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Geheimoperation Außenministerium holt deutsche IS-Anhängerinnen aus Syrien

In Syrien sitzen viele Deutsche in Haft, die sich der Terrorgruppe »Islamischer Staat« angeschlossen hatten. Nach SPIEGEL-Informationen werden nun zehn Frauen und ihre 27 Kinder aus einem Anti-Terror-Lager nach Deutschland gebracht.
Inhaftierte IS-Anhängerinnen in einem syrischen Anti-Terror-Lager

Inhaftierte IS-Anhängerinnen in einem syrischen Anti-Terror-Lager

Foto: Maya Alleruzzo/ AP/ DPA

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Das Auswärtige Amt (AA) hat in einer wochenlang geplanten Geheimaktion zehn deutsche Anhängerinnen der Terrorgruppe »Islamischer Staat« (IS) aus einem Gefangenenlager in Syrien geholt.

Nach SPIEGEL-Informationen flogen die USA die deutschen Staatsbürgerinnen zunächst am Mittwoch in ein Nachbarland Syriens, wo die USA eine Militärbasis unterhalten. Von dort sollen die Frauen und ihre 27 Kinder mit einer Chartermaschine vom Typ Boeing 737-800 nach Frankfurt gebracht werden, dort werden sie am Mittwochabend erwartet.

Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Frauen hätten nach der weitgehenden Zerschlagung des IS in Syrien in dem von den Kurden bewachten Gefangenenlager Roj eingesessen. Gegen mindestens sechs von ihnen liegen in Deutschland Haftbefehle wegen der Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation vor.

Eine der Frauen, die 24-jährige Emilie R., gilt den deutschen Behörden sogar als islamistische Gefährderin. Sie soll direkt nach der Ankunft in Frankfurt in Haft genommen werden.

Das AA hatte die Rückholaktion über Wochen hinweg in Absprache mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem US-Militär organisiert. Mehrere der Frauen hatten über ihre deutschen Anwälte auf eine Rückkehr nach Deutschland geklagt.

Begleitet wird der Flug von rund 30 BKA-Beamten. Es handelt sich um die fünfte und bisher größte Rückholaktion der Bundesregierung. Beim ersten Flug im Sommer 2019 waren nur Waisenkinder und kranke Kinder von IS-Anhängerinnen aus einem Lager in Nordsyrien über den Irak nach Deutschland gebracht worden. Später folgten mehrere Flüge mit Frauen und Kindern.

Die zehn Frauen sind zwischen 23 und 36 Jahre alt und stammen aus Bayern, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Drei von ihnen haben neben der deutschen noch eine weitere Staatsangehörigkeit – in einem Fall die türkische, in einem anderen die russische und im dritten Fall die marokkanische.

Gegen alle zehn wird mindestens wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ermittelt – von den Generalstaatsanwaltschaften Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und Koblenz sowie von Generalbundesanwalt Peter Frank. Dessen Behörde leitet in vier Fällen die Ermittlungen und hat jeweils Haftbefehle gegen die beschuldigten Rückkehrerinnen erwirkt.

Als gravierendster Fall gilt nach SPIEGEL-Informationen die 36-jährige Islamistin Nadine K. aus Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz. Den Ermittlungen zufolge reiste sie Ende 2014 mit ihrem Mann über die Türkei in den Irak, wo sie sich dem IS anschloss.

Laut Ermittlern stand K. und ihrem Mann ab 2015 in Mossul ein geraubtes Haus zur Verfügung, das unter anderem als Lager für Sturmgewehre, Sprengstoff und Pistolen der Terrormiliz diente. Nebenbei habe das Haus als Anlaufstelle für weibliche IS-Mitglieder fungiert, die sich zu islamistischen Rechtsfragen, etwa bei Heiraten oder Scheidungen, beraten lassen wollten.

Nadine K. soll sich eine Jesidin als Sklavin gehalten haben

Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft hielt sich das Islamisten-Paar seit spätestens 2016 eine vom IS verschleppte Jesidin als Sklavin. Diese habe im Haushalt und als Dienstbotin arbeiten und sexuelle Übergriffe durch Nadine K.s Mann erdulden müssen.

Erst im März 2019, nach dem Umzug der Familie nach Syrien, sei die Sklavin freigekommen. In Deutschland muss sich Nadine K. nun unter anderem wegen Kriegsverbrechen gegen Eigentum  und Verbrechen gegen die Menschlichkeit  sowie Menschenhandel  verantworten.

  • Auch gegen Emilie R. aus Nürnberg ermittelt die Bundesanwaltschaft. Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen die 24-Jährige als »Gefährderin« ein: Im Juli 2014, im Alter von 17 Jahren, sei sie mit ihrem nach islamischem Recht geehelichten Mann nach Syrien ausgereist und Mitglied des IS geworden. Zudem soll sie im Internet versucht haben, andere Frauen und Mädchen aus Deutschland ins IS-Gebiet zu locken.

  • Fatiha B., 29, beschuldigt der Generalbundesanwalt ebenfalls der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. B. sei im September 2013 gemeinsam mit ihrem Mann nach Syrien gefahren, wo sie zunächst bei der Terrorgruppe »Jabhat al-Nusra« angeheuert habe, bevor sie im November 2014 zum IS übergetreten sei. Von der Terrormiliz habe sie für ihre Dienste als »Hausfrau« eines Kämpfers monatliche Zahlungen erhalten.

  • Die 23-jährige Gülseren T. wiederum kam nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft Ende 2014 in Syrien an, wo sie einen IS-Kämpfer geheiratet und diesem ebenfalls als »Hausfrau« gedient habe. Auch gegen sie wurde Haftbefehl erlassen.

Mehrere der Frauen, die nun nach Deutschland zurückgebracht werden, waren mit bekannten IS-Kämpfern verheiratet – die inzwischen tot sein sollen.

  • Lisa A. Z., 33, war verheiratet mit Yamin A. Z., der bei der Telekom in Bonn arbeitete, bevor er sich radikalisierte und dem »Islamischen Staat« anschloss. 2015 tauchte er in einem Hinrichtungsvideo des IS auf. Yamin A. Z. rief darin Gesinnungsgenossen in Deutschland auf, »Ungläubige« zu ermorden: »Tötet sie dort, wo ihr sie findet.« Am Ende des Videos erschossen er und ein österreichischer IS-Terrorist im syrischen Palmyra zwei Gefangene – ein offenkundiges Kriegsverbrechen.

  • Arzu A.-K.s Mann, der Konvertit Silvio K., gehörte zur Solinger Salafistengruppe »Millatu Ibrahim«, die den gewaltsamen »Dschihad« propagierte und 2012 verboten wurde. Über Ägypten setzte sich das Paar nach Syrien zum IS ab. Von dort aus rief Silvio K. zu Anschlägen auf die US-Luftwaffenbasis in Ramstein oder ein Atomwaffenlager in der Eifel auf. Später sagte sich Silvio K. von der IS-Führung los – und wurde dafür offenbar von der Terrormiliz hingerichtet. Seine heute 34 Jahre alte Witwe Arzu A.-K. wurde 2017 bei der Flucht Richtung Türkei von kurdischen Kräften aufgegriffen und verbrachte mehrere Jahre mit ihren drei Kindern im Gefangenenlager Roj.

  • Vivian S., 35, war bereits vor vielen Jahren in der deutschen Salafisten-Szene aktiv. Sie gehörte zur »Globalen Islamischen Medienfront«, die im Netz Propaganda für Al-Qaida betrieb. Vor Gericht kam sie 2011 allerdings glimpflich davon, als Strafe wurde sie nur zur Teilnahme an einem Antiaggressionstraining verurteilt. In Bremen gehörte S. zeitweise zum Vorstand des besonders radikalen »Kultur & Familien Verein«, der im Problemstadtteil Gröpelingen eine Moschee betrieb. Ende 2014 verbot der Bremer Innensenator den Verein – zuvor waren 16 Männer und Frauen aus dessen Umfeld nach Syrien gereist. Darunter waren auch Vivian S. und ihr Mann, der mutmaßlich im Kriegsgebiet starb.

Tragisch ist das Schicksal der vielen Kinder der IS-Anhängerinnen. Einige der Frauen hatten bereits kleine Kinder nach Syrien mitgenommen, mitten im Kriegsgebiet oder später im Gefangenenlager dann bekamen mehrere noch weiteren Nachwuchs. Um die Kinder wollen sich die deutschen Behörden nun besonders kümmern, da sie nicht für die Verfehlungen ihrer Eltern büßen sollen, hieß es in Sicherheitskreisen.

Weiterhin ungeklärt ist die Zukunft der deutschen Männer, die sich in den vergangenen Jahren dem IS angeschlossen hatten. Zwischenzeitlich hatten die Kurden aber auch die USA damit gedroht, die mutmaßlichen Terroristen in ihre Heimatländer abzuschieben. Bis heute aber sitzen rund zwei Dutzend deutsche IS-Kämpfer weiter in Gefängnissen in Nordsyrien.