Import Export : Wie sie mit Rassismusvorwürfen ablenken
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Erdogan spricht 2018 bei der Eröffnung der DITIB-Zentralmoschee in Köln Bild: dpa
Rassismus gegen Muslime muss als solcher benannt werden. Für manche ist „Antimuslimischer Rassismus“ jedoch ein Kampfbegriff, um andere mundtot zu machen.
Es ist zwar Corona, aber egal. Manche fahren trotzdem nach Malle, manche nach Dubai. Oder in die Türkei, wie gerade Vertreter verschiedener islamistischer und türkisch-nationalistischer Verbände, der Moscheevereine DITIB, Mili Görüs, ATIB (Graue Wölfe), der AKP-Lobby-Organisation UID und des islamistischen Unternehmerverbands MÜSIAD. Die Fotos wurden schön in den sozialen Netzwerken gepostet, wie es sich für eine Gruppenreise gehört. Man sieht einen Haufen Männer mit dem türkischen Verteidigungsminister und Türkei-Flaggen. Das persönliche Foto mit Erdogan oder „Kerdogan“, wie man auf Kurdisch gern sagt („Ker“ bedeutet „Esel“), fehlt natürlich auch nicht.
Die genannten Vereine fallen nicht erstmals durch Liebeleien mit Antidemokratismus auf. Es gab zig Berichte über die DITIB und Spitzeltätigkeiten für Erdogan, antisemitische Hetze, Leugnung des Genozids an den Armeniern, und pünktlich zum türkischen Einmarsch im kurdischen Afrin wurde in den DITIB-Moscheen die Fetih-(Sieges)-Sure rezitiert. Das alles ist nicht überraschend: Die DITIB ist dem türkischen Religionsministerium und damit Erdogan persönlich unterstellt. Unverständlich ist jedoch, dass sie immer noch als gern gesehener Dialogpartner gilt. DITIB und Co. sind nämlich nicht islamisch-konservativ, wie es oft heißt, und Erdogans AKP ist auch kein Äquivalent zur christlich-konservativen CDU – beide sind islamistisch-nationalistisch.
Hier ist meine Betroffenheit
Wer berechtigte Kritik am Islamismus äußert, dem wird schnell antimuslimischer Rassismus vorgeworfen. Auch mir ist das schon passiert. Hierzulande glauben neuerdings manche, man müsse persönlich betroffen sein, um sich zu gewissen Dingen äußern zu können. Hier ist meine Betroffenheit: Diese Kolumne ist zu kurz, um all die Verbrechen aufzuzählen, die Islamisten an meiner êzîdischen Familie verübt haben. So viel zur Betroffenheit, auch wenn ich es quatschig finde, denn zu menschenfeindlichen Ideologien wie dem Islamismus sollte niemand schweigen. Natürlich gibt es Rassismus gegen Muslime, und der sollte unbedingt als solcher benannt werden. Und auch Islamisten können Rassismus erfahren, aber das macht sie deswegen nicht weniger islamistisch.
Islamisten benutzen den Begriff „Antimuslimischer Rassismus“ mittlerweile leider auch, um Kritiker zu diffamieren. Das hat System. Die SETA-Stiftung, das wissenschaftliche Sprachrohr der türkischen Regierung, veröffentlichte 2014 den Europäischen Islamophobie-Report, der Kritiker pauschal als Rassisten bezeichnet. Darunter den Theologen Mouhanad Khorchide, die Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messahli, den Psychologen Ahmed Mansour, den Journalisten Bülent Mumay. Aber auch Erdogan himself wirft mit Islamfeindlichkeitsvorwürfen um sich und spielt sich gern als Übervater aller Muslime auf. Er faselt davon, einige Länder planten „eine Neuauflage der Kreuzzüge“. Dieses Gerede, mal drastisch, mal gemäßigt, setzt sich auch in seinen Vereinen, Propagandakanälen usw. fort. Gleichzeitig wird dort Hetze gegen Aleviten, Ezîden, Juden, Armenier, Homosexuelle und den Westen verbreitet, oder zu dieser geschwiegen: Ein klassischer Fall von Doppelmoral.
Instrumentalisierung von Begriffen
Ständige Rassismusvorwürfe lenken wunderbar von den eigenen antidemokratischen Machenschaften ab, schaffen Abgrenzung und eine Art verschworene Gemeinschaft. Im schlimmsten Fall radikalisieren sie. Das permanente Täter-Opfer-Bild kann auch schnell in Hass umschlagen. Islamistische Social-Media-Accounts wie „Realität Islam“ und „Generation Islam“ haben dieses Spiel perfektioniert.
Antimuslimischer Rassismus wird nicht nur von Islamisten instrumentalisiert. Manche lehnen Begriffe wie Islamismus oder Legalistischer Islamismus komplett ab, da auch sie rassistisch seien. Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, den viele noch immer als lediglich islamisch geprägt ansehen, obwohl ihm auch Gruppierungen wie die Grauen Wölfe und muslimbrüderideologische Vereine angehören, hat gefordert, den Begriff „Islamismus“ zu ändern. Ein früherer SETA-Mitarbeiter sagte in einem Youtube-Video, „der Begriff Islamismus wurde geschaffen für Feindbilder“. So sieht Diskursverschiebung von islamistischer Seite aus.
Viele, auch sogenannte weiße Deutsche, spielen gern mit. Man will auf der richtigen Seite sein, keinesfalls als Rassist gelten. Toleranz, Weltoffenheit, interreligiöser Dialog, mit allen reden – das gehört zum eigenen Selbstbild. Dabei kommt bisweilen so Krudes heraus wie das Interview des SPD-Politikers Helge Lindh mit dem deutschen Ableger des AKP-Propagandasenders TRT. Er palavert darin über Antimuslimischen Rassismus, übernimmt AKP-Narrative und schweigt zu den Zuständen in der Türkei und den Machenschaften von AKP-Lobbyisten in Deutschland.
Wirklicher Antirassismus sieht anders aus. Er ist konsequent, interessiert sich für die Haltung des Gegenübers. Wer unkritisch Dialoge führt, zusammen Cay trinkt und sich ablichten lässt, legitimiert sein Gegenüber. Und wird wissentlich oder unwissentlich zum Handlanger von Islamisten. Bei DITIB und Co. bekommt man eben nicht nur Religion, sondern Erdogan-Politik gratis mit dazu.