Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz fanden seit Ende April bundesweit mehr als 90 Kundgebungen gegen Corona-Einschränkungen statt, bei denen Rechtsextreme Wortführer waren. Dies berichtet die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Demnach war einer der regionalen Schwerpunkte der oftmals nur von einigen Dutzend Teilnehmern besuchten Kundgebungen Sachsen-Anhalt. Dort fanden mehr als ein Drittel aller zwischen dem 25. April und dem 10. August von Rechtsextremisten durchgeführten oder dominierten Veranstaltungen statt.

Im Juli fielen dem Verfassungsschutz demnach auch zwei Kundgebungen in Düsseldorf und Essen auf, an denen jeweils einige Hundert Demonstranten teilgenommen hatten.

Die meisten Veranstaltungen wurden den Angaben zufolge nicht von Parteien oder Vereinen angemeldet, sondern von Einzelpersonen. Einige Kundgebungen waren vorab nicht angemeldet worden.

Für besonderes Aufsehen sorgten die Protestaktionen in Berlin am letzten Augustwochenende. Darunter waren auch größere Gruppen sogenannter Reichsbürger mit entsprechenden T-Shirts, Transparenten, Sprechchören und Flugblättern. Deutlich erkennbar waren auch einige kleinere Gruppen von Rechtsextremisten und Neonazis. Auch Mitglieder der AfD nahmen teil, vor allem Mandatsträger, die dem inzwischen offiziell aufgelösten Flügel angehören.

Die Strömung um den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Höcke selbst ließ sich während der Kundgebung filmen. In dem anschließend veröffentlichten Video zeigte er sich begeistert von der Demonstration und sagte, er habe den Eindruck, "dass hier und heute in Berlin Geschichte geschrieben wird".

Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage schreibt, waren die Mobilisierungsaufrufe von Rechtsextremisten im Vorfeld der Kundgebung "breiter und intensiver" als etwa vor der Corona-Protestkundgebung in Berlin am 1. August. Gleichwohl seien Rechtsextremisten bislang nicht sehr erfolgreich gewesen, "an demokratische Proteste Anschluss zu finden". Dies könnte demnach in Zukunft aber gelingen, wie etwa in der Vergangenheit bei einzelnen Antiasylkundgebungen. Die Bundesregierung erklärte, die Behörden verfolgten deshalb "einen möglichen Ausbau der rechtsextremistischen Vereinnahmung von Protesten gegen die staatlichen Corona-Eindämmungsmaßnahmen sehr aufmerksam".

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, zeigte sich bereits jetzt alarmiert. "Wurden Faschisten auf den früheren Querdenker- und Corona-Protesten bereits geduldet, so ist es insbesondere der Reichsbürgerbewegung und kruden Verschwörungsideologen am 29. August in Berlin gelungen, mit ihren Fahnen, Symbolen und Losungen Teile des Aufzugs zu prägen", sagte sie. Dies sei "eine gefährliche Entwicklung, die von der Bundesregierung weiterhin unterschätzt wird".