mit Einfühlungsvermögen und Mitgefühl zu beheben, indem es beispielsweise fast bankrotten Partnerländern der Belt-and-Road-Initiative einen Schuldenerlass und ärmeren Ländern medizinische Hilfe gewährt hätte, ohne deren Rückendeckung für seinen Umgang mit dem Corona-Ausbruch zu erwarten. Stattdessen hat China auf eine Weise gehandelt, die seine eigenen langfristigen Interessen untergräbt.

Diplomatie fungiert mittlerweile als Anhängsel im Propagandaapparat der Kommunistischen Partei.

Ob durch seine aggressive «Wolf Warrior»-Diplomatie – benannt nach zwei chinesischen Filmen, in denen chinesische Spezialeinheiten US-Söldner in die Flucht schlagen – oder durch militärisch unterstützte expansionistische Vorhaben in Chinas Nachbarschaft: Xis Regime hat international Besorgnis ausgelöst. Tatsächlich betrachtet Xi, der selbsternannte unentbehrliche Führer des Riesenreiches, die gegenwärtige globale Krise als Gelegenheit, seinen Griff nach der Macht zu verstärken und seine neoimperialistische Agenda voranzutreiben. So sagte er kürzlich vor einem Universitätspublikum: «Die grossen Schritte in der Geschichte wurden alle nach grossen Katastrophen gemacht.»

China hat definitiv versucht, möglichst viel aus der Pandemie herauszuschlagen. Nachdem es im Januar einen Grossteil des weltweit verfügbaren Angebots an medizinischer Schutzausrüstung aufgekauft hatte, betrieb es Preistreiberei und offenkundig Profitmacherei. Chinesische Exporte von minderwertiger oder defekter medizinischer Ausrüstung haben den internationalen Ärger zudem noch verstärkt.

Während die ganze Welt mit Covid-19 kämpft, hat das chinesische Militär erneut Grenzstreitigkeiten mit Indien provoziert und versucht, die Gewässer vor den von Japan kontrollierten Senkaku-Inseln zu kontrollieren. China hat zudem vor kurzem zwei neue Verwaltungsbezirke im Südchinesischen Meer eingerichtet und sein Eindringen und andere Aktivitäten in diesem Gebiet verstärkt. Anfang April rammte und versenkte ein Schiff der chinesischen Küstenwache ein vietnamesisches Fischerboot, was die Vereinigten Staaten veranlasste, China darauf hinzuweisen, «die [pandemiebedingte] Ablenkung oder Verwundbarkeit anderer Staaten nicht länger auszunutzen, um seine unrechtmässigen Ansprüche im Südchinesischen Meer auszuweiten».

So bald keine Untersuchung in Wuhan

In der Zwischenzeit hat China seine Androhung wirtschaftlicher Vergeltungsmassnahmen gegen Australien wahr gemacht – dieses hatte den Anstoss für eine internationale Untersuchung des Corona-Ausbruchs in Wuhan gegeben. Durch Handelsmassnahmen hat die chinesische Regierung die Einfuhr australischer Gerste effektiv unterbunden und mehr als ein Drittel der regelmässigen Rindfleischexporte Australiens nach China blockiert.

Hatte Japan 2011 der Internationalen Atomenergie-Organisation bereitwillig erlaubt, eine umfassende Untersuchung der Nuklearkatastrophe von Fukushima durchzuführen – eine Analyse, die dem Land half, die Sicherheitslage zu verbessern –, lehnte China jede gemeinsame Erforschung des Corona-Ausbruchs vor Ort entschieden ab, so, als ob es etwas zu verbergen hätte. Tatsächlich prangerten einige chinesische Kommentatoren entsprechende Forderungen gar als rassistisch an.

Als freilich eine unspezifischer gefasste Resolution, die eine «unparteiische, unabhängige und umfassende Evaluation» der globalen Reaktion auf Covid-19 forderte, die Unterstützung von mehr als hundert Ländern im Entscheidungsgremium der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fand, suchte Xi sein Gesicht zu wahren, indem er der Versammlung mitteilte, dass «China die Idee einer umfassenden Untersuchung unterstützt». In letzter Minute trug China die Resolution mit, die ohne Einspruch angenommen wurde.

Die Resolution jedoch überlässt es dem umstrittenen Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, die Untersuchung «zum frühestmöglichen geeigneten Zeitpunkt» einzuleiten. Tedros, dem vorgeworfen wird, Chinas anfänglicher Vertuschung von Covid-19 Vorschub geleistet zu haben, könnte beschliessen zu warten, bis die Pandemie «unter Kontrolle» ist, wie Xi es vorgeschlagen hat.

Ein möglicher Wendepunkt

Fest steht eines: Die Welt wird nach der Corona-Krise, die an Kriegszeiten erinnert, nicht mehr dieselbe sein wie vorher. Zukünftige Historiker werden die Pandemie als einen Wendepunkt betrachten, der dazu beitrug, die Weltpolitik neu zu gestalten und lebenswichtige Produktionsnetzwerke umzustrukturieren. In der Tat hat die Krise die Welt auf die potenziellen Bedrohungen aufmerksam gemacht, die sich aus Chinas Kontrolle über viele globale Lieferketten ergeben, und es werden bereits Schritte unternommen, um diesen Einfluss zu verringern.

Im Wesentlichen verdeutlichen Xis Handlungen schlaglichtartig, wie anfällig politische Institutionen, die sich der Laune eines einzelnen, allmächtigen Individuums beugen, für verlustreiche Fehler sind. Chinas diplomatische und propagandistische Offensive zur Verschleierung von Fakten und zur Abwehr von Kritik an seiner Reaktion auf Covid-19 ist eigentlich nur das jüngste Beispiel für seinen dreisten Einsatz von Zensur und Zwang, um andere Länder unter Druck zu setzen. Aber sie stellt einen Wendepunkt dar.

In der Vergangenheit setzte China auf Überzeugungsarbeit, um sich Zutritt zu internationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation zu sichern und seinen wirtschaftlichen Aufstieg voranzutreiben. Doch unter Xi sind die Verbreitung von Desinformation, wirtschaftliches Powerplay, die Demonstration militärischer Stärke und gezielte operative Einflussnahme zu Chinas bevorzugten Instrumenten geworden, um seinen Willen durchzusetzen. Diplomatie fungiert mittlerweile als Anhängsel im Propagandaapparat der Kommunistischen Partei.

Das Fass und der Tropfen

Xis Ansatz verprellt andere Länder und setzt damit deren Nachfrage nach chinesischen Produkten aufs Spiel, er verschreckt Investoren und verschärft Chinas Imageproblem. Die Amerikaner stehen China und seiner Führung so ablehnend gegenüber wie niemals zuvor. Grosse Volkswirtschaften wie Japan und die USA bieten Unternehmen Zuschüsse als Anreiz, ihre Produktion aus China zu verlagern. Und Indiens neue Regelung, laut der jegliche Investition aus China der vorherigen Genehmigung durch die Regierung bedarf, ist die erste ihrer Art.

China sieht sich derzeit mit dem schwierigsten internationalen Umfeld seit Beginn seiner Öffnung in den späten siebziger Jahren konfrontiert und läuft nun Gefahr, sein Image und seine Interessen nachhaltig zu schädigen. Ein durch Xis überzogenes Vorgehen ausgelöster Bumerangeffekt scheint unvermeidlich. Dass die Pandemie ihren Ursprung in China hat, dürfte dazu führen, dass die globale Position des Landes geschwächt und sein künftiges Wachstum behindert wird. In diesem Sinne könnte sich die Aushöhlung der Autonomie Hongkongs im Schatten von Covid-19 als der sprichwörtliche Tropfen erweisen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Zentrum für Politikforschung in Delhi und Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Er hat neun Bücher verfasst, darunter «Asian Juggernaut», «Water: Asia’s New Battleground» und «Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis». – Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2020.

14 Kommentare
Thomas Seiler

Der vom Autor vorgeschlagene Appell an Chinas Einfühlungsvermögen und Mitgefühl andere Länder oder die Welt betreffend beantwortet er auch gleich selbst mit Xi's Worten über die grossen Schritte in der Geschichte nach grossen Katastrophen.China ist mehr denn je eine aggressive,expansive,kommunistische Diktatur.Die Pandemie und der Verursacher derselben sind auf üble Weise zum Albtraum der ganzen Welt geworden.China gehört sanktioniert,diplomatisch,ökonomisch,wirtschaftliche Verluste sind in Kauf zu nehmen,es gibt nichts umsonst.

reto leibundgut

Der Zeitpunkt sich von China abzuwenden wäre wichtiger den je. Die Ausrede der Wohlstandseinbusse müsste man hinnehmen. Wie hoch soll unser Wohlstand den noch steigen? Wegwerfen anstatt reparieren kann ja nicht die Lösung sein.