Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg muss sich seit Mittwoch erneut eine mutmaßliche IS-Rückkehrerin verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft der 38 Jahre alten Deutsch-Iranerin vor, im Sommer 2014 nach Syrien ausgereist zu sein und sich dort dem Islamischen Staat (IS) und einer weiblichen Kampfeinheit der Terrormiliz angeschlossen zu haben. Die Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Mit ihrer damals dreijährigen Tochter und ihrem knapp ein Jahr alten Sohn soll sie ihrem Ehemann ins IS-Gebiet gefolgt sein. Der umgangsberechtigte Vater ihrer Tochter war nach Angaben der Bundesanwaltschaft nicht mit der Mitnahme seines Kindes einverstanden. Damit machte sich die Angeklagte laut Bundesanwaltschaft auch der schweren Entziehung Minderjähriger sowie der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht schuldig.

Ende 2017 sei die Familie aus dem IS-Gebiet geflüchtet und von kurdischen Kräften aufgegriffen worden sein, erklärte die Vertreterin der Bundesanwaltschaft. Bis zu ihrer Ausreise nach Deutschland sei sie mit ihren Kindern im Gefangenenlager Roj im Nordosten Syriens festgehalten worden. Seit dem 7. Oktober 2021 sitzt die Angeklagte in Untersuchungshaft. Nach Angaben ihres Verteidigers will sie sich an einem der nächsten Verhandlungstage zu den Vorwürfen äußern.

Die 38-Jährige mit langen schwarzen Haaren trug einen weiß-gestreiften blauen Pulli und machte einen offenen und freundlichen Eindruck. Sie lächelte einer Bekannten im Zuschauerraum zu. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wurde die Angeklagte in Teheran geboren und wuchs in einem nicht religiös-geprägten Elternhaus auf. Erst ab 2008 - damals war sie Mitte zwanzig - habe sie sich einem strengeren Islam zugewandt. Als ihre 2010 geborene Tochter ein Jahr alt war, trennte sie sich von ihrem Mann, mit dem sie standesamtlich verheiratet war. Ein Jahr später habe sie einen anderen Mann nach islamischem Recht geheiratet. 2013 sei ihr Sohn zur Welt gekommen.

Ihr zweiter Mann habe sich in einer salafistischen Hilfsinitiative engagiert und Krankenwagen nach Syrien gebracht. Im Frühjahr 2014 sei er erneut in das arabische Land gereist. Er habe in Krankenhäusern des IS gearbeitet und verletzte Kämpfer gepflegt. Zugleich habe er selbst als Kämpfer die Kliniken verteidigt. Möglicherweise ohne Wissen seiner Frau soll er sich daran beteiligt haben, als Flüchtlinge getarnte IS-Mitglieder darauf vorzubereiten, in Europa Anschläge zu verüben.

Die Angeklagte habe Arabisch- und Scharia-Kurse des IS besucht und sich der Katiba Nusaiba angeschlossen, einer Kampfeinheit, in der Frauen den Umgang mit Waffen und Sprengfallen lernten. Ihre Kinder habe sie im Sinne der IS-Ideologie erzogen. Die Familie habe im IS-Gebiet in Tabka und Rakka gewohnt, obwohl in der näheren Umgebung regelmäßig schwere Kampfhandlungen und Bombardements stattfanden.

Erst am 24. März hatte ein anderer Strafsenat am Oberlandesgericht eine 44-jährige IS-Rückkehrerin zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Deutsche aus Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein) hatte ihren 14-jährigen Sohn mit ins syrische Kriegsgebiet genommen und ihn eine militärische Ausbildung beim IS machen lassen. Im Februar 2018 starb der inzwischen 15-Jährige bei einem Bombenangriff. Das Gericht sprach die 44-Jährige Mutter wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Kriegsverbrechen, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht sowie fahrlässiger Tötung schuldig. Gegen das Urteil hat die Verteidigung Revision eingelegt.

© dpa-infocom, dpa:220405-99-808286/7