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Nach Protesten Tunesiens Präsident entlässt Premier – Militärfahrzeuge auf den Straßen

Seit Tagen kommt es zu Demonstrationen in Tunesien. Nun hat Präsident Kais Saied den Ministerpräsidenten abgesetzt und das Parlament aufgelöst. Der Parlamentspräsident spricht von einem Putsch.
Demonstranten in Tunis: »Das Volk fordert die Auflösung des Parlaments«

Demonstranten in Tunis: »Das Volk fordert die Auflösung des Parlaments«

Foto: Hassene Dridi / AP

Die politische Krise in Tunesien erreicht einen neuen Höhepunkt. Präsident Kais Saied entließ am Sonntag Ministerpräsident Hichem Mechichi und ordnete an, das Parlament müsse seine Arbeit einstellen. Die Immunität der Abgeordneten werde aufgehoben, erklärte der Präsident des nordafrikanischen Landes und drohte für den Fall gewaltsamen Widerstands mit einem Einsatz der Armee.

Während Saied erklärte, seine Anordnungen stünden im Einklang mit der Verfassung, sprach Parlamentspräsident Rached Ghannouchi in einer ersten Reaktion von einem Staatsstreich.

In einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur Reuters nannte Ghannouchi die Vorgänge »einen Putsch gegen die Revolution und die Verfassung«. »Wir sind der Meinung, dass die Regierungsinstitutionen noch stehen, und die Anhänger der Ennahda und des tunesischen Volkes werden die Revolution verteidigen«, fügte er hinzu. Das Parlament werde trotz Saieds Schritt tagen. In einer Videobotschaft rief er die Tunesier dazu auf, gegen den Umbruch auf die Straße zu gehen.

Demos auf den Straßen der Hauptstadt

Zwei Augenzeugen sagten Reuters, dass wenige Stunden nach der Suspendierung des Parlaments das Regierungsgebäude von Militärfahrzeugen umstellt worden sei. Eine in der Nähe versammelte Menschenmenge habe die Ankunft des Militärs bejubelt und die Nationalhymne angestimmt. Lokale Medien berichteten, die Armee habe auch das Gebäude des staatlichen Fernsehens umstellt, Hubschrauber kreisten über der Stadt. Die Polizei habe Tränengas eingesetzt, um Menschen zu vertreiben, die am späten Sonntag versuchten, den Sitze der Ennahda-Partei zu stürmen.

Der Entscheidung des Präsidenten waren gewaltsame Proteste in mehreren Städten des Landes vorausgegangen. In der Hauptstadt Tunis versammelten sich Hunderte Menschen vor dem Parlament und warfen der regierenden Ennahdha-Partei und dem Premier Versagen im Kampf gegen die steigende Zahl von Coronainfektionen vor. »Das Volk fordert die Auflösung des Parlaments«, skandierte die Menge.

In dem Land steigen die Coronafälle derzeit massiv an, in Krankenhäusern werden die Möglichkeiten zur Beatmung von Patienten knapp. Bislang starben in dem Zwölf-Millionen-Einwohnerland mehr als 18.000 Menschen an Covid-19.

Viele Tunesier sind angesichts der Lage verärgert über das Gezänk zwischen den Parteien im Parlament und den Machtkampf zwischen dem Parlamentspräsidenten, der auch der Vorsitzende von Ennahdha ist, und Staatspräsident Saïed.

Tunesien ist das einzige Land, das als Demokratie aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen ist. Vor zehn Jahren war der Autokrat Zine al-Abidine Ben Ali nach rund 25-jähriger Herrschaft gestürzt worden. In der Bevölkerung herrscht jedoch Unzufriedenheit, weil die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinander klafft.

jok/ime/Reuters/AFP

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