Beten Sie und wenn ja, wie oft? Halten Sie die Fastenzeit ein? Ist die Flucht Ihrer Großmutter ein Thema auf Familienfeiern? Fragen wie diese wurden offenbar der Journalistin Nemi El-Hassan vonseiten des WDR gestellt. So schreibt es die Berliner Zeitung. Nach eigenen Angaben liegen der Zeitung "ausführliche Gedächtnisprotokolle" dieser Befragungen vor, an denen WDR-Mitarbeiter, El-Hassan und ihr Medienagent teilgenommen haben. Der WDR äußerte sich laut Berliner Zeitung zu den "tatsächlich oder angeblich getroffenen Aussagen" nicht, da vor den Gesprächen, die "der Klärung der gegen sie erhobenen Vorwürfe" dienen sollten, Vertraulichkeit vereinbart worden sei.

Nun wären solche Fragen, wie der WDR sie El-Hassan gestellt haben soll, rechtlich nicht zulässig – es sei denn, der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse an den Antworten. So darf dieser etwa eine Busfahrerin nach ihren Verkehrsdelikten fragen, aber nicht eine Bibliothekarin; berechtigt wäre es, eine Erzieherin zu fragen, ob gegen sie wegen Gewalt gegenüber Minderjährigen ermittelt wird, aber nicht einen Lagerarbeiter.

Die Befragung des WDR hat eine Vorgeschichte: Kurz nachdem verkündet wurde, dass die 28-jährige Ärztin und Journalistin Nemi El-Hassan zukünftig die Wissenschaftssendung Quarks moderieren werde, veröffentlichte die Bild-Zeitung Artikel, in denen unter anderem aufgedeckt wurde, dass El-Hassan 2014 an einer israelfeindlichen Al-Kuds-Demonstration in Berlin teilgenommen hatte und dass sie vor einigen Wochen mehrere Likes auf Instagram unter Beiträge gesetzt hat, die von einigen als antisemitisch eingestuft werden, von anderen nicht. Der WDR hat daraufhin entschieden, sie vorerst nicht als Moderatorin zu beschäftigen. El-Hassan wiederum hat sich von der Demoteilnahme distanziert und sich entschuldigt, sie schäme sich dafür. Später veröffentlichte sie ein Statement, in dem sie den WDR hart kritisierte. Der Sender sprach sich daraufhin endgültig gegen eine Zusammenarbeit mit ihr aus.

Die Fragen, die Nemi El-Hassan laut Recherche der Berliner Zeitung gestellt wurden, als der WDR noch prüfte, ob er mit ihr zusammenarbeiten wollte, lassen den Sender nicht gut dastehen. Es mag legitim sein, dass die Verantwortlichen trotz der öffentlichen Distanzierung der Moderatorin von Antisemitismus noch mal genauer nachfragen, wie El-Hassans Haltung zum Existenzrecht Israels ist, das sie nach eigener Aussage nicht infrage stellt. Es ist richtig, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender sicherstellen will, dass bei ihm keine Antisemiten und keine Islamisten arbeiten. Doch die Fragen, mit denen der WDR versucht haben soll, eine möglicherweise verfassungsfeindliche Gesinnung von El-Hassan offenzulegen, sind abstrus.

Denn was wären die richtigen und falschen Antworten auf diese Fragen? Wie oft darf man am Tag beten, um eine Wissenschaftssendung zu moderieren? Ist einmal noch okay, bei fünfmal aber ist damit zu rechnen, dass jemand nicht mehr ordentlich journalistisch arbeiten wird? Und zu welchem Gott? Ist nur Allah ein Problem und wenn ja, warum? Was wäre denn, wenn, wie vom WDR gefragt, Onkel oder Tanten von El-Hassan Verbindungen zum politischen Islam hätten? Werden andere WDR-Mitarbeiter auch danach gefragt, ob sie Verwandte mit problematischen politischen Haltungen haben? Bis zu welchem Verwandtschaftsgrad ist das relevant? Zählt der rechtsradikale Großcousin auch? Steht jede, die an Ramadan fastet, unter Islamismusverdacht? Darf man nicht religiös sein, um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu moderieren, oder gilt das nur für bestimmte Religionen? Wurde der gläubige ZDF-Politikjournalist Peter Hahne eigentlich jemals danach befragt, ob seine Religiosität seine Arbeit beeinflussen könnte? Oder sind nur Frauen mit palästinensischen Wurzeln, die früher Kopftuch trugen, verdächtig, nicht unabhängig berichten zu können?

Ganz unabhängig davon, wie man zu Nemi El-Hassan steht, wäre es ein Skandal, wenn der WDR wirklich derart unzulässige und über jede Verhältnismäßigkeit hinausgehende Fragen gestellt haben sollte. Und es ist, man muss dieses drastische Wort benutzen, ekelhaft, zu verfolgen, wie im Fall El-Hassan etwa auf Twitter rassistisch gefärbter, antiislamischer Hass über eine junge Journalistin ausgekübelt wird, weil man das unter dem Vorwand, sich ja gegen Antisemitismus auszusprechen, scheinbar guten Gewissens tun kann. Es ist erschütternd, dass sich der WDR durch diesen Shitstorm offenbar so unter Druck gesetzt fühlt, dass es ihm nicht gelingt, die erhobenen Vorwürfe mit Maß und Vernunft zu prüfen und darauf zu reagieren.