1. Nachrichten
  2. Panorama
  3. Aus aller Welt
  4. Razzia gegen Islamisten: Eduard K. scharrte "neue Dschihad-Generation" um sich

"Neue Dschihad-Generation entsteht": Im Wald übten Eduard K. (22) und seine jungen Eiferer schon den "heiligen Krieg"
  • E-Mail
  • Teilen
  • Mehr
  • Twitter
  • Drucken
  • Fehler melden
    Sie haben einen Fehler gefunden?
    Bitte markieren Sie die entsprechenden Wörter im Text. Mit nur zwei Klicks melden Sie den Fehler der Redaktion.
    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Großrazzia gegen Geldwäsche
Christoph Petersen/dpa
  • FOCUS-online-Reporter

Das Schaubild in den Räumen des Staatsschutzes der Kölner Polizei glich einem Stern. Über ein Jahr lang hatten die Ermittler im Präsidium alle brisanten Kontakte einer Islamisten-Gruppe aus Düren zur gewaltbereiten Extremistenszene in Deutschland und halb Westeuropa zusammengetragen.

Die Verbindungslinien zu Dschihadisten in zahlreichen anderen Bundesländern erinnerten an einen großen Himmelskörper. Die aufwändigen Nachforschungen der Ermittlungsgruppe (EG) „Stern“ förderten ein besorgniserregendes Bild zu Tage.

Nach FOCUS-Online-Informationen hatte sich in Düren offenbar eine militante Szene radikal-islamischer Salafisten rund um den 22-jährigen Konvertiten Eduard K. gebildet. Die siebenköpfige Kerntruppe junger Eiferer trainierte für den Kampf gegen die Ungläubigen (Kuffar). Observationsteams beobachteten die mutmaßlichen Sympathisanten der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) bei zwei Übungen in einem Waldstück bei Düren.

Trainingsanleitungen aus IS-Anschlagsvideos

Gezielt warfen die jungen Männer Ende November 2020 Äxte in Bäume oder maßen sich im Messerkampf. Die Trainingsanleitungen sollen aus IS-Anschlagsvideos stammen. Kilometerlange Märsche und das Übernachten in der kalten Wildnis standen ebenfalls auf dem Programm. Beinahe täglich trafen sich die Verdächtigen im Alter zwischen 16 und 22 in einer Garage in Düren.

Neben Box- und Schießtraining mit einer Schreckschusspistole legten die Salafisten ihren Teppich aus, um zu beten. Anschließend schwärmte die Radikalen-Riege über den „Heiligen Krieg gegen die Kuffar“. Dort soll der islamistische Gefährder Eduard K. das Leben in einem Kalifat nach der Sharia (islamische Gesetzessammlung), angepriesen haben. Ahnungslos, dass heimlich installierte Kameras und Mikrofone alles aufnahmen, spielte man Hardcore-Nasheeds (islamische Gesänge) über den Dschihad ab.

Razzia in Niedersachsen und NRW

Am Donnerstagmorgen schlug die EG „Stern“ im Auftrag der landesweiten Schwerpunktabteilung gegen Terrorismus der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft zu.  330 Polizeibeamte durchsuchten Objekte in Düren, gleichzeitig durchleuchteten niedersächsische Kollegen die Räume zweier einschlägig bekannter Extremisten in Salzgitter. Auf Grund von Querverbindungen zur Dürener Zelle seien „Mobiltelefone und Datenträger sichergestellt worden“, teilte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Celle mit.

Gegen die Beschuldigten aus NRW und Niedersachsen ermitteln die Strafverfolger wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bei einem der Beschuldigten fand sich ein Live-Video über das Training mit der Axt auf seinem Handy.

Neue Dschihad-Generation

Der Fall belegt aus Sicht des Leitenden Kölner Kriminaldirektors Klaus-Stephan Becker einmal mehr, „dass derzeit eine neue Dschihad-Generation hierzulande entsteht.“ Mit Blick auf die Razzia in Düren oder den geplanten Anschlag durch einen 16-jährige Syrer in Hagen konstatiert Becker, „dass die Akteure immer jünger werden, die Szene hat kein Nachwuchsproblem“.

Zudem hätten Erfolge der Taliban in Afghanistan die Szene geradezu aufgestachelt. Ähnlich wie bei der Migrationswelle 2015 aus Syrien und dem Irak fürchtet der Kölner Kripo-Chef, dass Terroristen über den neuerlichen Flüchtlingsstrom vom Hindukusch unentdeckt nach Deutschland einsickern könnten. „Das islamistische Terrorisiko ist noch nicht vorbei“, betont Becker. Zumal die Nachforschungen der Kölner Polizei gegen die Dürener Gruppe ein riesiges Islamisten-Netzwerk enthüllten, in dem zahlreiche Protagonisten unter Terrorverdacht stehen.

Islamisten-Netzwerk

Die Geschichte begann im Jahr 2019. Seinerzeit hatte die Kölner Polizei vier Verdächtige aus Düren im Zuge der Gefahrenabwehr für zwei Wochen im Langzeitgewahrsam festgesetzt. Zwei von ihnen arbeiteten seinerzeit auf einer Baustelle in der Kölner City. Belauschte Telefonate legten den Verdacht nahe, dass man ein Attentat in der Innenstadt beabsichtigte. So gab es Treffen mit einer hessischen Extremisten-Truppe, die einen Autobombenanschlag geplant haben soll. Die Staatsschützer fürchteten, dass die Kölner Lichter oder der Christopher Street Day das Ziel sein könnten.

Zu den festgesetzten Islamisten aus Düren zählte auch Eduard K. Nachdem die Vier wieder freikamen, weil sich der Verdacht nicht erhärten ließ, avancierte der deutsche Konvertit in Düren zu einer charismatischen Figur. Mit 17 auf dem Gymnasium zum Islam übergetreten, spielte er den Erkenntnissen zufolge Ende 2019/Anfang 2020 eine führende Rolle, neue Anhänger zu gewinnen. Alarmiert stellte der Aachener Staatschutz fest, dass der Kreis um K. bis zum Frühling 2020 etwa 30 Jugendliche und junge Männer mit der Salafisten-Ideologie indoktrinierte. Der jüngste Rekrut war gerade einmal 15 Jahre alt.

Deutscher Konvertit Eduard K.

Eduard K. gerierte sich als Experte in islamischen Glaubensfragen, parlierte die Koran-Suren auf arabisch und setzte zu Hause ein erzreaktionäres Regiment durch. Seine Frau durfte nur vollverschleiert aus dem Haus, schuldete ihm unbedingten Gehorsam. Selbst, wenn es die Fenster zu putzen galt, musste sie Handschuhe tragen, damit niemand von außen ihre Haut sehen konnte.

Auch knüpfte die Dürener Zelle zahlreiche Beziehungen zum Who is Who der westeuropäischen islamisch-terroristischen Garde: Zur tadschikischen Terror-Connection Takim etwa, deren Mitglieder sich derzeit vor dem Düsseldorfer Staatsschutzsenat wegen einem Mordversuch gegen einen Islam-Kritiker oder Anschlagspläne mit Drohnenbomben auf US-Militärstützpunkte verantworten müssen. 

Hochbrisanter Islamisten-Zirkel

Bereits im Sommer 2020 exerzierten Mitglieder der Dürener Gruppe mit islamistischen Gefährdern aus dem Raum Braunschweig/Salzgitter Messerattacken. Auch hier führt die Spur in einen hochbrisanten Zirkel: Einer der niedersächsischen Protagonisten stand fünf Jahre zuvor im Mittelpunkt von Terrorwarnungen, die zur Absage des Länderspiels gegen die Niederlande in Hannover führte. Die Linien auf dem Schaubild des gewaltbereiten Netzwerks nahmen zu.

Bei den Nachforschungen gegen die Dürener Verdächtigen nutzten die Kölner Ermittler alle verdeckten Maßnahmen, die Richter möglich machten: Telefone wurden angezapft, Autos und Wohnungen verwanzt, Überwachungskameras installiert und die regen Reisebewegungen auch über internationale Grenzen hinweg beobachtet.

Dabei registrierten die Ermittler Verbindungen zu den militanten Milieus in Hamburg, Berlin, Ludwigshafen oder nach Ostdeutschland. Stets kamen die Dürener mit bekannten Dschihadisten zusammen. So etwa mit hessischen Radikalen, die im Verdacht standen, das Radrennen rund um den Henniger Turm für ihre Attacken zu benutzen.

Salafisten-Community

Oft ging es ins Ausland: Zur Extremistenszene nach Brüssel, Lüttich oder ins belgische Verviers, nach Wien, Graz oder zur berüchtigten Salafisten-Community ins schweizerische Winterthur.  

Im Oktober 2020 stellte sich hoher Besuch aus der Alpenrepublik ein. Mit einem weiteren Mitstreiter kam der eidgenössische Besar D. zu den „Brüdern“ nach Düren. Bis heute wissen die rheinischen Strafverfolger nicht, was den Islamisten in den Aachener Raum führte.

Fakt ist, dass der Besucher in das Wiener Attentat vom 2. November mit vier Toten und 22 Verletzten involviert sein soll und kurz nach dem Terrorakt in Haft ging.

Dürener Fall

Längst wurde der Dürener Fall im bundesweiten Gemeinsamen Terrorzentrum (GTAZ) in Berlin behandelt. Seit dem Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri reagiert die deutsche Terrorabwehr besonders sensibel, wenn es um die Aufklärung einer derart gut vernetzten Islamisten-Clique ging, die immer wieder vom IS und dem Dschihad schwärmte.

Im Frühjahr 2021 sprachen die GTAZ-Experten noch von einem Top-Fall. Dann aber tat sich nichts Nennenswertes mehr. Die Kampfübungen wurden eingestellt, man verhielt sich auffällig ruhig. Somit ist noch unklar, ob die Dürener Beschuldigten bereits konkrete Anschlagspläne verfolgten. Durch die Razzia und die Auswertung beschlagnahmter Handys und Datenträger erhoffen sich die Behörden nun Antworten.

FOCUS-Online-Interview mit Herbert Reul

Im Interview mit FOCUS Online äußert sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zu der Razzia in Düren.

Herbert Reul (CDU) Innenminister von Nordrhein-Westfalen, äußert sich auf einer Pressekonferenz.
Oliver Berg/dpa Herbert Reul (CDU) Innenminister von Nordrhein-Westfalen, äußert sich auf einer Pressekonferenz.

FOCUS Online: Herr Minister Reul, wie schätzen Sie die Razzia gegen die Dürener Islamistengruppierung ein ? 

Herbert Reul: Da muss man vorsichtig sein, da die Ermittlungen in diesem Fall noch laufen. Klar ist, dass die Anschlagsgefahr in Deutschland und in NRW unverändert groß ist. Der Fall in Düren zeigt, dass man diese Szene sehr ernst nehmen muss. Wenn da Menschen unterwegs waren, die eine Islamisten-Gruppe gebildet und Kampftrainings durchgeführt haben, die diverse Kontakte ins islamistisch-terroristische Spektrum innerhalb Deutschlands und im Ausland hatten, dann ist das schon besorgniserregend.

Und auch, wenn wir am Ende keine konkreten Hinweise auf einen geplanten Anschlag finden sollten, dann war es trotzdem gut, dass der polizeiliche Staatsschutz eingeschritten ist. Wir handeln bevor es zu spät und sind hier äußerst wachsam. 

Derzeit wird meist über die Terrorgefahr durch Rechts- und Linksextremisten gesprochen, ist darüber die gewaltbereite Islamisten-Szene in Vergessenheit geraten?

Reul: Für uns stellen alle drei Felder ernstzunehmende Bedrohungen dar. Zwar ist die Zahl militanter Linksextremisten nicht ganz so groß, aber die Qualität ist ernst zu nehmen. Bei den Rechtsextremisten stellen wir eine deutliche Zunahme gerade unter jungen gewaltbereiten Männern fest, beim Islamismus handelt es sich oft um gefährliche Einzeltäter; nicht selten haben sie sich im Internet radikalisiert.

Der Hagener Fall, bei dem ein 16-jähriger Jugendlicher einen Sprengstoffanschlag auf die örtliche Synagoge verüben wollte, ist das Muster schlechthin. Der Tatverdächtige wurde über soziale Netzwerke von einem Mentor in den Bau einer Bombe eingewiesen. Wir können froh sein, dass unsere Sicherheitsbehörden sorgfältig aufpassen, und uns auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten hilft, geplante Attentate zu verhindern. Deshalb ist diesmal zum Glück nichts passiert, aber ich will auch nicht verschweigen, dass jederzeit etwas geschehen könnte.

"Manchmal auch ein Stück Zufall"

Dass die Behörden den Hagener Anschlagsplaner verhindert haben, war reiner Zufall muss einem dies nicht zu denken geben?

Reul: Mittlerweile ist es recht einfach, sich mit ein paar Klicks eine Anleitung zum Bau eines Sprengkörpers aus dem Netz herunterzuladen. In diesem Fall war es ja auch so, dass der Beschuldigte keine Probleme hatte, einen Experten aus dem Ausland zu finden, der ihn in der Herstellung unterrichtet hat.

Das ist sicher manchmal auch ein Stück Zufall, dass die hiesigen Behörden darauf aufmerksam werden und eingreifen. Gleichzeitig profitieren wir immer wieder von der ausgezeichneten Zusammenarbeit aller Akteure; man ist im ständigen Austausch, das hilft ungemein. Am Ende kann man die Vorbereitung solcher Taten angesichts der Flut der Chats und Bewegungen im Netz allerdings nicht völlig unterbinden.

Infektiologe nennt zwei Dinge, die jeder über Impfdurchbrüche wissen sollte

FOCUS online/Wochit Infektiologe nennt zwei Dinge, die jeder über Impfdurchbrüche wissen sollte
Zum Thema
König Charles muss Prostata behandeln lassen - kurzer Check zeigt, ob Ihre gesund ist

Neun Fragen

König Charles muss Prostata behandeln lassen - kurzer Check zeigt, ob Ihre gesund ist

„Tragödie, die es nie geben dürfte“: Flüchtlinge sitzen an Polens Grenze in der Falle

FOCUS-Online-Reportage aus Osteuropa

„Tragödie, die es nie geben dürfte“: Flüchtlinge sitzen an Polens Grenze in der Falle

Familientherapeut Jesper Juul erklärt den größten Erziehungsfehler

Erziehung als Machtkampf

Familientherapeut Jesper Juul erklärt den größten Erziehungsfehler

Sie waren einige Zeit inaktiv, Ihr zuletzt gelesener Artikel wurde hier für Sie gemerkt.
Zurück zum Artikel Zur Startseite
Lesen Sie auch
Paintball für den Dschihad: Wie der IS den Heiligen Krieg von deutscher Stadt aus plant

Terror-Netz über ganz Europa

Paintball für den Dschihad: Wie der IS den Heiligen Krieg von deutscher Stadt aus plant

Chinas Vormarsch, Putins Energie-Krieg: Diese Themen gehören auf die Ampel-Agenda

Gastbeitrag von Thomas Jäger

Chinas Vormarsch, Putins Energie-Krieg: Diese Themen gehören auf die Ampel-Agenda