Islamismus

Islamismus und Drogen: 
Das ambivalente Verhältnis zwischen
Verbot und Nutzbarmachung

Islamische Rechtsgelehrte lehnen Drogenkonsum und -handel ab. Die Hinrichtungszahlen wegen Drogendelikten in Saudi-Arabien und Iran zeigen, dass Islamisten in dieser Frage noch kompromissloser sind. Allerdings ist im jihadistischen Islamismus bei genauerer Betrachtung ein ambivalentes Verhältnis zu Betäubungsmitteln zu beobachten: Wenn es sich mit Drogen Finanzmittel generieren oder Vorteile im Kampf verschaffen lassen, interpretieren Jihadisten die islamischen Quellentexte im Sinne ihres Interesses. 

In den islamischen Quellen geht es an verschiedenen Textstellen um Alkoholkonsum und -handel. So heißt es zum Beispiel in Sure 2/219: „Man fragt dich nach dem Wein (khamr) und dem Losspiel. Sag: In ihnen liegt eine schwere Sünde. Und dabei sind sie für die Menschen (auch manchmal) von Nutzen. Die Sünde, die in ihnen liegt, ist aber größer als ihr Nutzen. Und man fragt dich, was man spenden soll. Sag: Den Überschuss (von dem, was ihr besitzt)! So macht Gott euch die Verse klar. Vielleicht würdet ihr nachdenken.“ Dabei waren der Konsum von Alkohol und der Handel mit diesem Rauschmittel in den ersten Jahren der islamischen Mission noch verbreitet. 

Das absolute Alkoholverbot, das die meisten islamischen Rechtsgelehrten als gegeben voraussetzen, ist Ergebnis einer Entwicklung, deren Auswirkungen bis heute in der islamischen Welt spürbar sind. Schariarechtlich wird ein Verstoß gegen dieses Verbot als Hadd-Vergehen geahndet: Damit sind Taten gemeint, die nicht menschliches Recht, sondern das Recht Gottes verletzen und die öffentliche Sicherheit und Moral gefährden würden. Solche Delikte verlangen in diesem System nach einer bestimmten Strafe, die nicht durch eine außergerichtliche Einigung ersetzt werden darf. Viele Traditionalisten sehen Peitschenhiebe als legitime Strafe für Alkoholkonsum an. 

Zu anderen berauschenden Substanzen finden sich in den religiösen Quellentexten keine expliziten Aussagen; islamische Rechtsgelehrte vergleichen zeitgenössische Drogen jedoch in der Regel mit Alkohol. Der Umgang mit Vergehen gegen das Alkohol- und Drogenverbot variiert stark. In vielen islamisch geprägten Ländern ist ein äußerst restriktives Vorgehen zu beobachten, mitunter können bestimmte Drogendelikte die Todesstrafe zur Folge haben. Die meisten Hinrichtungen in diesem Zusammenhang finden in Saudi-Arabien und Iran statt. In diesen beiden Ländern ist der Islamismus staatlich manifestiert. Islamisten, unabhängig ob aus dem sunnitischen oder schiitischen Spektrum, scheinen im Umgang mit Drogendelikten also besonders entschieden und rigoros zu sein. 

Betäubungsmittel jedweder Art gelten ihnen als haram, also als verboten. Als Begründung führen sie häufig zwei Aspekte an. Zum einen betonen sie, dass Drogen den Geist vernebeln. Argumentativ stützen sie sich zum Beispiel auf ein Hadith, das den Propheten wie folgt zitiert: „Alles Berauschende ist khamr, und alles Berauschende ist verboten (haram), und wer khamr im Diesseits (dunya) trinkt und stirbt, wobei er sich diesem hingibt und keine tauba (Reue) zeigt, so wird er diesen im Jenseits (akhirah) nicht zu Trinken bekommen.“ Zum anderen gehen sie auf den Schaden ein, der von Betäubungsmitteln ausgeht: Drogen würden nicht nur die Person schädigen, die sie konsumiere, sondern auch deren Familie und die gesamte Gesellschaft. Auch hier stützen sich die Islamisten auf ein Hadith des Propheten: „Keinen Schaden (zufügen) und keine (gegenseitige) Schädigung!“ 

Bei genauerer Betrachtung lässt sich aber feststellen, dass das islamistische Verhältnis zu Betäubungsmitteln nicht so eindeutig ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Offensichtlich ist dies zum Beispiel in Saudi-Arabien, einem Land, in dem für Drogenhandel die Todesstrafe verhängt werden kann. Dies scheint die saudische Bevölkerung jedoch nicht vom Konsum berauschender Mittel abzuhalten; die Zahl der Drogenabhängigen hat in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen. Der Staat hat seine Drogenpolitik diesen Entwicklungen angepasst und Therapiemöglichkeiten neben Strafverfolgung als Baustein zur Prävention etabliert. So gibt es inzwischen mehrere Suchtkliniken. 

Besonders ambivalent erscheint das Verhältnis zu Drogen jedoch im Bereich des jihadistischen Islamismus. Hier zeigen sich drei Spannungsfelder: Reue und Reinwaschung im Radikalisierungsprozess, Finanzmittelgenerierung sowie Doping zu Kriegszwecken. 

Reue und Reinwaschung: Drogen im Prozess der Radikalisierung 

Die Aufarbeitung der Radikalisierungsverläufe von Salafisten offenbart nicht selten eine Drogenvergangenheit. Das betrifft in der Regel Männer, aber auch bei Frauen spielen Drogen in der Phase der Präradikalisierung zuweilen eine Rolle. Sowohl der Drogenkonsum als auch die Hinwendung zu einer extremistischen Ideologie fungieren in diesen Fällen als Problemlösungsstrategie: Beides soll negative Gefühle wie Unzufriedenheit, Unsicherheit oder Isolierung beseitigen. Folgt die salafistische Radikalisierung auf eine Drogenvergangenheit, bietet die Ideologie den Betreffenden zudem die Möglichkeit, sich von ihrem früheren sündhaften Leben zu befreien. Zentral ist dafür vor allem das Konzept der tauba (Reue), das es erlaubt, sich innerlich zu reinigen und neu anzufangen. Damit wird vermittelt, dass fortan nur noch die taqwa (Gottesnähe) zählt: Ein Gläubiger, so die Botschaft, unterscheidet sich nur durch seine Gottesnähe von einem anderen Gläubigen, nicht aber durch seine Vergangenheit. 

Allerdings schaffen es nicht alle Personen, die sich der salafistischen Ideologie zuwenden, im Verlauf ihres Radikalisierungsprozesses gänzlich von Betäubungsmitteln Abstand zu nehmen. Angesichts der Tatsache, dass es sich um Menschen mit in der Regel instabilen Persönlichkeitsstrukturen handelt, verwundert das nicht. Diese Personen scheitern an der Synchronisation von Theorie und Praxis: Sie wissen, dass Drogen haram sind, können dieses Verbot auf persönlicher Ebene allerdings nicht umsetzen. 
Ähnliches gilt im Übrigen für andere salafistische Verbote, zum Beispiel die zina (außerehelichen Geschlechtsverkehr). Salafisten beschränken dieses Verbot nicht nur auf den bloßen Geschlechtsakt, sondern auf alles, was dahin führen könne, zum Beispiel den Handschlag zwischen Mann und Frau. In diesem Rahmen lehnen sie auch Pornokonsum ab. Bei der Auswertung von Datenträgern, die bei Exekutivmaßnahmen gegen jihadistische Salafisten vorgefunden werden, ist jedoch zuweilen ersichtlich, dass die Männer sich neben dem Jihad auch mit pornografischen Fotos und Videos beschäftigt haben. Es gibt also Salafisten, die immer wieder „in die Sünde fallen“ – und jeden Tag mit tauba einen Neubeginn starten. 

In Baden-Württemberg lief 2019 ein Verfahren am Amtsgericht Waiblingen gegen eine Gruppe von jungen Männern wegen Drogenhandels und -besitzes. Zum Verfahren kam es, weil der polizeiliche Staatsschutz gegen einen der Angeklagten eine Telekommunikationsüberwachung durchgeführt hatte: Dieser wies Bezüge zum jihadistischen Islamismus auf, stand im Kontakt mit entsprechenden Personen und posierte auf sichergestellten Fotos in Kampfmontur. Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (Az.: 4 Ls 242 Js 61151/; rechtskräftig). 
Ein weitaus bekannteres Beispiel für dieses Spannungsfeld ist Anis Amri. Er hatte bis zu seinem Anschlag in Berlin am 19. Dezember 2016 aufputschende Betäubungsmittel konsumiert. Sein Fall weist auf die Herausforderung dieses Spannungsfeldes hin: Weil die Ermittler davon ausgingen, dass Amri in den Monaten zuvor ins Drogenmilieu abgerutscht war, wurde die verdeckte Beobachtung eingestellt. Ein entsprechendes ambivalentes Verhalten einzelner Personen erschwert also zuweilen die Gefahreneinschätzung durch die Sicherheitsbehörden. 

Die Taliban und der Schlafmohn: Drogen zur Finanzmittelgenerierung

Anis Amri hat Drogen nicht nur konsumiert, er hat auch mit ihnen gedealt, um Finanzmittel zu generieren. Mit dem Geld bestritt er seinen Lebensunterhalt, zudem schickte er einen Teil davon zu seiner Familie nach Tunesien. Einzelfälle wie Amri sind im Salafismus immer wieder zu beobachten. Der größte islamistische Akteur im Bereich des Drogenhandels sind jedoch die afghanischen Taliban. Das liegt vor allem darin begründet, dass ihr Land das Hauptanbaugebiet für Schlafmohn ist, aus dem Opium und Heroin gewonnen werden. 

Das Verhältnis der Taliban zum Drogenhandel ist jedoch ambivalent. So hat die Organisation nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan den Schlafmohnanbau im Land zunächst nicht nur toleriert. Vielmehr profitierte sie finanziell von der Situation, indem sie auf Anbau und Handel der Drogen Steuern erhob. 2001 erfolgte die Kehrtwende: In einer gemeinsamen Kampagne mit den UN verboten die Taliban den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan. Dabei handelte es sich um eine politisch-strategische Entscheidung, um Lockerungen der gegen sie gerichteten Sanktionen zu erwirken. Zudem verfügten sie über Lagerbestände an Opium und Heroin, mit denen sie selbst weiterhandelten. Der Sturz der Taliban im selben Jahr führte allerdings zum Ende dieses Verbots. Seit 2002 nimmt der Drogenhandel in den von den Taliban kontrollierten Gebieten stattdessen zu; die Organisation zieht ihren Nutzen daraus, indem sie wieder die bekannten Steuern erhebt. 

Was Umfang und Öffentlichkeit der Beteiligung am Drogenhandel angeht, sind die Taliban ein Sonderfall. Dennoch gab und gibt es auch andere jihadistische Organisationen, die vom Drogenhandel profitieren. Zu erwähnen ist darüber hinaus die Berichterstattung über angebliche Pläne Osama bin Ladens: Er soll um die Jahrtausendwende die Produktion von hochkonzentriertem Heroin geplant haben; Ziel sei der Export nach Europa und in die USA gewesen, um den westlichen Gesellschaften zu schaden. Wenngleich keine stichhaltigen Beweise für diesen Plan vorliegen, so hält sich dieses Gerücht doch unter Sympathisanten. Mitunter legitimieren Salafisten ihren eigenen Drogenhandel mit Verweis auf Osama bin Laden.

Captagon und der syrische Bürgerkrieg: Doping zu Kriegszwecken 

Schließlich nutzen Jihadisten Drogen zuweilen als Aufputschmittel für den Kampfeinsatz. Der Einsatz von entsprechenden Substanzen im Krieg ist ein bekanntes Phänomen, insoweit ist eine solche Nutzung durch Jihadisten nicht außergewöhnlich. Einen besonderen Namen hat sich diesbezüglich der Arzneistoff Fenetyllin gemacht, bekannt unter dem Markennamen Captagon. Fenetyllin wurde ab den 1960er Jahren als Medikament zur Behandlung von hyperkinetischen Störungen – heutiger Begriff: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – und Narkolepsie verwendet. In den 1980er Jahren sollen Sportler damit gedopt haben. Der Wirkstoff wird unter anderem im Libanon und in Syrien produziert und gelangt von dort auch zu den verschiedenen Kriegsparteien des syrischen Bürgerkriegs. 

Es gibt immer wieder Berichte, laut denen auch jihadistische Gruppierungen Captagon als Aufputschmittel einsetzen. Es steigert Leistung, Konzentration und Risikobereitschaft und reduziert zugleich das Hunger-, Durst- und Schmerzgefühl. Insofern kann der Verzicht auf die Substanz zu einem deutlichen Nachteil auf dem Schlachtfeld führen. Doch scheint sie nicht für jede Operation erwünscht zu sein: Bei den IS-Attentätern von Paris (13. November 2015) fanden sich in einer toxikologischen Untersuchung, anders als zunächst vermutet, keine Rückstände von Aufputschmitten. 

Fazit: Pragmatische Auslegung der islamischen Quellentexte 

Die Scharia ist die islamische Normenlehre, die allerdings stark von menschlicher Interpretation abhängig ist. Denn die Quellentexte sind vielfach nicht eindeutig – und um zu ergründen, was Gott will oder nicht will, müssen Menschen mit diesen Texten arbeiten. Dabei gibt es durchaus Bereiche und Fragestellungen, bei denen unter den islamischen Rechtsgelehrten, also den Scharia-Experten, keine Einigkeit herrscht. Der Bereich Alkohol und Drogen gehört allerdings nicht dazu: Konsum und Handel mit solchen Substanzen lehnen die meisten islamischen Rechtsgelehrten kompromisslos ab. Das gilt auch für Islamisten. Sehr anschaulich zeigen das die Länder Saudi-Arabien (Wahhabismus) und Iran (schiitischer Islamismus), in denen es weltweit die meisten Hinrichtungen als Strafe für Drogendelikte gibt. 

Jihadistische Islamisten scheinen die islamischen Quellen in diesem Punkt jedoch weitaus pragmatischer auszulegen: Sie haben erkannt, dass die Nutzung von Drogen zuweilen taktisch-strategisch profitabel ist. Das betrifft die Finanzmittelgenerierung auf der einen und das Doping von Kämpfern in Kriegssituationen auf der anderen Seite. Ähnliches gilt für Menschen, denen es mit ihrer Zuwendung zur salafistischen Ideologie nicht gelingt, sich von Betäubungsmitteln fernzuhalten. Durch eine pragmatische Haltung erlaubt es ihnen das salafistische Konzept der tauba, jeden Tag aufs Neue ihre Sünden zu bereuen. Das Beispiel Drogen zeigt aber auch: Wenn sie wollen, können Islamisten vom für sie charakteristischen Dogmatismus abweichen. 


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