Seit Beginn der Untersuchungen für den jährlichen Weltbevölkerungsbericht sind nie mehr Frauen und Mädchen von geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Praktiken wie Frühverheiratung bedroht gewesen als in der Corona-Pandemie, heißt es in dem Bericht (PDF), der im Beisein von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in Berlin vorgestellt wurde. Demnach können 45 Prozent der Mädchen und Frauen in Ländern mit mittleren oder niedrigen Einkommen nicht selbst entscheiden, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen wollen.

So hätten unter anderem geschlossene Schulen aufgrund der Pandemie zu einem Anstieg des Risikos für Mädchen geführt, geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu sein, teilte die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) mit, die Herausgeberin der deutschen Kurzfassung des Berichts ist. Hinzu komme das Wegfallen vieler Dienste der sexuellen oder reproduktiven Medizin aufgrund der Lockdown-Bestimmungen.

Unter dem Titel Mein Körper gehört mir: Das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung einfordern befasst sich der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) in diesem Jahr vor allem mit der körperlichen Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen.

Weibliche Genitalverstümmelung teils um 20 Prozent angestiegen

Einen dramatischen Anstieg verzeichneten die Autorinnen und Autoren des Berichts auch in der weiblichen Genitalverstümmelung: Demnach hat diese Praxis etwa im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab seit Beginn der Pandemie um 20 Prozent zugenommen, in Somalia um rund 31 Prozent. Insgesamt könnte es nach Schätzungen des UNFPA im Zuge der Pandemie zu bis zu zwei Millionen zusätzlichen Fällen von weiblicher Genitalverstümmelung kommen. Die Erfolge im Kampf gegen Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen könnten demnach bis 2030 um ein Drittel zurückgeworfen werden.

"Die Tatsache, dass fast die Hälfte der Frauen immer noch nicht selbst entscheiden kann, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen will oder nicht, muss uns alle empören", sagte UNFPA-Exekutivdirektorin Natalia Kanem. Das Leben Hunderter Millionen Frauen und Mädchen werde fremdbestimmt, sagte sie.

Politische Förderung führt dauerhaft zu mehr Selbstbestimmung

Einen engen Zusammenhang sehen die Autorinnen zwischen sexueller Selbstbestimmung und dem Bildungsniveau. Frauen, die weniger gebildet sind als ihr Ehemann oder Partner, erleben demnach häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen, deren Bildungsniveau in etwa dem ihres Ehepartners entspricht.

Von den 22 untersuchten Ländern zeichnen sich nur in Uganda und Ruanda konstant positive Trends ab beim Anteil der Frauen, die autonome Entscheidungen in allen drei Dimensionen (Selbstbestimmung über Sex, Verhütung und Krankenversorgung) treffen. Demnach hatte Uganda mit 12,3 Prozent den größten Fortschritt. Das liegt unter anderem daran, dass Mütter und ihre Kinder unter fünf Jahren von den Gebühren für Gesundheitsdienstleistungen befreit sind.