Politische Bildung Demokratie

Zum Diskussionspapier für ein Demokratiefördergesetz

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie das Bundesministerium des Inneren haben ein Positionspapier zum Demokratiefördergesetz vorgelegt. Der Bundesjugendring nimmt dazu Stellung:

Der Deutsche Bundesjugendring e. V. (DBJR) begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, einen gesetzlichen Auftrag des Bundes im „Bereich der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“ durch ein Demokratiefördergesetz (DFG) zu schaffen. Der Bundesjugendring teilt ausdrücklich den Gedanken, dass die Gestaltung und Förderung der Demokratie nicht allein staatliche Aufgabe ist. Sie ist ein gemeinsames Anliegen des Staates und einer lebendigen, demokratischen Zivilgesellschaft. Das muss der Leitgedanke der zu schaffenden gesetzlichen Grundlage und aller darauf aufbauenden Regelungen sein. Die im Gesetz zu verankernden Prinzipien müssen diesem Gedanken entsprechen.

Jugendverbände und -ringe im Bundesjugendring sind ein aktiver Teil der demokratischen Zivilgesellschaft und leisten seit jeher ihren Beitrag zu den genannten Zielen im Diskussionspapier. Jugendverbände zeichnen sich durch ihr vergleichsweise hohes Maß an Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme durch junge Menschen aus. Jugendverbandsarbeit ist durch Kinder- und Jugendbeteiligung und demokratische Entscheidungsfindung geprägt, nicht durch pädagogische oder konzeptionelle Entscheidungen Erwachsener. Diese Art der Selbstbestimmung junger Menschen ist konstitutives Element, eigener Anspruch und gesetzliche Vorgabe.1

Vor diesem Hintergrund bietet der Bundesjugendring für die weitere Gestaltung des Gesetzgebungsprozesses Unterstützung und Expertise an.

Der Bundesjugendring verweist darauf, dass das DFG vor allem eine ergänzende und vervollständigende Funktion in der Reihe bereits vorhandener und oft bewährter Instrumente des Bundes einnimmt. Die Förderung von „Demokratie, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“ darf zukünftig nicht nur auf das DFG reduziert werden. Eine Stärkung der Demokratie in Deutschland kann nur durch eine Vielfalt kontinuierlicher, zuverlässiger Förderungen und unterschiedlicher, komplexer Ansätze erfolgen. Beispielsweise werden die Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendverbandsarbeit einschließlich der politischen (Jugend-)Bildung mit ihren wesentlichen Beiträgen zur Stärkung von Demokratie bereits jetzt auf bundesgesetzlicher Grundlage2 auf allen drei föderalen Ebenen gefördert. Auf Ebene des Bundes ist dies die Förderung durch den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP)3. Diese Förderung darf durch Fördermöglichkeiten im Rahmen eines DFG weder ersetzt noch abgeschafft, sondern muss unabhängig davon bedarfsgerecht und dynamisch ausgebaut werden. Dazu muss auch die Förderung der politischen Jugendbildung dementsprechend weiter integraler Teil der (geförderten) Kinder- und Jugendarbeit bleiben, um wirksam zu sein.

Die Eigenständigkeit des KJP muss dazu weiter gewährleistet sein.

Aus Sicht des Bundesjugendrings ist wesentliche Aufgabe eines DFG, über Jahre gewachsene Organisationsstrukturen und Aktivitäten in den „Bereichen Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention“ aus befristeten Projektkontexten herauszulösen. Für diese Arbeit ist eine gesetzlich abgesicherte Grundlage und eine auf Dauer gestellte Fördermöglichkeit zu schaffen, um damit wichtiges zivilgesellschaftliches Engagement nachhaltig abzusichern.

Dieses Ziel begrüßt der Bundesjugendring ausdrücklich. Weitere Träger sowie dringend notwendige Strukturen – wie etwa die Beratungsarbeit oder spezifische Fachstellen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus – bekämen mit dem DFG die Möglichkeit einer verlässlichen Förderung. Dabei muss über die Regelungen des DFG die Berücksichtigung der Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Träger und Strukturen sowie ihre Finanzierung sichergestellt werden. Ein wesentliches Prinzip muss ebenfalls sein, dass alle entsprechend geeigneten Träger die Möglichkeit auf Förderung durch das DFG haben – unabhängig davon, wie ihre sonstige Arbeit gefördert bzw. finanziert wird. So muss beispielsweise sichergestellt werden, dass auch Jugendverbände – trotz Förderung durch den KJP bzw. die entsprechenden Programme auf Landes- und kommunaler Ebene – an einer durch das DFG geregelten Förderung partizipieren können.

Der Zugang zur Förderungen im Rahmen des DFG muss allen Trägern offen stehen,

die fachliche Voraussetzungen für die geplante Maßnahme erfüllen, die Gewähr für eine zweckentsprechende und wirtschaftliche Verwendung der Mittel bieten, die ein gemeinnütziges Ziele verfolgen und die eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.

Darüber hinausgehende Voraussetzungen oder gar Einschränkungen der Trägerautonomie lehnt der Bundesjugendring ab. Die Trägerautonomie gewährleistet nicht nur das Erreichen relevanter Zielgruppen über eine Bedarfs- und Lebensweltorientierung. Sie ist auch die Verkörperung bzw. Ermöglichung der Umsetzung demokratischer Prinzipien innerhalb und zwischen den zivilgesellschaftlichen Strukturen. Es widerspricht dem Grundgedanken von Demokratie und Vielfalt, wenn selbstbestimmte, demokratische Entscheidungsprozesse durch die demokratisch legitimierten Gremien (zum Beispiel Mitgliederversammlung und Vorstände) und Verfahren der zivilgesellschaftlichen Organisationen bei essentiellen Fragen durch staatliche Vorgaben ausgehebelt würden. Dies betrifft etwa Entscheidungen über einzustellendes Personal oder die Auswahl von Partner*innen für die Zusammenarbeit.

In diesem Zusammenhang verweist der Bundesjugendring auf die guten und langjährigen Erfahrungen mit den Prinzipien des SGB VIII4. Dazu gehören zum Beispiel die Pflicht zu partnerschaftlichen Zusammenarbeit von staatlichen Strukturen und Zivilgesellschaft, das Subsidiaritätsprinzip und die Pluralität von Trägern, Werten und Angeboten. Konkret heißt dies vor allem:

Die Zivilgesellschaft muss in ihrer Arbeit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als unabhängiger, starker Partner von Politik und Verwaltung gesehen werden und nicht als Dienstleister staatlicher Vorgaben.

Durch das Subsidiaritätsprinzip wird unter anderem die plurale, demokratische Zivilgesellschaft geschützt. Staatliches Handeln sollte sich darauf reduzieren, zivilen Organisationen die notwendigen Rahmenbedingungen zu ermöglichen, sie zu unterstützen und zu fördern und gemeinsam und in einem dialogischen Prozess die Qualität der Angebote sicherzustellen. Im Rahmen eines DFG kommt die Erwartung hinzu, die demokratischen, zivilgesellschaftlichen Organisationen (und ihre demokratisch legitimierten Vertreter*innen) vor Angriffen und Anfeindungen seitens undemokratischer Kräfte zu schützen sowie gegenüber Delegitimationsversuchen. Es gilt, sie in ihrem (politischen) Engagement zu stärken.

Die Ausgestaltung der Förderung im Rahmen des DFG braucht einen intensiven Dialog mit jenen in der Zivilgesellschaft, die diese wichtige Arbeit durchführen wollen und können.

Die Zusammenarbeit zwischen Fördergeber und Zivilgesellschaft muss auf einer vertrauensvollen Basis fußen. Dabei ist wichtig, bei der Ausgestaltung der Standards und Ziele sowie der Förderkriterien auf die fachliche Expertise der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft zu setzen. Beide sind über die Möglichkeit der Stellungnahme zum DFG hinaus entsprechend zu beteiligen. Mit Blick auf die Vergabeverfahren und Förderrichtlinien muss das DFG eine transparente und effektive Struktur sicherstellen. Dabei ist immer das grundlegende Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen; der notwendige Verwaltungsaufwand muss auf ein Minimum beschränkt werden. Zivilgesellschaftlichen Strukturen muss der Zugang zur Förderung unter geringem Aufwand und Ressourcen möglich sein. Der Zugang zu Förderung muss sich außerdem an der Qualität der Angebote und Konzepte orientieren. Er darf nicht daran scheitern, dass für entsprechenden Verwaltungsaufwand verfügbare Ressourcen und Know-how des jeweiligen Trägers fehlen: Auch kleine zivilgesellschaftliche Strukturen müssen vom DFG profitieren. Die Verteilung der Mittel muss auf nachvollziehbaren und transparenten Kriterien basieren. Die Förderinstrumente sollen sich sinnvoll ergänzen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Die zivilgesellschaftlichen Partner*innen müssen in eine nachvollziehbare Planung einbezogen werden.

Für die Grundausrichtung des DFG ist aus Sicht des Bundesjugendrings wichtig, im anstehenden Dialogprozess mit allen Beteiligten den Fokus zu überprüfen. Aktuell liegt dieser oftmals auf kurzfristigen Aufgaben als „Brandlöscher“: Einzelne Aspekte und Ansätze werden als Allheilmittel gegenüber komplexen, gesellschaftlichen Herausforderungen gesehen und besonders hervorgehoben; beispielsweise gerade dann, wenn im Zuge rechtsextremistischer Übergriffe der Ruf nach schnellen Interventionen laut wird. Politische Bildung oder einzelne Programme sollen zur Prävention rassistischer Gewalt, zur politischen Bildung gegen Politikverdrossenheit, zur politischen Bildung zum Stopp des Zulaufs zu rechtsradikalen Parteien, gegen gezielte Desinformationskampagnen, als Gegensteuern gegen nach rechts verschobene Diskurse u. v. m. dienen. Die Notwendigkeit eines allumfassenden, kohärenten Ansatzes wird dagegen selten gesehen. In (Bundes-)Programmen wie „Demokratie leben!“ wird beispielsweise größtenteils versucht, eine Stärkung der Demokratie über Projekte zur Extremismusprävention zu erreichen. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass dieser Aspekt losgelöst von anderen (politischen) Bildungserfahrungen kaum nachhaltig umsetzbar ist. Obwohl dabei häufig der Wunsch nach einer starken Zivilgesellschaft geäußert wird, liegt der Fokus hauptsächlich auf Symptombekämpfung.

Der Bundesjugendring kritisiert diese inzwischen längerfristig zu beobachtende Verschiebung des Fokus der staatlichen bzw. öffentlichen Förderung weg von werteorientierten, langfristig geförderten und in der Breite der Zivilgesellschaft verankerten Trägern hin zugunsten einer „Zivilgesellschaft nach Maß“, von der bedarfsbezogen temporäre Programme eingefordert werden.

Mit den Grundprinzipien der Kinder- und Jugendhilfe, der Kinder- und Jugendarbeit der Jugendverbände und der politischen (Jugend-)Bildung – wie Jugendverbände sie verstehen und für den gesamten Bereich der Demokratieförderung fordern – ist das nicht vereinbar. Eine solche Schwerpunktsetzung entspricht eher den Bedürfnissen (einzelner) staatlicher oder politischer Akteure als den gesellschaftlichen Bedarfen und Notwendigkeiten. Im Rahmen des DFG erwartet der Bundesjugendring hier ein Umdenken.

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[1] Der in § 12 SGB VIII verankerte Rechtsanspruch der Jugendverbände auf Förderung begründet sich vor allem mit dem Beteiligungsansatz: „In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. […] Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten“ (§ 12, Abs. 2 SGB VIII).

[2] §§ 11-12 SGB VIII

[3] Der KJP ist das Instrument des Bundes zur Umsetzung seiner Verpflichtungen aus §83 (1) SGB VIII. Dazu gehört untrennbar die Förderung der bundeszentralen Träger der Kinder- und Jugendarbeit und die Anregungs- und Förderfunktion in Bezug auf die Kinder- und Jugendarbeit zu der zwingend die politische Jugendbildung gehört. Der 16. Kinder- und Jugendbericht betont deutlich die Potentiale des Lern- und Erfahrungsfeldes „Jugendverbände“ für die politische Subjektwerdung junger Menschen, den „in Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. […] Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten“ (§ 12, Abs. 2 SGB VIII).

[4] Achtes Buch Sozialgesetzbuch

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