Terror in Zeiten von Corona: Schleich di, du Oaschloch!

Viel besser als mit dieser Wendung kann man den unverwüstlich-sturen Geist von Wien schwerlich einfangen. Terror UND Corona – es ist alles zu viel.

Schwer bewaffnete Pilizisten vor einem Scahufenster.

Polizisten beim Anti-Terroreinsatz in Wien am Abend des 2. November Foto: Roland Schlager/APA/dpa

Für einen Novemberabend war es am Montag in Wien absurd warm mit knapp unter zwanzig Grad. Zugleich waren es die allerletzten Stunden vor dem neuerlichen Lockdown, der um Mitternacht beginnen sollte. Tausende nutzten die letzten Stunden noch einmal, um in den Gastgärten ein paar Gläser zu trinken, bevor man sich wieder in wochenlange Isolation begeben muss. Das allein hatte schon die Anmutung eines „letzten Walzers“ – vor allem angesichts der explosionsartigen Zunahme der Infektionen in Österreich.

Währenddessen machte sich ein Attentäter – ein 20-jähriger, in Wien geborener Anhänger des „Islamischen Staats“ mit österreichisch-mazedonischer Staatsbürgerschaft – bereit: mit automatischer Waffe, Unmengen an Munition, einer Sprengstoffgürtel-Attrappe. Auf Feiernde wurde geschossen, auf Passanten, auf junge Leute, die vor den Kneipen eine Zigarette rauchten. Die Innenstadt als Kriegs- und Sperrzone. Aus den anderen Gegenden der Stadt versuchten alle so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Verlassen Sie Ihre Wohnungen nicht, so der unmissverständliche Aufruf des Innenministers.

Diese groteske Kombination von Corona und Terror ist auch eine Metapher auf unsere Zeit. Das Virus, der Terror – schon eines würde reichen, eine Gesellschaft und urbane Gemeinschaft einem immensen Stresstest auszusetzen. Das eine verstärkt das andere: das Grundgefühl, dass der urbane Raum, dass „da draußen“ ein gefährlicher Ort ist. Und es addiert sich zu einem Gefühl der Überforderung.

Terror und die dschihadistische Kriegserklärung gegen eine heterogene Gesellschaft der Freiheit erregen den spontanen, emotionalen Wunsch, gemeinsam aufzustehen, ein massives Zeichen zu setzen, sich aber damit als Gesellschaft auch wechselseitig psychisch zu stützen. In Zeiten der Ansteckung wird es das aber nicht geben können. Wie schrieb eine Wiener Journalistin auf Twitter? „Zusammenstehen nach Terroranschlag – isolieren wegen Lockdown. Es ist alles zu viel.“

Schöne Momente in alldem? Gab es auch. Zwei austrotürkische Jungs stürmten in Todesverachtung im Kugelhagel in die Gefahrenzone, um einen schwer verletzten angeschossenen Polizisten zu bergen. Ein Passant rief dem Attentäter im breitesten Wienerisch nach: „Oaschloch“ oder „Schleich di, du Oaschloch“ („Hau ab, du Arschloch“). Ganz genau ist das im Video nicht zu hören, wird aber längst – ob völlig akkurat oder nicht – zur Parole des Tages in den sozialen Netzwerken. Viel besser kann man den unverwüstlich-sturen Geist von Wien schwerlich einfangen.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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