Wenn der Bundestag über das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite – kurz: Bevölkerungsschutzgesetz – abstimmt, ändert er mehrere Einzelgesetze: neben dem Arzneimittel- und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz auch das Infektionsschutzgesetz. Es regelt, wie der Staat Grundrechte im Falle einer Epidemie einschränken darf. Weil die bisherige Fassung sich als zu unkonkret erwies, hat der Bundestag sie überarbeitet.    

Was sieht das Infektionsschutzgesetz vor?

Das Infektionsschutzgesetz war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach verändert worden. Unter anderem wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen und wieder aufheben kann. Wird eine solche Lage festgestellt, was der Bundestag im Frühjahr getan hat, bekommt das Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Normalerweise ist bei Verordnungen der Regierung ein Ja der Länderkammer notwendig.

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Was wurde zuletzt noch geändert?

Beim Erlassen ihrer Corona-Schutzverordnungen stützten sich die Bundesländer bisher auf allgemeine Klauseln des Bundesinfektionsschutzgesetzes, das eine solche Pandemie aber nicht vorsah. Die Rede ist in Paragraf 28 von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, von Veranstaltungen und Versammlungen, "soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist". Mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes werden nun Details geregelt: Unter anderem soll ein neuer Paragraf 28a ins Gesetz eingefügt werden (PDF S. 23), der in 17 Ziffern konkret auflistet, welche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und zuständigen Behörden in Form von Verordnungen gegen das Coronavirus erlassen werden können. Das sind etwa Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum oder auch Beschränkungen oder Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen – also Vorgaben, die in der Corona-Pandemie auch bereits gemacht wurden. 

Festgelegt wird auch, dass Schutzmaßnahmen "nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen" dürfen. "Ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben."  Soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit seien einzubeziehen und zu berücksichtigen. Allerdings wird hier eingeschränkt: "Soweit dies mit dem Ziel einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vereinbar ist." (PDF S. 28)

Vorgeschrieben ist künftig eine Pflicht zur öffentlichen Begründung dieser Einschränkungen. Und eine Pflicht, die Verordnungen grundsätzlich auf vier Wochen zu befristen. Ihre Dauer soll aber zu verlängern sein. Dafür müssen die Regierungen erneut begründen, warum sie verlängern wollen. Eine erneute Entscheidung der Parlamente ist nicht vorgesehen. 

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Was ist die zentrale Kritik?

Zentrale Herausforderung ist, dass die im Infektionsschutzgesetz festgeschriebenen Leitplanken für Grundrechtseinschränkungen einerseits so konkret sein müssen, dass die Regierungen nicht machen können, was sie wollen. Aber andererseits so allgemein, dass die Regierungen noch auf unerwartete Probleme und neue Erkenntnisse über die Epidemie reagieren können. Das neue Gesetz versucht, da eine Balance zu schaffen. 

Kritik gibt es am Tempo des Gesetzgebungsprozesses – zwischen erster und zweiter Lesung lagen nur wenige Wochen. Weiterhin an dem Umstand, dass die Regierungen ihre Verordnungen selbstständig verlängern können, wenn sie es begründen – was sie auch bisher ja schon taten. Opposition, Wirtschaftsverbände und Juristen fordern mehr Mitsprache der Parlamente. Die AfD etwa will, dass dem Parlament alle Verordnungen "zur Zustimmung zuzuleiten sind", und verlangte einen Untersuchungsausschuss. AfD-Politiker sprechen von einem "Ermächtigungsgesetz" – ein aus Sicht von Kritikern "infamer Vergleich" mit der NS-Zeit. Oft wird auch fälschlicherweise suggeriert, der Staat plane eine Impfpflicht gegen das Coronavirus.

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Was entscheidet das Parlament mit, was nicht?

Der Bundestag kann in einer aufkommenden Epidemie entscheiden, ob er eine sogenannte epidemiologische Lage von nationaler Tragweite feststellt. Dann können dann die Regierungen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes vorher zwischen den Ministerien diskutierte Verordnungen zum Schutz vor einer Epidemie erlassen. Den Rahmen bilden die im Infektionsschutzgesetz festgelegten Maßnahmen. Die Verordnungen müssen befristet sein, die Regierungen können sie ohne Parlamentsbeteiligung verlängern, das müssen sie dann aber begründen.      

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Auf welcher Rechtsgrundlage werden Verordnungen beschlossen?

Die Verordnungen sind rein behördliche Entscheidungen, Verwaltungshandeln. Die Regierungen erlassen sie nach Beratung der Ministerien auf Basis von Gesetzen wie dem Infektionsschutzgesetz. Sie beziehen den Rat von Fachleuten ein, etwa von Virologen oder bundeseigenen Institute wie dem Robert Koch-Institut. Sie können diese Verordnungen abändern oder mit einem Ablaufdatum versehen.   

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Ist man dem schutzlos ausgeliefert?

Nein. Jeder Betroffene kann vor ein Verwaltungsgericht ziehen und gegen die Verordnung klagen. Das prüft, ob die beklagten Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Viele Klägerinnen und Kläger waren bereits erfolgreich, so wurde in Berlin die Sperrstunde gekippt. Das in den Bundesländern im Sommer erlassene Beherbergungsverbot erwies sich als juristischer Fehlschlag – es hatte nirgends Bestand. Andere Klagen wurden aber auch abgewiesen oder blieben erfolglos, etwa gegen die Testpflicht für Reiserückkehrer oder die Quarantäne bei Einreise. Die erfolgreichen Klagen waren auch mit der Anlass dafür, das Infektionsschutzgesetz konkreter zu formulieren.

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Welche Grundrechte können eingeschränkt werden?

Mit Ausnahme der Menschenwürde gelten Grundrechte nie schrankenlos. Sie werden eingeschränkt durch das Grundgesetz selbst oder durch Gesetze und daraus folgende Verordnungen. So kann ein Grundrecht eingeschränkt sein, um dadurch einem anderen Grundrecht zur Geltung zu verhelfen. Ein Beispiel ist das Demonstrationsrecht – es wird fast immer eingeschränkt durch Auflagen oder auch ein Verbot im Interesse der öffentlichen Sicherheit und damit anderer Menschen, also auch wenn Ansteckungsgefahr besteht. Mit den Geschwindigkeitsbeschränkungen im durch die Straßenverkehrsordnung geregelten Straßenverkehr ist es ähnlich. Das Zusammenleben ist geprägt von Grundrechtseinschränkungen. 

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