Das diffuse Unbehagen mit Religion in Unternehmen reformuliert

Analyse

Mehr als religiöse Feiertage: Das tägliche Zusammenkommen im Unternehmen hat große Potenziale, Vorurteile abzubauen und zur Wertschätzung religiös-weltanschaulicher Diversität beizutragen. Wie das gelingen kann? Maryam Laura Moazedi hat ein paar Ideen.

leeres Besprechungszimmer

Eine aktive Auseinandersetzung mit Vielfalt in Unternehmen erfährt verschiedene Lesarten, die von einem eher mild inspirierten, paragraphenorientierten Antidiskriminierungsansatz über eine oberflächliche Imagepolitur, ein missverstandenes Das-macht-man-jetzt-so bis hin zur Schaffung von Lernmöglichkeiten, Optimierung betriebswirtschaftlicher Ziele und der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung reichen. Unter der insgesamt überschaubaren Anzahl an Unternehmen, die sich überhaupt mit Diversität beschäftigen, wird der Religion wiederum attestiert, jene Dimension zu sein, die in Deutschland in den letzten Jahrzehnten chronisch an letzter Stelle rangiert.

Vom Paragraphen zum Balanceakt

Religion im Kontext Arbeit bedeutet eine zeitversetzte Reaktion auf den demografischen Wandel, einen Zugang, der zuweilen halbherzig, irgendwie ängstlich, oft hilflos und wenig spielerisch-kreativ wirkt. Die Scheu ist nachvollziehbar, spiegelt sie doch die allgemeine gesellschaftliche Haltung wider, zu der eine nicht zu unterschätzende Komplexität hinzukommt, die Lösungen weniger in Rezepten, mehr in Balanceakten suchen lässt.

So zeichnet sich, wie Informationen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu entnehmen ist, das Bild einer Dimension, die bestenfalls verwaltet wird, der man mit der Klärung von Schicht- und Urlaubsplanung im Zusammenhang mit religiösen Festen und Feiertagen, von Gebetspausen und Kleidungsvorschriften gerecht werden will, oft mit dem Bei- oder Nachgeschmack von Konflikten und gerne auf den Islam zentriert. Es geht um Pflichten der einen Seite, Rechte der anderen, die Verbindung ist nicht die Vision, sondern das Problem.

Das Problem ist auch, laut dem Deutschen Institut für Menschenrechte, ein integrativer Bestandteil des Islambildes in der Gesellschaft, das, je nach politischer Couleur von rechts über konservativ bis links, mit variierenden Motiven negativ besetzt ist: demografische Krisenszenarien, Ängste um die Wahrung der gesellschaftlichen Identität, Sorgen um die Gefährdung der modernen Liberalität. Medien und Politik tun das ihrige, Klischees aufzuwärmen und Debatten anzuheizen. Insbesondere vor dem Hintergrund der derzeitigen Verdünnung des Christentums wirkt ein alltagsgegenwärtiger Islam mit vermeintlich rund um die Uhr praktizierenden Gläubigen irritierend, wenngleich nicht überall gleichermaßen.

So zeigt sich Umfragen zufolge in den westlichen Bundesländern eine verhältnismäßig positivere Einstellung als in den östlichen. Regionale Unterschiede werden mit der Kontakthäufigkeit in einen kausalen Zusammenhang gebracht, will heißen: Je mehr Begegnung, desto weniger Vorbehalte – eine Formel, die der Kernaussage der Intergruppen-Kontakttheorie des US-amerikanischen Psychologen Gordon Allports entspricht.

Die Theorie ist nicht ganz unumstritten, Kontakt ist kein magisches Allheilmittel und es gibt eine Reihe von Wenn und Aber. Wir werden erfinderisch, wenn es darum geht, unsere Vorurteile vor relativierenden Fakten zu schützen. Entspricht beispielsweise jemand nicht unseren stereotypen Erwartungen, trösten wir uns damit, dass Frau Jemand sicher eine Ausnahme ist und bilden für sie ad hoc eine Unterkategorie. So bleibt das Vorurteil unversehrt, das Weltbild unverrückt und wir unbelehrbar – nur eines von vielen Beispielen dafür, dass Kontakt nicht unbedingt und nicht linear aufgeklärte Menschen aus uns macht.

Dennoch, eine Vielzahl von Studien und eine groß angelegte Metaanalyse sprechen dafür, dass er grosso modo vorurteilsreduzierend wirkt, vor allem, wenn Rahmenbedingungen konstant gehalten werden: Begegnung auf gleicher Augenhöhe, gemeinsame Ziele, Unterstützung von Institutionen, Intergruppenkooperation statt Wettbewerb. Dies alles sind Situationen, für deren Lenkung der Arbeitsplatz als Ort der Begegnung prädestiniert ist. 

Nicht nur vermögen Betriebe situative Bedingungen zum Abbau von Vorurteilen zu schaffen, auch Unternehmenskultur an sich ist kein Zufallsprodukt, sondern wird von betrieblichen Akteur*innen gesteuert. Eine Analyse von Betriebsvereinbarungen kommt zur Conclusio, dass Unternehmen großes Interesse an einem wertschätzenden Miteinander zeigen und durchaus Aspekte von Diversität und Chancengleichheit aufgreifen, allerdings ist eine gewisse Ohnmacht in der Implementierung dieses Wunsches zu orten.

Sie kopieren Passagen, übernehmen diese von anderen; der gelungene Transfer will aber auch die neue Umgebung berücksichtigen. In diesem Detail mag ein Gutteil der Problematik liegen, etwas nicht ganz Festzumachendes, das in einem verdichteten Mangel an Ideen, Flexibilität, Mut, Ausdauer, Feingefühl und Wissen um Wirkungen zu vermuten ist. Hehre Gedanken, noble Absichten, an der Umsetzung darf noch gefeilt werden. Und diese ist, zugegeben, anspruchsvoll.  

Von der positiven Religionsfreiheit zur negativen

Empirische Untersuchungen aus anglo-amerikanischen Ländern sprechen für das Fördern eines Betriebsklimas, das alle Religionen willkommen heißt, in dem frei von Angst über die eigene Konfession gesprochen werden kann, religiöse Vielfalt zelebriert wird, und bringen quasi unisono die erhöhte Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen mit wirtschaftlichem Erfolg in einen Zusammenhang. Der Hintergrund, ein vordergründiger: Religiosität kann integrativer Bestandteil eines Menschen sein. Der Druck, diesen Aspekt aus Sorge um Sanktionen jedweder Art zu leugnen, erweist sich als kontraproduktiv für das zwischenmenschliche Miteinander und den Output.

Eine trennscharfe Linie zwischen dem Menschen in Privat- und Arbeitsleben ziehen zu können, ist eine Illusion. Parallel dazu oszilliert Religion zwischen privat und öffentlich, geht niemanden etwas an, fordert Diskretion und will doch berücksichtigt werden - ein Paradoxon, das keines ist, wie der teilweise sehr gelungene betriebliche Umgang mit der Diversitätsdimension Queer exemplarisch zeigt: keinerlei Zwang zum Outing, aber für den selbstgewählten Fall ein engmaschiges Auffangnetz aus Toleranz, Akzeptanz, Empathie und Wertschätzung stricken. Für den Arbeitsalltag ergibt das praktische Konsequenzen; dass die Kantine einen nicht zwischen Schweinsbraten und Schweinskotelett zu wählen zwingt, ist eines von vielen sympathischen Symptomen.

Die Ford Motor Company bietet ihrer Belegschaft die Möglichkeit, Initiative zu zeigen und ihre Heterogenität selbstorganisiert, komplementär zum Top-Down-Prozess, auszuleben. So gründeten Mitarbeiter*innen vor knapp zwanzig Jahren ein vom Betrieb offiziell anerkanntes interreligiöses Netzwerk, dessen Mitglieder verschiedenen Religionen oder keiner angehören. Durch die Unterstützung von interreligiösen Events, die Aussendung von Mails, das Besprechen von Essensangeboten und flexiblen Arbeitszeiten ist es ihr deklariertes Ziel, Bewusstsein zu schaffen, Dialog und Toleranz zu fördern. So möchten sie das Unternehmen auf dem Weg begleiten, ein führendes zu werden, wenn es darum geht, religiöse Toleranz, betriebliche Integrität und die Würde des Menschen großzuschreiben, sowie dem Management dabei zu helfen, ein attraktiver Arbeitsplatz für sogenannte High Potentials unterschiedlicher Konfessionen zu werden.

Der Ansatz, beispielhaft und inspirierend, wird sich nicht immer ohne Weiteres – ohne Abstriche, ohne Änderungen – in jeden Landes- und Unternehmenskulturkontext übersetzen lassen. Es ist zu antizipieren, dass die Resonanz eine andere, oder eine verstärkte Lenkung vonnöten sein könnte, da es zum einen für Belegschaften in Mitteleuropa weniger Usus zu sein scheint, sich rund um ein Herzensthema zu gruppieren, insbesondere wenn Herzensthema und Religion das Gleiche sind. Zum anderen dürfte für die Außenperzeption nicht unwesentlich sein, ob die Zusammensetzung tatsächlich interreligiöser Natur oder eher von einer – noch dazu skeptisch betrachteten – Minderheitenreligion dominiert ist.

Natürlich stellt sich überhaupt die Frage, wie sehr Religion betont werden will. Im Fall von Konflikten könnten diese reflexhaft „religionisiert“, Erklärungen auf die Konfession reduziert, Individuen nicht mehr dreidimensional wahrgenommen werden. Mit dem Hervorheben von Unterschieden gehen eine Salienz des „Andersseins“, eine potenzielle Verfestigung kollektiver Zugehörigkeit und eine daraus resultierende Polarisierung einher, aber auch das Zelebrieren von Vielfalt. Diametral dazu steht die Nivellierung von Unterschieden, das gewählte Übersehen mit einer etwaig schleichenden Anpassung an die Mehrheitskultur, aber auch mit dem Augenmerk auf das Individuum frei von Stereotypen.

Die Präferenz für einen der Ansätze hängt von individuellen Markern ab, der Identifikation mit der Eigengruppe, der Zugehörigkeit zur Mehr- oder Minderheit, dem Umfeld, sowie einem Wechselspiel dieser Faktoren, die die Perspektive verrücken. So mag für den einen bedrohlich wirken, was für die andere Akzeptanz seiner Gruppenzugehörigkeit signalisiert. Beide Zugänge sind wirksam, wenngleich unterschiedlich, haben ihre Für und Wider; die Entscheidung muss keine endgültige sein, kreatives Verflechten ist denkbar und ein Monitoring unabdingbar.

Fällt die Wahl auf die Betonung von Heterogenität, so wird auch die inverse Beziehung zwischen positiver und negativer Religionsfreiheit latent wirksam. Positive Religionsfreiheit bedeutet die Freiheit, Religion auszuüben, negative Religionsfreiheit die Freiheit, sich ihr zu entziehen. Eine Akzentverschiebung zu Gunsten der einen geht zu Lasten der anderen. Weihnachtliche Symbole in Büros, beispielsweise, sind mit der negativen Religionsfreiheit theoretisch inkompatibel, da man ihnen ungefragt ausgesetzt wird. Im umgekehrten Fall steht ein Verbot der Dekoration der positiven Religionsfreiheit im Weg.

Eine beiderseits zufriedenstellende Situation wird nicht durch ein penibles Addieren und Subtrahieren, ein gegeneinander Ausspielen der antagonistisch wirkenden, und doch komplementären, Aspekte zu erreichen, nicht mit dem Lineal zu messen sein, denn ein zeilengenaues Verständnis verstellt den Blick auf potenzielle Faktoren im Hintergrund. Zwar gibt es in der Forschung auch Hinweise auf eine negative Auswirkung von Weihnachtsdekoration am Arbeitsplatz auf die Stimmung religiöser Minderheiten.

Die Befunde lassen aber auch die Interpretation zu, dass die Wirkung nicht auf das religiöse Fest per se zurückzuführen ist, sondern auf das Fest der Mehrheit, von der man sich nicht als akzeptierter Teil fühlt. So betrachtet sind nicht religiöse Symbole an sich das Problem, sondern ihre Symbolik von Zugehörigkeit und Ausschluss. 

Negative Religionsfreiheit war das Momentum des 1826 gegründeten University College London, der ersten Universität Englands, die von Anfang an „als Ausdruck laizistischer Emanzipation“ auf eine religiöse Eingangsprüfung verzichtete. Dieser damals radikale Schritt, der zugleich Tore für Andersgläubige öffnete, bedeutete eine Abkehr von einer religiozentrischen Sicht und eine Zurückdrängung der Mehrheitsreligion, die zuerst Nicht-, dann Andersgläubigen zugutekam. Heute engagiert sich die Universität für religiöse Vielfalt (Anti- und Areligiosität inklusive), betont, dass Fairness nicht durch Gleichbehandlung, sondern Berücksichtigung der Unterschiede erreicht wird, stellt – für jene mit und ohne Konfession – einen Raum zur inneren Einkehr zur Verfügung und klärt auf.

Von blinden Bewerbungen, die Augen öffnen

Für das Personalwesen bedeutet ein Weniger an Diskriminierung ein Mehr an Qualifikation. Dass bei der Selektion nicht reflexhaft nach stereotypen Schemata ausgesiebt wird, gilt als Conditio sine qua non. Und dennoch ist die kurzsichtige Praxis weit verbreitet, wie eine Reihe von Studien zeigt. So variiert, bei Konstanthaltung des Qualifikationsprofils, die Reaktion in Abhängigkeit von Geschlecht, Kopftuch (vorhanden vs. nicht vorhanden, traditioneller Hidschab vs. moderne Kopfbedeckung) und Namen: Der Überzufall wählt Lisa, nicht Samira.

Um Automatismen und systematische Benachteiligungen zu reduzieren, sind Betriebe in einer Reihe von Ländern zu anonymisierten Bewerbungsverfahren übergegangen. Sensible Daten wie etwa Name, Herkunft, Religion, Geschlecht und Alter werden nicht erfasst oder unkenntlich gemacht, damit die Chancen steigen, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Im internationalen Vergleich ist die Akzeptanz in deutschen Unternehmen gering: Der Aufwand sei zu groß, der Diskriminierungszeitpunkt werde nur hinausgezögert, Vorurteile würden nicht ausgemerzt. 

Allerdings: Der Aufwand kann je nach Umsetzung sogar reduziert werden und der Aufschub der Diskriminierung auf eine spätere Phase im Bewerbungsprozedere ist nicht vergebens. Denn diese findet größtenteils im ersten Selektionsschritt statt. Selbstredend werden Vorurteile nicht mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch weggezaubert. Es handelt sich hier um einen ersten Schritt, um einen Teil mehreren Maßnahmen, die ineinandergreifen müssen. 

Von einer Art Evolution

Der Umgang mit Religion ist eine Reminiszenz an die Anfänge von Diversity Management, gezeichnet von einer Fokussierung auf Antidiskriminierung, die aus der Bürgerrechtsbewegung entstand. Sie wird assoziiert mit Reibung, Verwaltung, Gesetzen und Angst vor Klagen – aber auch mit viel Hoffnung und einem Neustart, der den Weg ebnet für eine Weiterentwicklung, ob in einer moralisch-ethisch oder wettbewerbsökonomisch eingefärbten Grundorientierung. Noch sind Zugang zu – sofern existent – und Image von Religion am Arbeitsplatz problemzentriert und warten auf eine Neubewertung.

Inklusiv formulierte Jobinserate, eine biassensible Personalselektion (die auf stereotype Versuchungen und das homosoziale Reproduktion begünstigende Bauchgefühl „sympathisch ist, wer mir ähnelt“ verzichtet), Personalentwicklung durch Bewusstseinsarbeit, spezielle Programme, niederschwellige Angebote, durchdachte Team- und Mentoringkonstellationen, eine wertschätzende Unternehmenskultur, die eine konstruktive Kommunikation, aber auch Problem- und Konfliktlösung, sowie Freude und Lernen fördert und klare Regeln des Miteinanders und Grenzziehungen in Betriebsvereinbarungen festhält, sowie das Vorleben von Akzeptanz und Toleranz durch Vorgesetzte, sind einige der vielen Maßnahmen, die kurz- bis langfristig Erfolge zeichnen. 

Mustergültige Good Practices inspirieren, lassen sich aber nicht immer ohne Anpassung an die neue Umgebung einbetten, die spezifischen Konstellationen müssen berücksichtigt werden. Auch die Dosierung will bedacht sein, weil ein zu viel des Guten Abwehrreaktionen hervorrufen kann. Es bieten sich viele Chancen: Arbeit ist von der Biografie, von gesellschaftlicher Integration kaum zu trennen, Vorurteile sind beweglich und ändern sich mit den historischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Umständen.

Es wäre wohl naiv oder vermessen zu behaupten, dass mit diesen Schritten alles Unbehagen sofort und völlig beseitigt wäre, geht es doch vielmehr um einen Prozess, der unseren Wahrnehmungshorizont erweitert, einen Prozess, den wir gestalten, in dem wir dem Vorurteil eine andere Richtung geben.