Zum Inhalt springen

Internationale Studie Zahl der inhaftierten Terroristen steigt

In Europa hat sich die Zahl der inhaftierten Terroristen und Extremisten in den vergangenen Jahren massiv erhöht. Ein großer Teil könnte laut einer neuen Studie, die dem SPIEGEL vorliegt, schon bald wieder freikommen.
Justizvollzugsanstalt in Berlin (Archivfoto)

Justizvollzugsanstalt in Berlin (Archivfoto)

Foto: Paul Zinken/ dpa

Die Zahl der Terroristen und Extremisten in Europas Gefängnissen ist stark gestiegen. Das zeigt eine neue Studie des King's College in London, die dem SPIEGEL vorab exklusiv vorliegt.

Bei den Inhaftierten handele es sich vor allem um Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), aber immer häufiger auch um Rechtsextremisten, sagt Terrorismusforscher Peter Neumann, der die Studie leitet. Auch für die Zukunft rechnet er mit steigenden Zahlen: durch die Rückkehr weiterer IS-Kämpfer in ihre Heimat und die Zunahme rechtsextremer Anschläge

In den zehn EU-Staaten, die die Forscher untersucht haben, sitzen aktuell rund 1400 Terroristen im Gefängnis. Die meisten sind es laut der Studie in Frankreich, dort versechsfachte sich ihre Zahl seit 2014 auf etwa 550. In Großbritannien befinden sich aktuell 238 Terroristen in Haft, in Spanien sind es 329, darunter zahlreiche baskische Separatisten.

Zur Studie

Die Studie "Prisons and Terrorism: Extremist Offender Management in 10 European Countries" beschreibt den Umgang mit Extremisten und Terroristen in Gefängnissen folgender Länder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Niederlande, Norwegen, Spanien, Schweden sowie England und Wales.

Die Erhebung wurde vom schwedischen Justizministerium und dem Anti-Terror-Koordinator der niederländischen Regierung finanziert und ist Teil eines Projektes, das von April 2019 bis Juni 2020 lief.

Für Deutschland lagen den Forschern des International Centre for the Study of Radicalisation am King's College keine Zahlen für alle Bundesländer vor. Sie gehen jedoch davon aus, dass in deutschen Gefängnissen mindestens 290 Häftlinge sitzen, die als radikal gelten. Immer häufiger zählen dazu auch Frauen, die aus dem ehemals vom "Islamischen Staat" (IS) kontrollierten Gebiet zurückkehren. "Das stellt die Gefängnisse vor neue Herausforderungen", sagt Neumann.

Überbelegte Gefängnisse - "Nährboden für Radikalisierung"

Zwar machen Terroristen trotz der massiv gestiegenen Zahlen nur einen Bruchteil der Insassen in europäischen Gefängnissen aus. Dennoch verstärkt der Anstieg ein Problem: zu volle Haftanstalten. "In fast allen europäischen Staaten sind die Gefängnisse überbelegt und es fehlt an ausgebildetem Personal", sagt Terrorismusforscher Neumann. "Kein Wunder, dass sie zu Nährböden für Radikalisierung werden."

Laut der Studie nutzen verurteilte Terroristen immer wieder ihre Haft, um sich zu vernetzen und andere Insassen zu radikalisieren. Die Forscher gehen von etwa 1600 Gefangenen in den untersuchten Ländern aus, die erst während der Haft zu potenziellen Extremisten wurden. Sie seien oft anfällig für Radikalisierungsversuche, da sie etwa psychische Erkrankungen oder Drogenprobleme hätten.

Zahlreiche EU-Staaten setzen inzwischen moderne Methoden zur Einschätzung der Gefahren ein, die von inhaftierten Terroristen und Extremisten ausgehen. In Deutschland heißen diese Prognoseinstrumente Vera-2R und Radar-itE. Solche Methoden könnten hilfreich sein, sagt das Londoner Forscherteam - noch wichtiger aber sei kompetentes Personal in den Haftanstalten.

"Gut ausgestattete Gefängnisse sind die wichtigste Maßnahme gegen Radikalisierung, aber auch die unpopulärste", sagt Neumann. Kein Politiker wolle mehr Geld für Straftäter ausgeben. Im Fall Deutschlands erkennt der Terrorismusforscher ein zusätzliches Problem: "Es gibt keinen einheitlichen, systematischen Ansatz, wie der Gefängnisradikalisierung begegnet werden kann. Jedes Bundesland macht, was es für richtig hält." 

Das könnte sich noch rächen. In den nächsten Jahren, so schreiben die Londoner Forscher, steht vielen EU-Ländern eine Entlassungswelle bevor. Etliche IS-Anhänger wurden nur zu relativ kurzen Haftstrafen verurteilt und kommen bald wieder frei. Forscher Neumann warnt: "Viele Staaten sind darauf nur schlecht vorbereitet."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.