Vertrauensarbeit in der Deradikalisierung als Erfolgsgrundlage

Dr. Samet Er | INTERVENTIONEN – Zeitschrift für Verantwortungspädagogik | Ausgabe 15

Literatur und Berichterstattung zum religiös motivierten Extremismus verzeichnen seit 9/11 bis in die Gegenwart hinein einen starken Anstieg. Immer häufiger wird die Frage nach der Motivation von jungen Radikalisierten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, gestellt. Dieses ständige „Nachfragen“ führt dazu, dass betroffene radikalisierte Personen sich immer weiter zurückziehen und kaum für Medien, wissenschaftliche Institutionen oder auch Beratungsangebote zugänglich sind. Nur wenige verhalten sich gegenüber den Medien und Sicherheitsbehörden so kooperativ wie die beiden Rückkehrer aus Wolfsburg und Bremen (Youtube, 28.08.2016).

Um trotz des weitreichenden Misstrauens im Kontext der Extremismusprävention und Ausstiegsbegleitung Arbeitsbeziehungen zu diesen Menschen aufbauen zu können, bedarf es einer spezifischen Ansprache. Hierbei ist nicht die Rede von einer ideologischen Auseinandersetzung, sondern zunächst einmal von einer Kontaktaufnahme, die sich selbst oft als schwieriges Unterfangen erweist. Es bedarf eines spezifischen Zugangs, in dem biographische Faktoren berücksichtigt werden. Daher ist die Arbeits- und Vertrauensbeziehung als unbedingte Grundvoraussetzung eines jeden Deradikalisierungs- und Distanzierungsprozesses zu verstehen. Im folgenden Text werden einige Grundvoraussetzungen zur Arbeit mit komplexen Fällen im Rahmen des Justizvollzugs geschildert. Zur Veranschaulichung wird an einigen Stellen auf das fiktive Fallbeispiel einer jungen Frau zurückgegriffen.

Einzelfallarbeit mit jungen Frauen

Die Betreuung einiger Fälle erweist sich aufgrund ihrer biographischen Hintergründe oder der medialen Bekanntheit als besonders herausfordernd. Exemplarisch hierfür steht der fiktive Fall einer jungen Frau, die wegen einer Gewalttat zu mehreren Jahren Jugendhaft verurteilt wurde. Es stellte sich die Frage, wie in einem solchen Fall am besten mit der Betroffenen gearbeitet werden kann.

In solchen Fällen geht häufig kurz nach der Verurteilung eine Anfrage der zuständigen Justizvollzugsanstalt bei Violence Prevention Network ein. In dieser hochemotionalen Phase nach der Verurteilung bedarf es eines sehr vorsichtigen und pädagogisch durchdachten Ansatzes, um die Aufmerksamkeit und das Vertrauen der Klient*innen zu gewinnen und gemeinsam an ihrer Distanzierung und Deradikalisierung zu arbeiten.

So ging es auch im Fall der fiktiven jungen Frau in den ersten Gesprächen nach der Kontaktaufnahme keineswegs darum, Informationen etwa zu ihr und ihrer Motivation zu sammeln, sondern vielmehr darum, Vertrauen und eine sichere Arbeitsbeziehung aufzubauen. Grundsätzlich ist es auch zu einem späteren Zeitpunkt und in langfristigen Beratungskontexten nicht einfach, die gesamte Biographie von Klient*innen offenzulegen, ganz gleich ob es sich um Attentäter*innen, Rückkehrer*innen aus einem Kriegsgebiet, anderweitig radikalisierte Gefangene oder Haftentlassene handelt. Das Leben im Gefängnis bedeutet Verwundbarkeit, Identitäts- und Schutzsuche, häufig aber
auch Rebellion, so dass viel Zeit für die Arbeit mit den Klient*innen eingeplant werden muss.

Um eine vertrauensvolle und authentische Beziehung zu den Gefangenen und Haftentlassenen aufzubauen, ist die Biographiearbeit entscheidend. So können Lücken und Problemstellen in der Biographie gefunden und entsprechend gefüllt bzw. bearbeitet werden. Ein großer Teil dieser Arbeit besteht aus Erinnerungsarbeit, bei der die Klient*innen in ihre Erinnerungen eintauchen und erlebte Erfahrungen wiedergeben. Dieser Prozess wird durch Übungen bzw. Methoden der sozialen Diagnostik wie dem Genogramm oder mit Hilfe von Netzwerkkarten und dem Einbringen von persönlichen Materialien, wie zum Beispiel von Fotos, Zeichnungen und Ähnlichem begleitet. Dabei ist es wichtig, eine authentische, respektvolle und aufmerksame Haltung einzunehmen, bei der die Berater*innen sich selbst zurücknehmen. Sie stellen, wenn überhaupt, nur wertschätzende Nachfragen. So sollte auch die junge Frau um die es hier geht ihre Lebensgeschichte möglichst eigenständig aufarbeiten und damit beginnen, ihren Lebensweg samt der Entscheidungen, die zur gegenwärtigen Situation beigetragen haben, kritisch zu hinterfragen. Im Rahmen des Distanzierungsprozesses wurde ihr dabei geholfen, selbständig neue Wege und Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Durch diesen Reflexionsprozess schöpfte sie wieder Kraft und stärkte ihr Selbstwertgefühl (Mücke 2016).

In der Arbeit werden Klient*innen nicht auf ihre Straftaten reduziert, sondern als Menschen mit Stärken und Schwächen, Fähigkeiten und Fehlern angenommen und akzeptiert. Dieser grundlegende Ansatz der Verantwortungspädagogik®, ist eine von Violence Prevention Network entwickelte, erprobte und bewährte Herangehensweise, die auf die besonderen Bedürfnisse von Trainings-Teilnehmer*innen in Justizvollzug und Bewährungshilfe abgestimmt wurde. Sie beinhaltet das Erkennen und Verstehen der eigenen Gefühls- und Wertewelt, deren Entstehungsgeschichte und die sich daraus ergebenden Handlungen und Entscheidungen. Zugleich dient sie der Entwicklung einer individuellen Perspektive und der Stärkung von Empathiefähigkeit, Selbstreflexion, Selbstwert und Handlungssicherheit in Krisensituationen. Neben der bedürfnisorientierten Stärkung individueller Kompetenzen, steht auch die Entwicklung eines Problembewusstseins in Bezug auf das eigene vergangene Handeln im Vordergrund der Arbeit. Dieses ist letztendlich verbunden mit der Verantwortungsübernahme für ebenjenes vergangene, aber auch für zukünftiges Handeln der Klient*innen. Nur so kann der Grundstein für eine positive Entwicklung der betroffenen Menschen gelegt werden.

Dementsprechend wird bei der Arbeit zunächst auf den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung fokussiert sowie auf

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Authentizität, zum Beispiel durch gute Erreichbarkeit, und die Begegnung auf Augenhöhe. Die Bedingungen hierfür sind umfassendes interkulturelles, interreligiöses, historisches und politisches Wissen sowie die Kenntnis der Sprache und kulturellen Sensibilitäten der Betroffenen und ihren Angehörigen. So problematisch ihre Vergangenheit und die Tat auch waren, sollte sie dennoch die Möglichkeit haben, sich in der Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten (wieder) einzugliedern. Unsere Arbeit basiert auf dem Grundverständnis, „dass alle Menschen in den Grundmustern ihres Alltags gleich sind, dass alle vergleichbare Erwartungen, Hoffnungen, Ängste und Befürchtungen haben, dass sie sich um ihre Arbeit und ihr Auskommen sorgen, dass alle Geld brauchen, über das sie zur Gestaltung des eigenen Lebens verfügen können und dass sie Sicherheit in den Perspektiven brauchen, um planen und sich entwickeln zu können“ (Thiersch 2017: 15). So galt auch für die junge Frau, dass ihre alltäglichen Sorgen und Probleme mit Umsicht und Empathie aufgenommen werden mussten, wenn sie die Chance haben sollte, positive Teilhabe zu erreichen. Das kann nur im Rahmen von zugewandter, persönlicher und umsichtiger Beratung und langfristiger Betreuung geschehen.

Beginn der Beratungsarbeit

Vor dem ersten Treffen besteht häufig die Befürchtung, eine hochradikalisierte Terroristin anzutreffen, die die Berater*innen von Beginn an als „Staatsfreund“ oder „Heuchler“ abstempeln würde. Es stellte sich aber schnell heraus, dass sie sich in ihrem Umgang und Auftreten nicht besonders von anderen Mädchen ihres Alters unterschied und die Zusammenarbeit sogar begrüßte. Auch wenn die Arbeit mit einem „Deradikalisierungsberater“ kritisch gesehen wurde, stießen das profunde Wissen und die Möglichkeit zu Diskussionen über islamische Theologie bei ihr auf großes Interesse.

Die Gespräche fanden in einer vergleichsweisen angenehmen Atmosphäre statt – im Rahmen der Möglichkeiten einer Justizvollzugsanstalt. Anfangs waren in den Gesprächen typisch salafistisch geprägte Aussagen etwa zur Musik („Das ist doch haram.“) oder zu Atheist*innen („Das sind Kuffar.“) zu hören. Sie trat dennoch sehr unsicher auf und war in anderen Momenten sichtlich bemüht, die Welt außerhalb des salafistischen Spektrums neu zu entdecken. Maßgeblich dafür waren die vertrauensvolle Beziehung zur Sozialarbeiterin und zur Psychologin und das aufbauende Gespräch mit dem Berater von Violence Prevention Network. Im Zusammenwirken führte dies dazu, dass ihr dichotomes Weltbild, einer Welt zwischen Salafismus und der Realität, zunehmend durcheinandergeriet.

Sie stand stark unter dem Einfluss salafistischer Narrative, die durch einschlägige Posts und Akteur*innen in den sozialen Medien verbreitet worden waren sowie damit verbundener falscher Berichtserstattung, Kriegsnachrichten und einem Gefühl von Unterdrückung. All‘ das verstärkte ihre extrem negative Haltung gegenüber dem politischen System und den staatlichen Institutionen in Deutschland. Der einseitige und unreflektierte Konsum von fragwürdigen Medien, der ausschließliche Austausch mit Gleichgesinnten aus der salafistischen Szene, das familiäre System und die selbst erfahrene bzw. empfundene Ungerechtigkeit führten bereits in jungen Lebensjahren zu einer vollständigen Isolierung von der demokratischen Gesellschaft und zur Festigung ihres dichotomen Weltbildes. Durch ihre stolz zur Schau getragene extremistische Haltung erlangte sie bereits als sehr junges Mädchen große Anerkennung und Aufmerksamkeit innerhalb der Szene, die sie auch sichtlich genoss. So wurde sie immer stärker motiviert, weiterzumachen, ohne an die Konsequenzen und möglichen Folgen ihrer Haltung bzw. ihrer späteren Tat zu denken. Durch ihre lange und intensive Zugehörigkeit zur Szene war es unmöglich, sie schnell und mit einfachen Mitteln zu erreichen. Erst im Zuge vieler Gespräche lernte sie, ihre eigene Biographie und damit einhergehend ihren Radikalisierungsverlauf zu reflektieren und zu verstehen. Zugleich wurde ihr bewusst, welche individuellen Gefährdungsfaktoren nach wie vor bei ihr erkennbar waren, die sowohl ihre ursprüngliche Radikalisierung beeinflussten als auch eine erneute Hinwendung zu Ideologie und Szene begünstigen konnten. So wurden einige maßgebliche biographische Einschnitte identifiziert, die gemeinsam bearbeitet wurden.

Nachhaltige Beziehungs- und Vertrauensarbeit als Kern des Prozesses

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Das Hauptziel der Arbeit im Fall der Klientin war die Ausstiegsbegleitung und die Befähigung zu einem eigenverantwortlichen, empathischen und toleranten Leben jenseits von Extremismus und Menschenfeindlichkeit. Es wurden Maßnahmen durchgeführt, die im Idealfall zur Entwicklung von demokratie- und menschenrechtsbejahenden Einstellungen führen und ihr ein positives Verständnis von gelebter Pluralität vermitteln sollten, inklusive der Kompetenz, mit existierenden Ambivalenzen und Ambiguitäten umgehen zu können. Hierbei spielten natürlich auch die von ihr zunächst als Tabus wahrgenommenen Themen wie Demokratie, Scharia, Homosexualität und das Recht auf freie Lebensentfaltung eine wichtige Rolle, die durch mehrere intensive Gespräche diskutiert und behandelt wurden. Im Zuge dieser Gespräche wurden auch ihre bisherigen Werte und religiösen Normen, die ihr durch die salafistische Szene und ihre Mutter bereits von klein auf vermittelt wurden, kritisch reflektiert.

Die intensive, langandauernde Beziehungsarbeit sorgte dafür, dass die junge Frau sich bereitwillig auf diesen kritischen Reflexionsprozess einließ. Sie war stets offen dafür, „Neues“ zu erlernen und kritisches Denken anzuwenden. Hierbei wurden keine Gegennarrative, wie etwa eine „liberale Auslegung“ des Koran vorgestellt und als richtig vorgegeben, vielmehr lernte sie, Meinungen und Aussagen selbstständig kritisch zu reflektieren, insbesondere im Hinblick auf mögliche extremistische Gedanken oder gar Handlungen. Hierfür bedurfte es jedoch einer methodischen Vorgehensweise, wie z. B. eines nicht-konfrontativen und dennoch ihre bisherigen Haltungen hinterfragenden Ansatzes, der sie in ihrer aktuellen Gedankenhaltung abholte, diese diskutierbar gestaltete und als oberste Zielsetzung die Entwicklung einer Ambiguitätstoleranz verfolgte. Diese Toleranzentwicklung förderte die Kenntnisnahme und Akzeptanz unterschiedlicher Sichtweisen als Grundvoraussetzung für die Hinterfragung eigener Positionen.In Bezug auf das professionelle Nähe- und Distanzverhältnis ist es wichtig, stets auf den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu setzen, gekennzeichnet von Authentizität und Transparenz (auch bezogen auf die eigene Haltung und die professionellen Grenzen der Arbeitsbeziehung), von kritischer Diskussionsbereitschaft, Verlässlichkeit, menschlicher Wertschätzung und Kompetenzorientierung. Die Intensität der Beziehungsdynamik ist bei Personen, die sich von der hiesigen Gesellschaft zutiefst entfremdet haben, besonders hoch. In dieser Phase sind Berater*innen stetige und verlässliche Begleiter*innen, sie fungieren als Türöffner zur gesellschaftlichen Integration.

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Auch wenn die Beziehung professionell aufgebaut und gelebt und ihr verdeutlicht wurde, dass eine Berater-Klientin-Beziehung vorliegt, fungierte ihr Berater aus Sicht der Klientin bisweilen nicht immer nur in einer professionellen Rolle, sondern nahm aus ihrer Perspektive auch eine annähernd freundschaftliche Position ein. Diese Dynamiken lassen sich besonders in isolierten Kontexten wie dem Justizvollzug beobachten. Der Grund dafür war, dass sie bisher niemanden in ihrem privaten Umfeld hatte, dem sie sich auf freundschaftliche oder familiäre Art anvertrauen und öffnen konnte.

Gelegenheit für eine ausführliche Arbeit an einem neuen privaten sozialen Netzwerk würde es erst nach Haftentlassung und Reintegration, z. B. in das Bildungssystem, geben. Klient*innen in dieser Phase sehen in den Berater*innen häufig eine Art „Bruder, Vater, Mutter oder Schwester“ und können dadurch über sich selbst vertraulich sprechen, ohne z. B. Familiengeheimnisse zu verraten. In diesem Moment gehören Berater*innen zur Innenwelt, mit denen offen geredet werden kann. Ist dies nicht der Fall, gehört der*die Berater*in zur Außenwelt, mit dem*der Klient*innen zumeist nur über für erwünscht gehaltene Zweckantworten kommunizieren. Das Vertrauensverhältnis als Teil des Innenverhältnisses ist ein wichtiges Instrumentarium im Rahmen der Deradikalisierungsarbeit zur Erreichbarkeit der Klientel. Dabei wird prozesshaft versucht, die strikte Trennung von „Innen“ und „Außen“ aufzulösen. So wird es im Arbeitsprozess immer Thema sein, das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz zu erörtern und kritisch zu reflektieren, auch um als Berater*innen nicht langfristig als Ersatz für genuine private Beziehungen zu fungieren.

Chancen der sozialen und funktionalen Integration – Wie geht es weiter?

Die junge Frau sollte ermutigt und befähigt werden, über eigene Gefühle, Bedürfnisse und biographische Ereignisse zu sprechen. Zudem sollte sie motiviert werden, nach der Haftentlassung ein eigenständiges Leben außerhalb ihres Herkunftsortes zu führen, um neue private soziale Kontakte knüpfen zu können. Zugleich wurde ein persönlicher Sicherheitsplan für ein Leben nach der Haft sowie jenseits der extremistischen Szene erarbeitet. Hierzu wurden ihr bewährte Werkzeuge an die Hand gegeben, wie kritische Reflexion und Misstrauen gegenüber neuen Radikalisierungsangeboten funktionieren können. Der Grund hierfür war, dass viele Aussteiger*innen häufig in den Szenen nach wie vor viele „Fans“ haben und daher nach der Entlassung weiteren Gefahren, z. B. neuen Anspracheversuchen ausgesetzt sind. Zusätzlich musste sie Verständnis für die Arbeit der Sicherheitsbehörden aufbringen, um die Einschränkungen, die sie erfuhr und auch nach Haftentlassung voraussichtlich noch in gewissem Maße erfahren würde, nicht als Provokation ihr gegenüber aufzufassen, sondern vielmehr als präventive Schutzmaßnahme für alle Beteiligten.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der fiktiven Klientin durch den Aufbau einer eigenständigen Identität zu einem selbstbestimmten Leben ermutigt wurde. Sie hat gelernt, ihren eigenen Zielen und Wünschen selbständig nachzugehen und ihr wurden Alternativen zu ihrem bestehenden Weltbild aufgezeigt. Es erfolgte eine Sensibilisierung gegenüber menschenverachtenden und hasserfüllten Ideologien. Sie wurde über Berufs- und Bildungschancen aufgeklärt und im Rahmen der Resozialisierung durch eine Relokalisierung und den Besuch der Schule in ein neues soziales Umfeld integriert, in dem sie die Möglichkeit bekommen hat, positive Kontakte außerhalb der Szene zu knüpfen.

Trotz ihrer komplexen Vorgeschichte weistdie Klientin eine hohe Motivation auf, sich komplett von der salafistischen Szene zu distanzieren und ein Leben abseits von problematischen Gruppierungen und Personen zu leben. Sie wurde befähigt, über ihr bisheriges Leben zu reflektieren und erkannte, dass sie von nun an selbst darüber entscheiden kann, wie es weitergeht. Sie lässt erkennen, dass sie die Notwendigkeit einsieht, selbst für die Gestaltung ihrer Zukunft Verantwortung zu übernehmen und zeigt einen entschlossenen Willen dazu. Auch während des Übergangsmanagements und nach der Entlassung wird die junge Frau weiterhin begleitet; die Beratungsarbeit wird voraussichtlich noch mehrere Jahre fortgesetzt werden. Hierbei sind insbesondere die Auseinandersetzung mit familiären Beziehungen und Kontakten aus der salafistischen Szene von großer Bedeutung. Es gilt zu verhindern, dass Personen, wie die soeben beispielhaft dargestellte junge Frau, trotz der ausfüh rlichen Vorbereitung erneut in den gleichen Kreislauf geraten. Hierfür ist neben ausführlichen Maßnahmen zur funktionalen und sozialen Integration vor allem die langfristige Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse innerhalb des Rahmens unserer pluralistischen Gesellschaft notwendig. Die hierfür erforderliche unterstützende Arbeit kann nur basierend auf kontinuierlicher Vertrauensarbeit und Authentizität der Berater*innen erfolgen. Eine erfolgreiche und nachhaltige Deradikalisierung jedoch kann nur durch eine gesamtgesellschaftliche und lösungsorientierte Herangehensweise gelingen und hängt stark von der Zusammenarbeit einer Vielzahl von Akteur*innen ab.

Literatur

„Ein Sommer im Dschihad“, in: YouTube, 28.08.2016, URL: https://www.youtube.com/watch?v=qDDPfBf3LB4
(abgerufen am 13.02.2020).

Mücke, Thomas: Pädagogische Handlungsansätze zur Deradikalisierung im Arbeitsfeld des religiös begründeten Extremismus, 18.01.2016, URL: https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/218879/paedagogische-ansaetze-zur-deradikalisierung (abgerufen am 14.07.2020)

Thiersch, Hans: Das Konzept Lebensweltorientierte Soziale Arbeit, für meine Enkel skizziert, Berlin/Tübingen 2017, URL: https://www.hans-thiersch.de/Hans-Thiersch.de/Veroeffentlichungen_files/Elementare%20Einführung%20in%20die%20lebensweltorientierte%20Soziale%20Arbeit%202019.pdf (abgerufen am 24.04.20)

Der Autor

Dr. Samet Er ist islamischer Theologe (B. A. und M. A.) und promovierter Erziehungswissenschaftler. Er ist Koordinator und Deradikalisierungsberater im Projekt FOKUS ISLEX von Violence Prevention Network in Niedersachsen. Seit 2018 ist Dr. Samet Er assoziierter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Er ist Mitglied des Forschungsnetzwerks Radikalisierung und Prävention (FNRP – Osnabrück und Bielefeld),