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Trumps Traum vom Staatsstreich

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Das Tonband eines Telefongesprächs von Donald Trump mit dem republikanischen Innenminister von Georgia zeigt, in welchem Ausmaß der amtierende US-Präsident das geltende Recht und Gesetz verachtet.
Das Tonband eines Telefongesprächs von Donald Trump mit dem republikanischen Innenminister von Georgia zeigt, in welchem Ausmaß der amtierende US-Präsident das geltende Recht und Gesetz verachtet. © MANDEL NGAN / AFP

Der Mitschnitt eines Telefongesprächs offenbart, in welchem Ausmaß der noch amtierende Präsident der USA Recht und Gesetz verachtet.

Mal spricht er wie ein gewissenloser Mafiaboss, mal wie ein wahnhaft Getriebener mit Realitätsverlust. „Es kann nicht sein, dass ich Georgia verloren habe“, beharrt Donald Trump. Seinen Gesprächspartner will er ernsthaft nötigen, das Wahlergebnis abzuändern und ihn zum Sieger zu erklären: „Alles, was ich will, sind 11 780 Stimmen.“ Er schmeichelt, er lügt, er beleidigt und er droht: „Das ist ein großes Risiko für dich“, warnt er den Parteifreund. Das hätte Al Capone kaum anders formuliert.

Das Tonband des Telefongesprächs von Donald Trump mit Brad Raffensperger, dem republikanischen Innenminister von Georgia, ist ein Dokument der Zeitgeschichte. Es offenbart, in welchem Ausmaß der amtierende US-Präsident das geltende Recht und Gesetz verachtet, ein zynisches Verhältnis zur Wahrheit pflegt und autokratisches Denken teilt. Das ist alarmierend. Wirklich überraschend ist es nicht. Genauso hat Trump seine krummen Geschäfte als Immobilienmogul betrieben. Und so hat er übrigens den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu erpressen versucht.

Trumps moralische Verkommenheit ist keine Neuigkeit. Schockierend ist, in welchem Ausmaß dieser Mann in den vergangenen vier Jahren das Wertegerüst eines ganzen Landes beschädigt, Millionen Menschen aufgewiegelt und seine Partei zersetzt hat. Das Georgia-Tonband sei „schlimmer als Watergate“, hat Carl Bernstein, einer der Enthüller des damaligen Skandals, gesagt. Das gilt vor allem in einer Hinsicht: Nach dem legendären Lauschangriff nötigten die Republikaner im Sommer 1974 ihren Präsidenten Richard Nixon zum Rücktritt. Vier Jahrzehnte später machen sich führende Vertreter der „Grand Old Party“ wie der texanische Senator Ted Cruz aktiv zu Komplizen in einem Coup-Versuch.

Nichts anderes steht dem Land nämlich bevor, wenn am Mittwoch der Kongress zusammenkommt, um in einer eigentlich rein zeremoniellen Sitzung die Wahlergebnisse der Bundesstaaten in Empfang zu nehmen. Im ganzen Land sind die Stimmen oft mehrmals ausgezählt und überparteilich von den Gouverneurinnen und Gouverneuren bestätigt worden. Signifikante Unstimmigkeiten hat es nach Aussagen der Verantwortlichen, des FBI und des ausgeschiedenem Justizministers Bill Barr nicht gegeben. Mehr als 60 Gerichte haben sämtliche Klagen des Trump-Lagers zurückgewiesen. Es gibt keinen begründeten Zweifel: Joe Biden hat die Wahl mit 306 der 538 Wahlleute-Stimmen gewonnen.

Dennoch inszenieren 140 Abgeordnete und zwölf Mitglieder des Senats nun einen Aufstand, wie es ihn seit dem amerikanischen Bürgerkrieg nicht mehr gegeben hat. Auf der Basis von widerlegten Gerüchten, manipulierten Videos und rechten Konspirationserzählungen wollen sie Einspruch gegen die Ergebnisse einlegen. Das Ziel ist immer das Gleiche: Ein Teil der legalen Stimmen soll willkürlich nicht gewertet werden, damit Trump eine zweite Amtszeit erhält.

Das klingt irrwitzig und ist es auch. Trotzdem haben sich bislang nur wenige republikanische Senatorinnen und Senatoren von dem Anschlag auf den Grundpfeiler der Demokratie distanziert. Im Gegenteil: Sie schmeicheln ihrem durchgeknallten König im Weißen Haus, um bloß nicht bei dessen Anhängerschaft in Ungnade zu fallen. Mit seinem angstgetriebenen Populismus, seiner wütenden Rhetorik und seiner narzisstischen Illusionskunst hat es Trump nämlich geschafft, Millionen in seinen Bann zu ziehen. Seit Wochen hetzt er diese Menschen mit immer düsteren Verschwörungslegenden über angeblichen Wahlbetrug auf. „Das ist ein historischer Tag“, lädt er nun für Mittwoch zu einem Großprotest nach Washington. Auch militante Schlägertrupps haben ihr Kommen angekündigt. Während drinnen das Parlament berät, dürfte es draußen Krawalle oder Schlimmeres geben.

Das alles wird zwar am Ergebnis nichts ändern: Am Ende wird der versuchte Staatsstreich an der demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus scheitern. Aber nach dieser Schmierenkomödie ist in den USA nichts mehr, wie es war: Ein Tabu ist gebrochen. Der Geist eines skrupellosen Machtmissbrauchs ist aus der Flasche. Die Republikaner sind endgültig zur Trump-Sekte verkommen und werden den neuen Präsidenten Joe Biden mit allen Mitteln bekämpfen.

Die Diktatoren in aller Welt aber können sich ins Fäustchen lachen: Die ritualisierten Aufrufe zu freien und fairen Wahlen kann sich die einstmals stolzeste Demokratie der Welt künftig sparen.

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