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Nordrhein-Westfalen Verfassungsschutz

Politische, extreme oder rechte Islamisten – wie soll man sie bloß nennen?

Seit Jahren ringen Verfassungsschützer und Wissenschaftler um die angemessene Terminologie für extremistische Muslime Seit Jahren ringen Verfassungsschützer und Wissenschaftler um die angemessene Terminologie für extremistische Muslime
Seit Jahren ringen Verfassungsschützer und Wissenschaftler um die angemessene Terminologie für extremistische Muslime
Quelle: picture alliance/dpa
Über die richtige Bezeichnung für radikale Muslime wird viel gestritten. Vor allem der Verfassungsschutz in NRW wird für seine Wortwahl oft kritisiert. Burkhard Freier, Leiter der Behörde, erläutert seine Sicht

Islamisten, politischer Islam oder islamistische Rechte: Es ist schwierig, extremistische Muslime korrekt zu betiteln. Seit Jahren ringen organisierte Gläubige, Verfassungsschützer und Wissenschaftler um die angemessene Terminologie – gerade wieder nach den jüngsten Anschlägen in Österreich, Frankreich und Deutschland. In diesen Debatten mischt fast immer auch der Verfassungsschutz in NRW mit.

Dies liegt nicht nur daran, dass er die größte Landesbehörde seiner Art ist, sondern vor allem daran, dass sich die Deutschlandzentralen fast aller wichtigen Muslimverbände in NRW befinden. Deshalb haben die Ansichten von Burkhard Freier, dem Leiter des NRW-Verfassungsschutzes, bundesweit Gewicht – wenn es darum geht, radikalislamische Phänomene sachlich zu beschreiben. Obwohl diese Sachlichkeit dafür sorgt, dass Freier immer wieder mit Akteuren der unterschiedlichsten politischen Richtungen über Kreuz liegt. Im Gespräch mit WELT AM SONNTAG erklärt Freier seine Sicht auf fünf aktuelle Streitbegriffe.

Islamistische Rechte

Seit Kurzem charakterisieren vor allem Vertreter der demokratischen Linken islamistische Strömungen und Terroristen als „rechts“. Die Sozialdemokratin Lale Akgün begründet dies damit, dass man so mehr Menschen gegen den Islamismus mobilisieren könne, zudem hätten Islamisten und Rechtsextreme in der Tat viel gemein – von der Demokratieverachtung über den Hass gegen Homosexuelle bis zur Unterdrückung von Frauen. Doch da geht Burkhard Freier nicht mit. Er hält die Rede vom rechtsradikalen Islamismus für zu unpräzise. Sie verwische Unterschiede und erschwere Aufklärung. Natürlich sehe auch er zahlreiche Gemeinsamkeiten der verschiedenen Extremisten, sagt er. Deshalb würden sie ja dem Oberbegriff Extremismus zugeordnet. Rechte und islamistische Extremisten seien „zum Beispiel dogmatisch und antipluralistisch, sie wähnen sich im Besitz exklusiver Wahrheit und sie sind radikal auf Feindbilder fixiert“. Das gelte aber in gleicher Weise für Linksextremisten. „Dann könnten wir aber mit dem gleichen Recht auch von einem ‚rechten Linksextremismus‘ sprechen. Ergäbe das Sinn?“, fragt Freier.

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Politischer Islam

Der Begriff bezeichnet Muslime, die – friedlich oder kriegerisch – für eine politische Ordnung kämpfen, die mit der Verfassung kollidiert. Er hat in jüngerer Zeit enorm an Akzeptanz gewonnen. Forscher wie die Ethnologin Susanne Schröter oder Politiker wie der Christdemokrat Carsten Linnemann haben ihm ganze Bücher gewidmet. Und in Österreich wurde gar eine staatliche „Dokumentationsstelle politischer Islam“ gegründet. Doch Freier lehnt es ab, muslimische Verfassungsfeinde unter dem Begriff politischer Islam einzuordnen. Wofür ihm auch von verfassungstreuen Muslimen und vielen Experten applaudiert wird. Etwa schon vor längerer Zeit von der Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Oder von der moderat-konservativen Alhambra-Gesellschaft aus Köln. Bei einer Onlinekonferenz der Gesellschaft zum politischen Islam warnten deren Teilnehmer, wenn politisch gefährliche Aktivitäten bei Muslimen gänzlich undifferenziert als politischer Islam bezeichnet würden, drohe eine unfaire Gleichsetzung: Politisches Engagement werde damit automatisch zu politisch gefährlichem Engagement – und zwar einzig bei Muslimen. Das nimmt Freier ähnlich wahr: „Wenn eine Religionsgemeinschaft politisch agiert, ist das selbstverständlich kein Grund, sie als extremistisch einzustufen. Natürlich dürfen Muslime sich politisch genau so engagieren wie alle anderen Gläubigen auch“, sagt Freier. „Die Bezeichnung politischer Islam für verfassungsfeindliche Muslime“ sei „zu unpräzise und unklar, als dass der Verfassungsschutz sie verwenden könnte“.

Islamismus

Noch verbreiteter als der Begriff politischer Islam ist der des Islamismus. Er bezeichnet Extremismus, der sich auf den Islam beruft und mit Verfassungswerten kollidiert. Ihm werden sehr unterschiedliche Phänomene und Personen zugeordnet – vom türkischen Präsidenten Erdogan bis hin zu den Terroristen, die jüngst in Wien, Nizza und Dresden Andersgläubige getötet haben. Mittlerweile ist dieser Terminus anerkannt – von manchen aber nur zähneknirschend. Insbesondere Vertreter der vier größeren Muslimverbände im Koordinierungsrat der Muslime (KRM) forderten über Jahre, stattdessen von muslimischem oder religiösem Extremismus zu sprechen. Es könnten zwar Muslime in die Irre gehen, nicht aber der Islam. Zudem sei es für Muslime schmerzhaft, wenn der Name ihrer Religion öffentlich mit Gewalt in Verbindung gebracht werde. Es diene daher der Integration, auf den Begriff Islamismus zu verzichten.

Die Argumentation stieß in manchen Medien und bei manchen Grünen-Politikern auf Verständnis. Doch Freier wehrte sich stets dagegen. „Wenn Extremisten sich auf Koran und Sunna beziehen, also auf die maßgeblichen Quellen des Islams, dann ist es sachgemäß, dies in der Bezeichnung solcher Gruppen wiederzugeben“, sagt er. Zudem stecke im Begriff Islamismus eine unterschätzte Pointe: „Wenn die nicht verfassungstreue Variante des Islams als Islamismus bezeichnet wird, impliziert dies, dass es eine verfassungstreue Form des Islams gibt.“ In anderen Worten: Der Verfassungsschutz macht sich zum Gewährsmann potenzieller Verfassungstreue des Islams. Gedankt haben ihm das die Muslimverbände nicht.

Legalistischer Islamismus

Fast eine Eigenkreation des NRW-Verfassungsschutzes war der Begriff des legalistischen Islamismus. Damit bezeichnen Freier und seine Mitstreiter eine Form des Islamismus, die scheinbar die Spielregeln der Rechtsordnung einhält, aber nur, um diese Ordnung abzuschaffen. „Wir gehen davon aus, dass der legalistische Islamismus langfristig gefährlicher ist als der gewaltbereite Extremismus“, warnt Freier. Nicht nur Islamisten wie die Gruppe „Hizb ut-Tahrir“ empörten sich, mit dieser Warnung kriminalisiere Freier diejenigen Muslime, die sich für die Rechtstreue entschieden hätten. Auch aus Teilen der Medien wurde Freier kritisiert, man dürfe Muslime nicht dafür bestrafen, dass sie sich für den friedlichen Weg der Gesellschaftsumwandlung entschieden. Für Freier verkennt solche Kritik das Problem: „Gruppen wie die Muslimbrüder lehnen Teile unserer Verfassungswerte ab. Sie begehen zwar keine Straftaten und gründen ihre Vereine nach deutschem Vereinsrecht – aber nur, um Einfluss zu gewinnen und die Verfassung langfristig auszuhebeln.“ Davor zu warnen, sei die Pflicht des Verfassungsschutzes, das sei wehrhafte Demokratie.

Dschihadismus, extremistisch – friedlich

Salafisten sind extrem reaktionäre Muslime, die den Wortlaut des Korans und der Prophetenworte ohne jegliche Auslegung zu befolgen versuchen. Vom Verfassungsschutz werden sie als extremistisch-politisch oder, wenn sie Gewalt fördern, als dschihadistisch charakterisiert. Eine Bezeichnung, die in Publikationen des NRW-Verfassungsschutzes indes nicht vorkommt, ist die des friedlichen Salafisten. Letztere sind ebenfalls reaktionär und stehen Teilen der Verfassung feindlich gegenüber. Aber auf Gewalt verzichten sie. Laut Freier sind sogar die „allermeisten Salafisten hierzulande“ gewaltablehnend. In den Niederlanden wurden solche gewaltablehnenden Salafisten als Anti-Terror-Instrument eingesetzt, um kriegerische Glaubensbrüder vom Dschihadismus abzubringen. Auch hierzulande forderten Arabisten wie Claudia Dantschke solche Modelle. Doch davon will Freier nichts wissen. „Wir wollen Muslime, die in den gewaltbereiten Extremismus abdriften, für einen Islam gewinnen, der in einer modernen westlichen Demokratie gut zurechtkommt“, sagt Freier. „Das können selbst nicht gewaltorientierte Salafisten nicht leisten, auch die haben ein reaktionäres Weltbild.“ Für den Verfassungsschutz ist der Einäugige unter den Verfassungsfeinden noch lange nicht König.

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