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Behnam Said

Islamistischer Terror Links wird nichts verschwiegen

Behnam Said
Ein Gastbeitrag von Behnam Said
Kevin Kühnert (SPD) hat der politischen Linken vorgeworfen, sich nicht klar gegen islamistischen Terror zu positionieren. Offenbar hat er Forschung und Debatten der vergangenen zwei Jahrzehnte verpasst.
Gedenken an den ermordeten Lehrer Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine, Frankreich, 17. Oktober 2020

Gedenken an den ermordeten Lehrer Samuel Paty in Conflans-Sainte-Honorine, Frankreich, 17. Oktober 2020

Foto: NurPhoto / NurPhoto via Getty Images

Nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty in Frankreich forderte Kevin Kühnert im SPIEGEL, den "Kampf gegen Islamismus nicht länger Rassisten zu überlassen". Insbesondere "die politische Linke sollte ihr unangenehm auffälliges Schweigen beenden", schrieb der SPD-Politiker und erhielt dafür viel Zuspruch. Etwa von Sascha Lobo, der Linken, Liberalen und Bürgerlichen gleichermaßen vorwarf, "zweifellos versäumt" zu haben, "eine nichtrassistische Islamismuskritik zu entwickeln" - und ironischerweise im gleichen Atemzug einen falschen Gegensatz zwischen "muslimischer" und "knalldeutscher" Zivilgesellschaft eröffnete.  

Wer "der Linken" oder auch der Zivilgesellschaft in Deutschland pauschal vorwirft, zum Islamismus zu schweigen oder hier wegzuschauen, dem sind allerdings entweder die Entwicklungen der letzten Jahre nicht bekannt oder aber er ignoriert sie bewusst.

Es gibt Regale voller wissenschaftlicher Literatur aus den vergangenen zwei Jahrzehnten, die sich kritisch und ohne jeglichen Rassismus mit Islamismus auseinandersetzt, was sowohl für konservative, als auch für linke Autor*innen gilt. Wenn über diese Diskurse nicht ausreichend in den Medien berichtet wird, so kann man dies der Wissenschaft kaum vorhalten. Schon gar nicht kann man jedoch behaupten, es gäbe diesen Diskurs überhaupt nicht.

Auf den zahlreichen Fachkongressen zum Thema Islamismus habe ich weder Lobo noch Kühnert je gesehen, was ich ihnen nicht einmal zum Vorwurf machen möchte, da an diesen Fachtagungen vor allem akademische Expertinnen, Vertreterinnen von Sicherheitsbehörden und Praktiker*innen teilnehmen. Gefallen lassen müssen sie sich jedoch den Vorwurf, dass sie mit diesen Fachleuten hätten sprechen können, bevor sie lautstark eine vermeintlich überfällige Islamismuskritik der "Linken" verlangen.

Der "Kampf" gegen Islamismus dürfe nicht Rassisten überlassen werden, wünscht sich Kühnert, und Lobo fordert von der linken und liberalen Zivilgesellschaft, einen Umgang mit Islamismus zu finden. Mir fallen viele Menschen ein, die sich links oder liberal verorten und sich ganz ohne Rassismus täglich gegen Islamismus engagieren. Manche von ihnen äußern sich auch regelmäßig öffentlich, etwa über Twitter.  

Wenn Kühnert und Lobo der Meinung sind, dass solche Stimmen der Zivilgesellschaft zum Islamismus zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, dann schlage ich vor, dass sie, um dies zu ändern, ihre öffentliche Reichweite nutzen, indem sie zum Beispiel für einen Tag ihren Twitteraccount einem Praktiker oder einer Praktikerin der Präventionsarbeit überlassen - zum Beispiel Claudia Dantschke, Rami Ali, Janusz Biene, Alexander Gesing oder Götz Nördbruch.

Ich selbst verstehe mich als gefestigten und leidenschaftlichen Demokraten, gehöre den Grünen an, habe zehn Jahre mit Überzeugung für das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz als Referent gearbeitet und mich über Jahre auch öffentlich mit dem Thema Islamismus kritisch befasst – insofern treffen mich solche Pauschalvorwürfe auch persönlich.

Meine Tätigkeit beim Verfassungsschutz nahm ich im Oktober 2008 auf, zu einer Zeit, als die deutsche Extremismusprävention für den Bereich Islamismus noch in den Kinderschuhen steckte. Der Bedarf an Beratung, etwa für Mütter, Väter und Geschwister radikalisierter junger Männer und Frauen, war zwar vorhanden, wurde aber zunächst vorwiegend durch die Sicherheitsbehörden gedeckt, wobei diese recht schnell an ihre Grenzen stießen. Für langwierige sozialpädagogische Betreuungen hatten sie weder Fachpersonal noch Zeit. Erst ab etwa 2011 wurden regional zuständige Anlaufstellen für Beratungssuchende aufgebaut und schließlich auch durch Bund und Länder langfristig finanziert. Die Zustimmung hierfür gaben die an den Regierungen beteiligten Parteien, sowohl die bürgerlichen als auch die nun gescholtenen Parteien des linken Lagers, was von einem langjährigen gesellschaftlichen und politischen Konsens gegen Islamismus zeugt.

Vollkommen unerwähnt lassen Kühnert und Lobo die parlamentarische Arbeit der linken Parteien in Bund und Ländern, Publikationen und Veranstaltungen der parteinahen Stiftungen sowie Beiträge wie das Buch "Was tun gegen Dschihadisten?" des Grünenpolitikers Omid Nouripour. Selbst links-außen stehende Gruppen haben das Thema schon vor Jahren aufgegriffen und gegen Auftritte von Predigern der Salafistenszene demonstriert.

Die Vermutung Kühnerts, dass die Linke für die Opfer islamistischer Attentate zu wenig "Mitgefühl und Trauer" aufbringe, ist daher falsch. Wahr ist hingegen, dass in der Linken seit Jahren antimuslimischer Rassismus und Islamismus zugleich kritisch diskutiert werden - und das nicht ohne Grund. Denn in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in Deutschland und Europa ein zunehmend aggressiv auftretender antimuslimischer Rassismus verfestigt.

Der Rechtsextremismus ist eine essenzielle Bedrohung für unsere Demokratie. Diese Szene entwickelt sich dynamisch, Rechtsextremisten haben Zugang zu Waffen und ihre gefährlichen Netzwerke reichen teilweise bis in Sicherheitsbehörden und Bundeswehr hinein.

Zudem ist auch ein Vertrauensdefizit gegenüber dem Staat beim Vorgehen gegen Rechtsextremismus feststellbar, worauf jüngst der Soziologe Wilhelm Heitmeyer in einem Interview hinwies. Beim Islamismus hingegen konnte man in den vergangenen Jahren äußerst aktive und zumeist effektive Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden erleben. Immer mehr Bürger*innen wünschen sich ein solch konsequentes Vorgehen der Sicherheitsbehörden auch gegen Rechtsextremisten, insbesondere jene Menschen, die von Neonazis in ihrer Existenz infrage gestellt und bedroht werden.

Die demokratische Linke in Deutschland sollte weiterhin auch über Islamismus sprechen und ihn bekämpfen, jedoch so, wie sie es in den vergangenen Jahren getan hat: mit Fachwissen, lösungsorientiert und vor allem diskriminierungsfrei. Das macht die eigentliche Stärke aus, nicht der Einstieg in einen Wettbewerb um die schrillsten Töne.