Der Gang zur Schule wird am heutigen Montag ein besonders schwerer für französische Pädagoginnen und Schüler. So schwer, dass sogar Spieler der französischen Fußballnationalmannschaft ein Ermutigungsvideo über die Schule gedreht haben. "Ihr seid sicherlich meistens glücklich, zur Schule zu gehen", sagt etwa Stürmer Antoine Griezmann in dem Video. Mannschaftskollege Olivier Giroud erinnert an die vielen Kinder, die nicht "diese große Chance" hätten, in den Unterricht zu gehen.

Organisiert hat den Zwei-Minuten-Clip der Pariser Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Denn heute beginnt nicht nur der Unterricht nach den Herbstferien wieder – es ist auch der erste Schultag nach dem Mord an Samuel Paty. Der Geschichtslehrer wurde vor zwei Wochen von einem Islamisten auf dem Nachhauseweg enthauptet.

Für Paty, der für seinen Unterricht zur Meinungsfreiheit mit dem Leben bezahlen musste, werden alle Schulen um elf Uhr eine Schweigeminute einlegen. Zuvor soll ein Text des französischen Sozialisten Jean Jaurès verlesen werden – Jaurès wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg von einem Nationalisten ermordet. In seinem "Brief an alle Lehrerinnen und Lehrer" beschwört Jaurès die Bedeutung der Pädagogen, die die Intelligenz und Seele ihrer Schüler formen und sie lehren könnten, was eine freiheitliche Demokratie bedeutet.

Lehrer bekamen keine Vorbereitungszeit

Auch soll jeder Lehrer, jede Lehrerin bis zum Ende des Monats eine Stunde dem Thema der Meinungsfreiheit widmen – mit oder ohne Mohammed-Karikaturen. Für die französischen Lehrer ist dieser Stoff inzwischen zu einer sehr schwierigen Aufgabe geworden. Sollen sie die Karikaturen der Satirezeitung Charlie Hebdo zeigen, um deutlich zu machen, dass die französische Meinungsfreiheit Gotteslästerung erlaubt? Oder sollen sie darauf verzichten, wohlwissend, dass einige muslimische Schülerinnen in einen Konflikt geraten zwischen dem, was sie an der Schule lernen, und dem, was ihre Eltern oder Nachbarn erzählen?

Ursprünglich hatte Bildungsminister Blanquer angekündigt, die Schule erst um zehn Uhr beginnen zu lassen, damit die Pädagoginnen und Pädagogen noch im kleinen Kreis darüber beraten können, wie sie über den Mord und über Islamismus sprechen können; wie und ob sie die Mohammed-Karikaturen thematisieren wollen. Doch diese Bedenkzeit wurde in letzter Sekunde abgesagt. "Das ist eine unwürdige Entscheidung", sagt Frédérique Rolet, Präsidentin der Lehrer-Gewerkschaft SNES. "Einer von uns wurde bestialisch enthauptet. Wir können nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen", sagt sie. "Wir brauchen die Zeit, um uns unter Erwachsenen vorzubereiten auf den Austausch mit den Schülerinnen und Schülern."

Ohnehin kritisieren viele französische Lehrer unter dem Slogan "Mach keine Welle", ihre Sorgen um radikalisierte Schülerinnen und Eltern seien lange Zeit nicht ernst genommen worden: Sie fühlten sich alleingelassen, wenn es Probleme mit Familien gab, die mit den Inhalten des Unterrichts nicht einverstanden waren. Ein neues Gesetz soll nun dafür sorgen, dass die Anzeigen von bedrohten Pädagogen auch tatsächlich bei der Staatsanwaltschaft landen und Betroffene beraten werden.

Der Ausnahmezustand ist Alltag an französischen Schulen

Seit dem weiteren terroristischen Angriff in Nizza, bei dem drei Menschen in einer Kirche ermordet wurden, hat Frankreich die höchste Terrorstufe ausgerufen. Aber der Ausnahmezustand gehört für französische Schulen ohnehin schon zum Alltag: Mit einem roten Dreieck an öffentlichen Gebäuden erinnert der "Plan Vigipirate" an die ständige Terrorgefahr. Schon mit den ersten Attentaten in Paris 2015 und der tödlichen LKW-Fahrt eines Terroristen über die Promenade in Nizza 2016 hatten sich die Schulen verändert. Eiserne Absperrungen umschließen sie, die Zäune um den Pausenplatz wurden in vielen Städten auf drei oder vier Meter erhöht. Eltern dürfen das Schulgebäude nicht mehr betreten, sondern müssen ihre Kinder an der Eingangspforte verabschieden – eine drastische Regel, denn so können selbst Kindergartenkinder nicht zusammen mit ihren Eltern an die neue Schule gewöhnt werden, sondern werden buchstäblich durch die Pforte geschoben. Auch Weihnachtsfeiern und Sommerfeste finden ohne Familien hinter verschlossenen Türen statt.

Diese Distanziertheit wird durch den seit Freitag geltenden Corona-Lockdown noch verschärft. Klassen sollten auf dem Pausenhof nicht gemischt werden, Eltern ihre Grundschüler nicht direkt an der Pforte abholen, sondern etwas weiter entfernt, um größtmöglichen Abstand zu anderen Vätern und Müttern zu halten. Sich über den grausamen Mord an einem Lehrer auszutauschen, wird unter diesen Bedingungen noch sehr viel schwieriger.

An den Schulen werden "die großen gesellschaftlichen Konflikte" ausgetragen

Christophe Pourchassin war jahrelang damit beschäftigt, Attentate an Schulen zu verhindern. Er beriet den damaligen Präsidenten François Hollande ab 2015 zur Bildungspolitik und sagt heute: "Ein Angriff auf eine Schule war damals meine größte Angst." Der Mord an Samuel Paty habe ihn bestürzt. Dennoch ist es für Pourchassin nicht ausgemacht, dass die Gefahr heute größer ist als früher. "Das politische Projekt des Islamismus gibt es seit Jahrzehnten. Das ist schlimm genug, wir müssen nicht eine immer höhere Gefahr ausrufen", sagt er.

Für den heutigen Direktor der Elite-Universität EHESS ist es elementar, dass sich Familien und Lehrer näherkommen. "Das ist eine fast unlösbare Aufgabe in Zeiten von Vigipirate, die die Schule zu einem regelrechten Bunker gemacht hat", sagt er. Zudem müssten die Lehrer besser gerüstet sein, um mit Konflikten besser umzugehen: "In diesen Situationen brauchen sie die volle Unterstützung und Hilfe." Als Pourchassin im Bildungsministerium war, kochte noch eine zweite Debatte hoch: Streng katholische Familien protestierten gegen das Lehrbuch "Das ABC der Gleichheit", indem es auch um homosexuelle Liebe ging und darum, dass Jungen und Mädchen gleich sind. In Kampagnen konservativer bis rechtsextremer Kreise wurden Eltern aufgefordert, ihre Kinder an einem Protesttag nicht zum Unterricht zu schicken.

"Die Pädagogen müssen an der Schule die großen Konflikte der Gesellschaft austragen", sagt Pourchassin. Und häufig würden sie darauf im Studium nicht vorbereitet. Noch wichtiger sei es seiner Meinung nach aber, die Schulen gesellschaftlich besser zu mixen, also gemeinsame Klassen mit Kindern aus katholischen, muslimischen, ärmeren und privilegierten Haushalten zu bilden.

Ein schwieriges Unterfangen. In Frankreich boomen die Privatschulen, die häufig katholischer Konfession sind, zudem sind die Menschen in ärmeren, muslimisch geprägten Vorstädten unter sich. Die nächsten Wochen – sie werden zeigen, wie gut die Franzosen miteinander ins Gespräch kommen.